Ein heißer Augusttag im New Yorker Kunstviertel Chelsea. Draußen kocht der Asphalt in der Sonne, drinnen pustet die Klimaanlage, sodass ein leichtes Strickjäckchen über der Gänsehaut nicht schaden kann. Vielleicht ist es die Kühlung, die die Gruppe junger Menschen in die Galerie zieht, vielleicht aber auch die bunt zusammengewürfelte Sommerschau, in der Künstler aus der Skater-Szene dabei sind.
Es sind 15 oder 20 Jugendliche, mehrere davon Schwarz, die mit ihrem Betreuer den großen, neonlichthellen Raum betreten und dann ein bisschen verloren herumstehen. Eine der Galeriemitarbeiterinnen am Empfang juckt sofort ihre frühere Kunstvermittlerinnen-Erfahrung aus Berlin in den Fingern. Sie fragt ihre Kollegin, ob sie den Kids eine kurze Führung anbieten soll und erntet als Reaktion entsetzt geweitete Augen und vehementes Kopfschütteln. "Don't talk to them", sagt die Kollegin, ohne die Gruppe aus den Augen zu lassen. Als die offensichtlich verdächtig wirkenden Besucher die Treppe ins Obergeschoss nehmen, ruft sie dort am Tresen an, um das Rest-Team vorzuwarnen.
Diese Szene spielte sich im Sommer 2014 in einer der damals bekanntesten New Yorker Galerien ab. Die Autorin dieses Textes (die mit dem Vermittlungs-Jucken) absolvierte dort ihren ersten - und bisher auch letzten - Job im Kunsthandel. Der Eindruck, der sich dort aufdrängte: Die Inhaber und das Direktorenteam waren interessiert an glamourösen Eröffnungen mit den "richtigen" Leuten. Wer dort arbeitete, musste sich die Gesichter wichtiger Sammlerinnen und Sammler (meistens männlich) einprägen, um sie bei einem möglichen Spontanbesuch freudig zu umschwärmen und zu den Chefs zu geleiten. Woran niemand interessiert war: Kontakt zu einem "normalen" Publikum aufzunehmen, das sich ohne sofort ersichtliches Kaufinteresse in ihre Räume verirrte.
Je exklusiver das Angebot, desto höher die empfundene Hürde
Diese sehr US-amerikanische Kunstwelt-Erfahrung ist sicher nicht repräsentativ. Doch die Frage, ob Galerien eigentlich exklusive Conceptstores für Auserwählte oder frei zugängliche Ausstellungsorte mit Publikum sind, ist eine interessante - und gar nicht so eindeutig zu beantworten.
Theoretisch ist eine Stadt mit aktiver Galerienszene eine Schatztruhe für kostenlose Ausstellungen. Oft finden sich dort die aufstrebenden und wiederentdeckten Positionen, die erst durch ihre Präsenz bei einem renommierten Händler auf der großen Kunst-Bühne landen. Viele der Präsentationen haben kuratorischen Anspruch und Museumsqualität. Der Warencharakter der Kunst tritt durch das Ausstellungsdesign und den Anschluss an Diskurse im Kunstfeld in den Hintergrund (die wichtigen Geschäfte werden sowieso unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Hinterzimmer gemacht). Und doch fällt es den meisten Menschen nicht mal im Traum ein, aus Interesse oder Vergnügen eine Galerie zu betreten. Viele wissen nicht, dass man einfach so über die Schwelle der meist schicken Verkaufsräume gehen kann. Andere haben Hemmungen, den landläufig als elitär betrachteten Kunstkosmos zu betreten.
Es ist ein wenig wie bei Luxus-Modegeschäften. Eigentlich ist es auch dort möglich, mit leerem Portemonnaie nur zu stöbern, doch erfordert ein solcher Ausflug durchaus Mut und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Auch die Atmosphäre ist unter den Augen von Wachpersonal nicht immer einladend, besonders, wenn man äußerlich nicht dem Stereotyp eines weißen, wohlhabenden Kunden entspricht. Für Boutiquen wie für Galerien gilt: Je exklusiver das Angebot, desto höher die empfundene Hürde.
