Im Epochenjahr 1900 sieht man die 21-Jährige und ihre ältere Schwester mit dem Dampfschiff an New York vorbeifahren; eine Berlinerin aus wohlhabendem Hause, die sich den damaligen Spielregeln ihres Geschlechts nicht unterordnen möchte und zwei Jahre lang abenteuerlustig durch Amerika reist, ihre Verwandten besucht und dabei Landschaften und Städte fotografiert. Alles scheint möglich, und doch gerät ihr Leben aus der Bahn, weil sie einem erfolgreicheren Rivalen nach Jahren in der Rolle der jüngeren Geliebten zu lästig wird.
Der Filmtitel "Münter & Kandinsky" suggeriert eine doppelte Künstler-Biografie, aber der Fokus des neuen Biopics liegt auf der Malerin Gabriele Münter, Schülerin und Geliebte von Wassily Kandinsky. Den hatte sie im Übrigen nur kennengelernt, weil sie als Frau nicht zum universitären Kunststudium zugelassen wurde und deshalb eine teure Privatschule in München besuchen musste.
Der promovierte Jurist verheimlicht ihr zunächst seine Ehe mit einer Russin, die mit ihm in München lebt. Münter leidet unter der Situation, schafft es aber nicht, gegen seine Stimmungsschwankungen, feigen Ausflüchte und Behauptungen einer antibürgerlichen Komplizenschaft anzukommen. Das schadet längerfristig ihrer Kreativität, während Kandinsky nach opportunistischen Engagements im revolutionären Moskau in Deutschland zum Professor am Bauhaus aufsteigt.
Kunsttheorie statt Dialoge
Das Drehbuch von Alice Brauner, die den Film auch mitproduziert hat, möchte der lange Verkannten, die zu Lebzeiten immerhin in Deutschland, Frankreich und Skandinavien ausstellen konnte, ein Denkmal setzen. Das geschieht, indem das Skript ihren chronologisch nacherzählten Werdegang mit dem des Pioniers der abstrakten Malerei vergleicht.
Brauner tut dies entlang von aus dem Off erklingenden Briefwechseln, Tagebüchern und Schriften des Duos. Leider fließen diese Quellen auch in die arg didaktischen Dialoge ein, die dadurch mitunter erschreckend lebensfern und redundant wirken. Jede erklärt jedem, wer sie ist und welcher Kunstrichtung er angehört, proklamiert Kunsttheorien und erklärt die schwierige Situation von Frauen.
Mit den historischen Kulissen und Kostümen, die auf Fotos von Münter beruhen, kommt man sicherer ans Ziel, auch wenn die steife Regie von Marcus O. Rosenmüller die unangepassten Figuren in ein kontraproduktiv biederes Korsett steckt, aus dem nur Vanessa Loibl als ehrgeizige und streitlustige Münter auszubrechen vermag. Immerhin kann Kameramann Namche Okon den Landschaften einige ansehnliche Kompositionen abgewinnen, die den befreiten Zeitgeist in langen Einstellungen einfangen.
Münter als Furie
Von 1908 bis 1914 lebt das Paar gemeinsam in Murnau in einem einfachen Haus, das Münter für beide kaufte. Sie gründen mit Franz Marc die Künstlergruppe Der Blaue Reiter, entwickeln ihre Handschriften weiter und pflegen ihre Konflikte, denn Kandinsky, inzwischen mit der impulsiven und im Umgang mit anderen schwierigen Münter verlobt, löst sein Heiratsversprechen weiter nicht ein. Der Erste Weltkrieg verschärft die Spannungen, die derart trivial ausbuchstabiert werden, dass man den Eindruck bekommen könnte, bei Münter hätte es sich um eine Furie gehandelt, die den irgendwann zum zweiten Mal verheirateten Kandinsky nach seiner Berufung zum Bauhaus aus Eifersucht gestalkt hätte.
Nur, wenn sie tief in sich versunken malt, lässt der Film erahnen, wie viele Türen die Moderne den Frauen geöffnet hätte. Wenn ihnen diese von Männern wie Kandinsky, deren Gattinnen ihm laut Drehbuch ohne eigene Ansprüche lediglich den Rücken freihalten sollten, genauso schnell wieder vor der Nase zugeknallt worden wären.