Geteilter Wahnsinn ist doppelter Wahnsinn; und dann auch potenziertes Entertainment? Mit "Joker: Folie à Deux" – der Titel des Sequels spielt auf eine Psychose an, die zwei Menschen zugleich befällt – knüpft der US-Regisseur Todd Phillips an seinen Original-"Joker" an. Der war ein Riesenerfolg und gewann vor fünf Jahren den Goldenen Löwen der Venedig-Mostra.
Guillermo del Toro hatte es 2017 mit "The Shape of Water" vorgemacht: dass ein Mix aus Arthouse- und Genrefilm auf dem Lido den Jackpot knacken kann. 2019 kriegte dann auch "Joker" den Stich. Entsprechend hoffnungsvoll wird nun die Fortsetzung ins Löwenrennen geschickt. Prognose: Phillips, DC Films und der Vertriebspartner Warner Bros. werden diesmal leer ausgehen.
Dabei fängt es vielversprechend an – mit einem Animationsfilm im Stil von Warner-Cartoons der 1950er. Statt Daffy Duck stolziert ein gezeichneter Joker mit dem Grusel-Makeup eines Horrorclowns über den roten Teppich in die eigene Fernsehshow. Nervig nur, dass sich sein Schatten nicht abschütteln lässt. Das Dunkle, das den Starruhm zu verhageln droht, ist Arthur Fleck. In der realen Welt sitzt eben jener (wieder großartig verkörpert von Joaquin Phoenix) im Arkham Asylum ein, einer Mischung aus Hochsicherheitsgefängnis und psychiatrischer Anstalt.
Mischung aus Knastfilm und Courtroom-Drama
Hier fangen die Widersprüche von "Folie à Deux" schon an. In "Joker" wussten Phillips und sein Co-Autor Scott Silver, die aus den "Batman"-Comics stammende Figur auf verblüffend realistische Weise in ein Gotham City zu transportieren, das sich nicht groß vom desolaten New York der frühen 1980er unterscheidet. Die Vorgeschichte der Gegnerschaft von Bruce Wayne alias Batman und dem finsteren Witzbold Joker als Drama eines schwer traumatisierten und gedemütigten Mannes zu erzählen, das hatte was.
Phillips konnte weitgehend auf Comic-übliche Verzerrungen verzichten, was ihm nun im Sequel nicht mehr gelingt, das einer Mischung aus Knastfilm und Courtroom-Drama gleicht. Mit vielen Ungereimtheiten, die umso mehr auffallen, als der neue "Joker" uns nur dann fesselt, wenn Joaquin Phoenix seine bewegend-psychotischen Soloauftritte absolviert.
Da dürfen sich Männer aus der Sicherheitsverwahrung mit weniger schweren Psychiatriefällen in einem Gesangskurs zusammenfinden. Eine Pyromanin kann während eines Heimkinoabends ungestört Feuer legen. Dieselbe Patientin darf ihren Geliebten in der Isolationszelle besuchen, um Sex mit ihm zu haben. Angeblich wird sie davon schwanger. Man sieht die Autoren förmlich über dem Drehbuch schwitzen, wie sie ihre plot points in halbwegs funktionierende Handlung umzumünzen versuchen. Auch im Story-Gebälk des Gerichtssaals knirscht und knarzt es vernehmlich. Verhandelt wird dort der Mord an fünf Menschen aus dem ersten "Joker"-Teil, darunter der am TV-Moderator Murray Franklin, den Arthur vor den Augen des Live-Publikums erschoss.
Leider ist es wahr
Die von Catherine Keener gespielte Anwältin plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit. Arthur, eine gespaltene Persönlichkeit, wisse nichts von den mörderischen Umtrieben des Jokers. Allerdings sitzt eine Frau im Gerichtspublikum, die den Schurken liebt und dessen "Schatten" Arthur nur gewinnen will, damit sie und der Joker ein Paar werden können. Es ist die ebenso verrückte Harley – Lee – Quinn: jene Pyromanin, die in der Psychiatrie übrigens ein- und ausgehen darf, weil alles andere für das Funktionieren der Geschichte, nun ja, ziemlich hinderlich wäre.
Gespielt wird diese Lee von Lady Gaga, die eine mäßige Schauspielerin ist (in "House of Gucci" war sie allerdings gut besetzt) und deren recht "behandeltes" Gesicht schlecht in einen Film passt, der 1981 spielt. Pardon, aber mit ihren Schlauchbootlippen saugt die Aktrice dem Film die letzte Kraft aus. Auf der Metaebene ist Gaga nicht die Geliebte, auch nicht die im Wahn Verbündete, sondern die Konkurrentin von Joaquin Phoenix. Kann sein, dass sie rein musikalisch sogar besser singen kann als er. Trotzdem sind Phoenix’ Gesangsszenen stärker – etwa, wenn Arthur Jaques Brels "Ne me quitte pas" in ein Anstaltstelefon haucht.
Gesangsnummern? Leider ist es wahr! Der Doppelfehler von "Joker: Folie à Deux" ist die Schwächung des Konzepts "Comic wird realistisches Drama" und die gleichzeitige Verwandlung des halbherzigen Ganzen in ein Musical. In der Zelle, beim (scheiternden) Fluchtversuch, vor der Treppe des Gothamer Justizpalastes – dauernd wird gesungen. Dazu kommen mehrere gemeinsame Shownummern, die Hirngespinste des phantasierenden Paars sind.
"Entertainment ist ein zu großes Wort"
Bei jedem Umschnitt auf Lady Gaga fährt einem die Angst in die Glieder, sie könnte nun ein weiteres Liedchen aus irgendeinem Hollywood-Musical anstimmen. Das hat weder die Komponistin Hildur Guðnadóttir verdient, die einmal mehr eine faszinierend-düstere Musik für die anderen Szenen geschrieben hat. Und Joaquin Phoenix hat es eben auch nicht verdient, dass die Partnerin seine noch verfeinerte Studie eines Psychopathen und verlorenen Mannes weitgehend sabotiert.
Wegen Phoenix lohnt es sich, den mit 138 Minuten viel zu langen Film anzuschauen. Vielleicht besinnt sich Todd Phillips eines Tages und erstellt einen Director's Cut: 90 Minuten, in denen Arthur Fleck und sein Joker-Alter-Ego im Mittelpunkt stehen: die einzig sinnvolle "Folie à Deux".
Auch im "Joker" wurde gesungen. Nur nicht so ausgiebig und nervtötend. Es ist doch eine Frage der Dosis. Für den ersten Film hatte Guðnadóttir hinreißende Orchester-Paraphrasen für Stephen Sondheims Song "Where are the clowns" geschaffen. Und erinnern wir uns an Steve McQueens "Shame" (2011), in dem Carey Mulligan in einer Piano-Bar eine melancholisch-verhaltene Version des Sinatra-Hits "New York, New York" anstimmt. Als wollte sie an diesen zauberhaften Kinomoment anschließen, haucht Lady Gaga einmal eine Coverversion eines Lieds aus einem Film mit Fred Astaire: "A clown with his pants falling down / Or the dance that's a dream of romance / Or the scene where the villain is mean / That’s entertainment“. Alles nicht falsch, passt der Songtext doch gut zu diesem "Batman"-Spin-off (diesmal aber ganz ohne die Wayne-Familie). Allerdings: "Entertainment" ist ein zu großes Wort für diesen Flop.