Publikums-Management statt Interaktion
Hat sich eine Besucherin einen Ruck gegeben und doch einen Gallery Space betreten, kann der Empfang sehr unterschiedlich ausfallen. Im ungünstigen Fall sind die Mitarbeitenden hinter einer Schreibtischfestung verbarrikadiert und schauen kaum von ihren Macbooks auf. Vor kurzem machte die Londoner Mega-Galerie White Cube Schlagzeilen, weil sie dutzende hauseigene Aufsichtspersonen - meist Studierende oder Künstlerinnen - entließ und durch externe Securitykräfte ersetzte. Damit werde der Fokus von Publikums-Interaktion zu Publikums-Management verschoben, klagten die Geschassten in einem Beschwerdebrief. Ein Trend, der sich auch bei anderen großen Playern des Kunstmarkts fortsetze.
Antonia Ruder, Direktorin des Berliner Gallery Weekends vermutet zwei Faktoren, die Menschen vom Besuch in Galerien abhalten: "Der White Cube als privatwirtschaftlich organisierter Raum wirkt vermutlich etwas hermetisch auf Menschen, die es nicht gewohnt sind, solche Kunstorte zu besuchen", sagt sie. "Die Angst vor unzureichender Kenntnis und mangelnder Kaufabsicht könnten weitere Hindernisse sein."
Dabei bemühen sich viele Galerien um ihre Rolle als Publikumsdestinationen. Besonders während der Corona-Lockdowns von 2020 bis 2022 wurde die Frage, welchen kulturellen Auftrag die Orte des Kunsthandels haben, intensiv öffentlich diskutiert. Weil Galerien zum Einzelhandel gezählt wurden, durften sie auch dann noch offen bleiben, als Museen bereits geschlossen waren und wurden so zu einer der wenigen Möglichkeiten, in der Pandemie-Zeit physisch Kunst anzuschauen. Andererseits erhielten sie auch Soforthilfen aus den Corona-Sondertöpfen der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) - was nicht unumstritten war. Der Berliner Galerist Thomas Schulte, der sich damals als Sprecher seiner Branche hervortat, sah diese staatliche Unterstützung als Wendepunkt: "Bislang hatten wir das Gefühl, dass wir so viel hochwertige kulturelle Arbeit machen und dafür in der Öffentlichkeit nicht wirklich anerkannt werden", sagte er im Monopol-Interview vom Oktober 2020.
Kostenlose Drinks und Hinterzimmerdeals
Aus dieser finanziellen Zuwendung ergeben sich aber neue Fragen: Wenn Galerien als private Betriebe Steuergeld bekommen, müssten sie dann nicht ein Mindestmaß an Zugänglichkeit garantieren? Und was wären geeignete Kriterien, um diese zu messen? Denn schließlich stehen die Kunsträume allen Passantinnen, Touristen oder Kiez-Anwohnern offen; bei den öffentlichen Vernissagen gibt es sogar oft kostenlose Getränke. Die wirklichen Geschäfte werden jedoch möglichst diskret abseits dieser Publikumsanlässe abgeschlossen, der Eröffnung gehen exklusive Previews und Pre-Previews voraus.
Im höherpreisigen Segment ist es faktisch unmöglich, spontan ein neues Lieblingsbild zu kaufen, wenn man keine langjährige Sammlerbeziehung zu einem Galeristen oder einer Galeristin aufgebaut hat. Und auch bei den Vernissagen schaffen es nur wenige Institutionen, dass sich eine breitere Öffentlichkeit jenseits der klassischen "Kunst-Blase" dafür interessiert. Hier kommen wieder die Berührungsängste ins Spiel, Galerie-Hopping bleibt tendenziell ein elitäres Hobby.
Viele Städte setzen deshalb auf konzertierte Aktionen, bei denen kollektive Cluster-Eröffnungen als Sammler- und Publikumsaktivierung fungieren sollen. Dem Berliner Gallery-Weekend kommt dabei seit rund 20 Jahren eine Pionier-Stellung zu, doch auch die Saisoneröffnungen in Frankfurt am Main (Frankfurt Art Experience), München (Various Others und Open Art), Köln und Düsseldorf (DC Open) und Wien (Curated By) füllen den künstlerischen Jahreskalender mit Galerienfestivals, die geführte Touren und Rahmenprogramm beinhalten.
"Wir haben den Auftrag zur Vermittlung"
"Das Gallery Weekend Berlin möchte dazu beitragen, Schwellenängste zu senken und neben der bestehenden Sammlerschaft auch ein neues Publikum für Kunst zu begeistern", sagt Direktorin Antonia Ruder. Wer sich einmal an einem solchen Wochenende durch vollgestopfte Kunstquartiere mit gehobener Straßenfeststimmung geschoben hat, bekommt den Eindruck, dass das Konzept von Kunst als Ereignis funktioniert. Wenn es nach Ruder geht, sollte ein reges Publikumsinteresse jedoch keine Ausnahme, sondern idealerweise die Regel sein: "Auch außerhalb des großen jährlichen Kunstereignisses Ende April, das tausende nationale und internationale Gäste in die Berliner Galerien bringt, ist der Kunstvermittlungs- und Bildungsauftrag den meisten der 55 Galerien im Gallery Weekend Verbund ein zentrales Anliegen."
