Jüdische Kunstschule in Berlin

"Es kommt darauf an, neue Netzwerke zu bilden"

Die Jüdische Kunstschule Berlin versteht sich als Antwort auf zum Teil antisemitische Proteste an deutschen Akademien. Hier spricht Mitgründerin Stella Leder über die neuen Masterclasses, Möglichkeiten des Austauschs und Boykotte gegen israelische Künstler
 

Stella Leder, seit November bietet die Jüdische Kunstschule Berlin Workshops und Masterclasses in mehreren Disziplinen an, die von israelischen und jüdischen Künstlern geleitet werden. Was hat Sie bewogen, dieses Projekt zu initiieren? 

Die Jüdische Kunstschule ist vor dem Hintergrund der antisemitischen Proteste und Störaktionen an Kunsthochschulen und Kulturinstitutionen seit dem 7. Oktober 2023 entstanden. Wir vom Institut für Neue Soziale Plastik führten mehrere Gespräche an Kunsthochschulen und haben gemerkt, wie groß die Betroffenheit unter den jüdischen und israelischen Studierenden ist – bis hin zu Erkrankung, Exmatrikulation und Rückkehr nach Israel. Aber auch viele Studierende, die einfach ideologiekritisch sind, haben diese gewaltvolle Atmosphäre wahrgenommen. Sie waren sehr verstört und wollten sich mit den Betroffenen in ihrem Umfeld solidarisch zeigen. Unter Professoren stand wiederum die Frage im Raum, wie sie ihre Studierenden schützen können

An wen richtet sich die Jüdische Kunstschule?

Dieses Projekt bietet einen Ort für junge Künstlerinnen und Künstler, die entweder Angst vor antisemitischen Aktionen an Kunsthochschulen haben oder auch einfach nicht mitmachen wollen. Wir arbeiten in einem Schwerpunkt mit israelischen Dozentinnen und Dozenten. Die Jüdische Kunstschule ist ein Ort, an dem neue Netzwerke entstehen können. Viele Studierende zieht zudem die Möglichkeit an, mit Künstlern zu arbeiten, ohne dass der Druck entsteht, sich politisch positionieren zu müssen. Sie suchen Räume, in denen das freie, individuelle, künstlerische Arbeiten im Mittelpunkt steht, das sich jenseits eindeutiger Verortungen vollzieht. Und das Interesse ist groß: Je nach Klasse hatten wir bis zu dreimal, viermal so viele qualifizierte Bewerbungen als Plätze zu vergeben waren.

Wie umfangreich ist das Kursangebot?

Wir haben sieben Künstlerinnen und Künstler, die Masterclasses anbieten, die aus vier bis zehn Präsenzmeetings und weiteren Onlineformaten bestehen. Unser Schwerpunkt liegt auf Bildender Kunst, wir bieten aber auch Klassen für Literatur, Theater, Performance und Musik an. Momentan ist es ein Pilotprojekt, die Klassen laufen von November bis Januar 2025, und Anfang Februar gibt es eine Abschlusspräsentation der entstandenen Arbeiten.

Zeichnen sich in den Masterclasses konkrete thematische Schwerpunkte ab? 

Manche Künstler lassen offen, was in den Klassen passiert und konzentrieren sich auf eine Begleitung der entstehenden Arbeiten. Und es gibt andere, die eine – wenn auch sehr offene – thematische Fährte gelegt haben. David Adika bietet etwa eine Fotografieklasse zum Thema Identität und Menschenrechte an – das kann natürlich ganz vieles heißen. Hilla Toony Navok hat wiederum eine Skulpturklasse zu Angst, Unbehagen und Unsicherheit im öffentlichen Raum angeboten – und damit auch einige Studierende angezogen, die die momentane Antisemitismus-Situation künstlerisch thematisieren wollten.

Warum haben Sie vor allem israelische Dozenten eingeladen?

In erster Linie laden wir Künstler ein, weil wir sie interessant finden - wir wollten sozusagen keinen Raum der Marginalisierten schaffen, sondern einen interessanten, anziehenden und offenen Raum. Gleichzeitig wollen wir etwas gegen den extremen und massiven Boykott von israelischen Künstlerinnen und Künstlern nach dem 7. Oktober tun. Die Kunstwelt funktioniert ja sehr stark über Netzwerke, die den Zugang regeln. Wir glauben, dass es zumindest in den nächsten Jahren darauf ankommt, neue Netzwerke zu bauen – und dass jüdische und israelische Künstlerinnen und Künstler auch jüdische Netzwerke in der Kunstwelt brauchen, weil sie sonst völlig ungeschützt diesem Sturm an Boykott und Antisemitismus ausgesetzt sind. 

