Seit rund 20 Jahren schreibe ich über Digitalisierung und Technik. Ich erinnere mich an vermeintlich euphorischere Zeiten; als die ersten Blogs entstanden, jedes neue iPhone etwas Besonderes war, E-Mobilität ein interessantes Thema wurde, Apps praktische Lösungen anboten und die weltweite Vernetzung durch Social Media versprach, die Welt kleiner zu machen. Viele faszinierende Roboter und Geräten kamen dazu. Ich erinnere mich auch daran, als vor zehn Jahren jedes deutsche Unternehmen plötzlich versuchte, wie eines aus dem Silicon Valley zu sein. Flexible Arbeitsplätze, Bier-Pong und Telefonkabinen, bunte Sitzsäcke, Vorstände, die plötzlich casual und ohne Krawatte zur Arbeit erschienen. Vieles war und ist bis heute zum Fremdschämen. Aber so ist das mit Trends, und jedes neue Start-up wollte etwas Disruptives machen. Die "Welt aufrütteln", neu sortieren und veränderte Paradigmen schaffen.
Im Jahr 2025 verstehen wir aber, dass Disruption nicht bedeutet, die Karten neu zu mischen oder so etwas wie frischen Wind in die Wohnung zu bringen, geschweige denn, die Welt mit Technologien besser zu machen. Disruption bedeutet letztlich – das sehen wir an Elon Musk, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos – die eigene, unüberschaubare Macht noch größer zu machen. Heute leben wir unter "Broligarchien", soziale Netzwerke stellen sich allesamt als walled garden heraus, und hier wird auch keine Demokratie oder Partizipation gelebt. Die Betreiber bestimmen die Regeln, schalten wie Zuckerberg Fact-Checking bei Instagram und Facebook ab, lassen radikalen Populismus wie bei TikTok besonders viral gehen, und die täglichen News über die erratischen Eskapaden des Elon Musk in der US-Regierung – ja, was soll man dazu noch sagen?
Wenn Disruption Zersetzung, Zerstörung und Respektlosigkeit gegenüber bestehenden etablierten Strukturen bedeutet, dann versteht man auch, wie sich Trump und Musk in einem KI-Video als goldene Statuen in Gaza abbilden lassen.
Resignation, Enttäuschung und Wut
Der Titel meiner Kolumne lautet eigentlich schon "Kritik der praktischen Technik", rückblickend muss man sich aber fragen, ob wir nicht alle noch viel kritischer hätten sein können und müssen. Wie kann es sein, dass ein Unternehmen wie Meta, das jahrelang als Gold-Standard für Diversität und Inklusion galt, plötzlich alle internen Programme cancelt und mehr "männliche Energie" haben will - und alle trotzdem noch an Instagram wie am Schnuller hängen? Was macht der mächtige Boss der Mixed-Martial-Arts-Liga UFC Dana White seit Anfang des Jahres im Vorstand von Meta? Ach ja: männliche Energie.
Resignation, Enttäuschung und Wut machen sich vielerorts breit. Teslas werden mutwillig beschädigt oder mit "Swasticar" beschmiert, wofür die Halter aber an und für sich auch nichts können. Es trifft mal wieder die Falschen und ist gelinde gesagt auch ziemlich dumm, weil es unsere Hilflosigkeit nur unterstreicht.
Was bringen auch zynische Kommentare von Journalist:innen oder Memes, die sich über das honkige Gebaren von Zuckerberg und Musk lustig machen, wenn das andere Ende der Nahrungskette mittlerweile so weit weg ist wie der Mars, der bald von SpaceX kolonisiert wird?
Wut mit offenem Ventil
Wir sehen eine Phase, in der der Techno-Kapitalismus allmählich sein wahres Gesicht zeigt – und das Abschminken hat erst begonnen. Das ist auch keine opportunistische Kapriole, wie einige bei Mark Zuckerberg vermuten. Sieht man sich den eingangs erwähnten Einfluss an, den die Tech-Riesen vor Jahren in hiesigen Unternehmen hatten, dann dürfte auch klar sein, dass Diversity-Programme und Gleichberechtigung in Firmen auch hier eine immer untergeordnetere Rolle spielen werden, weil es kein Teil des Marketings mehr ist und aus dem Mainstream verdrängt wird.
Ja, meine durch Doomscrolling gezüchtete Wut und Frustration ist real. Und verzeihen Sie, dass ich hier mal kurz das Ventil rausnehmen musste. Für die nächste Ausgabe verspreche ich auch wieder, etwas Unterhaltsames zu schreiben, aber das nehme ich mir eigentlich seit Monaten vor.