Ein Galerist, der diese Aussage sicher unterschreiben würde, ist Judy Lybke, der mit seinem Kunsthandel Eigen+Art einen Standort auf dem Spinnereigelände in Leipzig und eine weitere Galerie sowie das Eigen+Art-Lab für junge Kunst in Berlin betreibt. An einem Samstag, so erzählt Lybke, können in Leipzig schonmal um die 400 Besucherinnen und Besucher den Weg zu ihm finden; das Kunstareal auf dem ehemaligen Industriegelände gehört für Touristen wie für Einheimische zu den Lieblingsorten ihrer Stadt. Welche Organisationsform die Kunstorte dort haben, ob kommerzielle Galerie, Ausstellungshalle oder Projektraum, tritt dabei in den Hintergrund.
Judy Lybke ist es nach eigener Aussage in allen seinen Filialen wichtig, dass sich Menschen willkommen fühlen. "Wenn jemand hereinkommt, sagen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freundlich guten Tag, man bekommt einen Ausstellungstext in die Hand und kann sich etwas über die Ausstellung erklären lassen", sagt er. Für ihn ist diese Form der Kontaktaufnahme unabhängig vom Hintergrund der Gäste eine Kernaufgabe der Galerie. "Im Mittelpunkt stehen die Künstlerinnen und Künstler", sagt er. "Und wir haben den Auftrag, deren Kunst in ihrem Sinne zu vermitteln. Das ist auch eine Frage von Respekt."
"Ich liebe Galerien"
Betrachtet man Galerien aus diesem Blickwinkel, können sie ein Motor von Kulturinteresse sein, auch wenn ihr Kerngeschäft das Verkaufen ist. Auch die Präsenz bei Social Media kann die Grenzen zwischen Museen und kommerziellen Kunstorten weiter verwischen. Wenn man schon mag, was man bei Instagram oder TikTok gesehen hat, ist der Schritt über die Schwelle vielleicht nicht mehr so groß.
Dieter Roelstraete, der 2017 als Team-Mitglied von Adam Szymczyk die 14. Ausgabe der altehrwürdigen Documenta mitgestaltete, kuratiert aktuell für das Wiener Festival Curated by die Gruppenschau "Frictions" in der Galerie Martin Janda. "Ich liebe Galerien", schreibt der Monopol-Kolumnist auf Anfrage.
Er betont, dass diese Orte in der Geschichte der Kunst oftmals avantgardistischer Experimentierräume und Treiber von Innovationen waren, die viel schneller agierten als die trägen Museen. Eine Funktion, die in der jüngeren Vergangenheit teilweise vom explodierenden Kunstmarkt und einer Schicht elitärem Glamour überdeckt wurde.
Brutkästen für einige der abenteuerlichsten Kunstwerke
"Wir sollten aktiv versuchen, ein kulturelles, wirtschaftliches und politisches Klima (wieder) aufzubauen und zu fördern, in dem Galerien erneut zu Brutkästen für einige der abenteuerlichsten Kunstwerke werden können", sagt Roelstraete, "was ein wichtiger Aspekt der Geschichte der Galeriekultur ist. Sicherlich könnte man in der westlichen Nachkriegswelt die Behauptung aufstellen, dass die Idee des Kuratorischen tiefer in der 'privaten' Sphäre der kommerziellen Kunstgalerie verwurzelt ist als in der 'öffentlichen' Sphäre des Kunstmuseums, und es lohnt sich zu hinterfragen, wie relevant der Gegensatz zwischen privat und öffentlich überhaupt ist."
Mit zehn Jahren Abstand fragt sich die ehemalige Galerieassistentin vom Anfang - und Autorin dieses Textes -, wie eigentlich die Erfahrung der Jugendgruppe in der inzwischen geschlossenen New Yorker Galerie war. Ob sie die Ablehnung der Mitarbeitenden gespürt haben - oder die gezeigte Kunst dann sowieso langweilig fanden? Im Nachhinein ist es ärgerlich, dass sich die Vermittlungsabsicht so leicht von der Galerie-Attitüde zum Schweigen bringen ließ. Es hätte viel zu besprechen gegeben.