Wie umfassend ist der Boykott israelischer Künstler und Kuratoren?

Alle israelische Künstlerinnen und Künstler und Kulturinstitutionen, mit denen wir im Kontakt stehen, sagen, dass sie keine oder fast keine Anfragen mehr aus dem Ausland erhalten. Es ist ein massiver Einbruch im globalen Maßstab.

Wie kann die Kunstwelt wieder dieser Boykottlogik entkommen?

Es gilt einerseits, die Kulturbeziehungen, die zwischen Deutschland und Israel bestehen, zu stärken. In Israel finden hervorragende Festivals aller Kunstsparten statt, die Vertreter deutscher Kulturinstitutionen besuchen könnten, um neue Kooperationen auf den Weg zu bringen. Man könnte zudem einen Förderfonds für israelische Künstler, die in Deutschland leben, einrichten. Und wir müssen uns und andere immer wieder daran erinnern, dass diese Boykotte überhaupt nicht der Haltung der Mehrheit von Künstlerinnen und Künstlern entspricht. Es gibt sehr viele, sehr differenzierte, kluge Künstler und Kuratoren, die sich an keinen seltsamen Aktionen beteiligen und auch keinen Boykott mitmachen. Es ist wichtig, die Zusammenarbeit mit ihnen zu stärken.

Was unterscheidet die Jüdische Kunstschule von einer üblichen deutschen Kunsthochschule?

Wir sind ein freier Ort, fernab der andernorts üblichen ideologischen Zuspitzungen und Boykotte. Wir haben wirklich exzellente Leute im Programm – mehrere Dozenten kommen beispielsweise von der Bezalel Kunstakademie. Wir wollten ein qualitativ so hochkarätiges Angebot zusammenbringen, dass mögliche Interessenten sich zweimal überlegen, ob sie es wirklich boykottieren wollen. Denn letztlich führt Boykott zu Langeweile, weil man sich damit viele Zugänge und Möglichkeiten kaputtmacht, mit Künstlern zusammenzuarbeiten und interessante Positionen kennenzulernen. 

Wie eng legen Sie den jüdischen Fokus der Kunstschule aus?

Nicht so eng, wie man es sich vorstellt. Wir beziehen das Wort "jüdisch" positiv auf die im Judentum angelegte Diskussionskultur und damit auch immer auf eine bestimmte Form von kultureller Offenheit und Ambivalenzfähigkeit. Und daran können auch alle teilhaben, die das möchten und selbst gar nicht jüdisch sind. Die Ahnung der Gewalt in einer Situation, in der man umgeben ist von Menschen, die diese Gewalt bereit sind mitzutragen oder aber sie nicht wahrzunehmen, ist historisch und gegenwärtig immer wieder von Künstlern und Intellektuellen aufgespürt und ausgedrückt worden – unabhängig davon, ob sie selbst betroffen waren oder nicht. Vor allem aber unabhängig davon, ob ihre Wahrnehmung der der Mehrheit entsprach. Unter den Künstlern, die sich bei uns als Lehrende bewerben, sind entsprechend nicht nur Israelis und Juden. Und auch in den Klassen gibt es nicht nur jüdische und israelische Studierende, es ist sehr international. Für beide Felder haben wir Bewerbungen aus den USA, Brasilien und Israel, der Türkei und der Ukraine. 

Sie bemühen sich um eine Förderung für die Fortführung der Jüdischen Kunstschule. Wäre eine solche Verstetigung ein schlechtes Zeichen?

Ja und nein. Es ist eine katastrophale Zeit. Seit dem 7. Oktober vollzieht sich ein Bruch auf vielen Ebenen gleichzeitig. Wir konnten nicht ahnen, dass der Antisemitismus so stark ist, dass die völlig enthemmte, genozidale Gewalt der Hamas zu einer Form von direkter oder indirekter Zustimmung führt, in vielen Facetten und Varianten. Es gab zuvor einen gesellschaftlichen Konsens: Antisemitismus ist nicht okay. Diesen Konsens haben wir heute in weiten Teilen der Kunstwelt nicht mehr. Und die Situation wird so schnell nicht besser werden. Auf der anderen Seite: So furchtbar der Hintergrund ist, vor dem dieses Projekt entstanden ist, so großartig und interessant sind die Künstler und Klassen. In diesem Projekt werden neue Arbeitsbeziehungen, Netzwerke und interessante künstlerische Auseinandersetzungen stattfinden. Einer der Lehrer sagte neulich: Ich unterrichte nicht an der Jüdischen Kunstschule, weil wir Opfer sind. Sondern weil wir gemeinsam eine kluge Form finden, mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen.