In Verdis "Otello" ist sie nie aufgetreten, aber die griechische Sängerin Maria Callas (1923-1977) hat Desdemonas Nachtgebet 1964 für die Schallplatte aufgenommen, ganz am Ende ihrer Karriere. "Ave Maria, piena di grazia" – "Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade". Die Stimme zum Mezzosopran heruntergedimmt, die Höhe brüchig. Und trotzdem hat keine Sängerin diesen Abschied vom Leben – Desdemona ahnt, dass Otello sie in dieser Nacht töten wird – schmerzvoll-schöner gesungen.
Wir hören am Anfang von Pablo Larraíns neuem Film diese Stimme, die noch im Abgesang ein Wunderwerk an Ausdruck und Kunstfertigkeit war: "Prega per chi adorando a te si prostra" – "Bete für diejenigen, die dich anbeten und sich vor dir niederwerfen". Während sich diese vom Leben gezeichnete, flackernde Stimme auf der Tonspur in die hohe Lage aufschwingt, sind große Momente ihrer Laufbahn zu sehen. Wobei man sich erst daran gewöhnen muss, dass der Star auf den verrauschten Filmclips das Gesicht von Angelina Jolie hat.
Diese verkörpert die alternde, tablettensüchtige und herzkranke Callas derart überzeugend, dass man bald nicht mehr an Schauspielerei und Inszenierung denkt. Beziehungsweise: Selbstinszenierung und Selbstschutz im Kostüm und Gehabe der Diva gehörten bei der Callas bis fast zuletzt dazu. Sie wolle gar nichts essen und trinken, lässt der Drehbuchautor Steven Knight die Sopranistin a.D. in einem Pariser Straßencafé sagen. Sie sitze hier, um bewundert zu werden.
Die letzten Tage in Paris
Callas’ Problem war allerdings, dass die Publikumsgunst schnell in Hass umschlagen konnte, wenn ihr Perfektionismus und ihre Liebe zur Musik die Sängerin zwang, Vorstellungen abzusagen. Besonders der "Rome Walkout" 1958 – ihr Abgang nach einem mit schwerer Erkältung durchgestandenen ersten Akt von "Norma", bei dem ausgerechnet Staatspräsident Gronchi in der Loge saß – hatte traumatische Folgen für die Psyche der Sängerin.
Das "Doppelleben" einer empfindsamen Frau und eines scheinbar toughen Bühnentiers (Spitzname: "Tigerin") spielt in Larraíns drittem Film über eine historische Frauenfigur nach "Jackie" (2016, um John F. Kennedys Witwe) und "Spencer" (sein Prinzessin-Diana-Film von 2021) eine zentrale Rolle.
Wie die Vorgängerwerke ist auch "Maria" nun auf der Mostra, den Filmfestspielen von Venedig, uraufgeführt worden. Und wie die ersten beiden Teile der Trilogie fokussiert der Callas-Film auf einen eng begrenzten Zeitraum, in den Larraín allerdings Rückblenden und Fake-Dokumentarszenen einfließen lässt. Die Rahmenhandlung zeigt die letzten Tage der Diva in Paris, wie sie ihre Pudel füttert und von ihrem Butler und Chauffeur Ferrucio (Pierfrancesco Favino) und ihrer Köchin Bruna (Alba Rohrwacher) umsorgt wird.
Zum Gesang brutzelt nur das Omelette
Ein Beispiel für die raffinierte Montage von Bild und Ton ist eine zwischen einem Theaterauftritt aus der Pariser Oper – irgendwann in den frühen 1960ern – und Callas’ Küche in der Avenue Georges-Mandel wechselnde Sequenz. In dieser hört man die berühmte "Casta Diva"-Arie einmal mit und, nach einem Schnitt, ohne Orchester. In der Küche brutzelt zur Gesangsbegleitung nur das Omelette in der Pfanne. Köchin Bruna hat gewissermaßen das Dirigat übernommen.
Doch Callas, ganz eigensinnige Diva, will sich gerade in dieser Lebensphase nicht dominieren lassen, auch wenn die Dienerschaft allein ihr Wohl im Auge hat. Die Pillen, die ihr nicht guttun, nimmt sie gegen Brunas und Ferrucios Rat trotzdem weiter. Da ist es kein Wunder, dass einige Gäste, die Maria in ihrem Apartment besuchen und zu Spaziergängen begleiten, gar nicht wirklich existieren.
Einem jungen Reporter namens Mandrax (Kodi Smit-McPhee) gibt sie ihr letztes Interview – in ihrer Phantasie. Mandrax hieß das stark abhängig machende Schlafmittel, das Callas sich regelmäßig verschreiben ließ. Traum und Wirklichkeit, das Gestern und die Gegenwart, Oper und ordinary life fließen beständig ineinander: Eindrucksvoll, fast kitschig, ist eine eingebildete Stand-Up-Aufführung von Puccinis "Madama Butterfly" vor (!) der Opéra Bastille, mit kostümierten Choristinnen und einer Callas, der die Bühnenschminke im Pariser Regen vom Gesicht herunterläuft.
Puccini wirkt immer
Mit gewaltigem Aufwand hat Larraín auch bei Cherubinis "Medea" oder Donizettis "Anna Bolena" die entsprechenden, fotografisch überlieferten Inszenierungen mit Jolie in Callas-Kostümen nachinszeniert. Sorgfältig wurden die Musikstücke und Schallplatten-Aufnahmen ausgesucht. Ob wir in einer Szene die junge, hochdramatische Callas oder die abgeklärte, mitunter brüchige Stimme der Spätzeit hören (sie hat diverse Opern zweimal aufgenommen) – spürbar steckt viel Überlegung in den akustischen Entscheidungen.
Mit ihrer Stimme ging es bergab, als Callas 1959 ihren Landsmann, den Milliardär Aristoteles Onassis kennenlernte; ihre Liebesgeschichte war gefundenes Fressen für die Boulevardpresse und fehlt bis heute in keiner Callas-Biografie. Bald ließ sich die Sängerin damals von ihrem wohlhabenden Förderer und Ehemann Giovanni Battista Meneghini scheiden. Letzterer spielt in "Maria" nur einen Nebenpart, während Onassis (Haluk Bilginer) eine größere Rolle zugedacht bekommt: Hier einmal nicht als rücksichtsloser Macho, der Callas wie ein Schmuckstück begehrt.
Tatsächlich ließ Onassis sie nach knapp zehn Jahren sitzen; von seiner Eheschließung mit Jackie Kennedy erfuhr die Sängerin aus der Presse. Larraín zeigt Callas’ – deren Freundschaft mit Onassis sich tatsächlich am Ende vertiefte – am Sterbebett des Milliardärs. Eine bewegende Szene, die mit der tränenseligen Abschiedsmusik aus dem dritten Akt von "Tosca" unterlegt ist. Puccini wirkt immer.
Leben von der Kunst und von der Liebe
Die Sängerin mochte gerade diesen Komponisten nicht besonders, während sie Donizetti, Bellini und Verdi anbetete. Es erklingt eine Spur zu viel Puccini in "Maria", der ein breites Publikum ansprechen will. Das geht in Ordnung und entspricht durchaus der Popularität der Gattung Oper bis in die 1960er, während ernsthaftes Musiktheater heute als elitär verschrien ist.
Nun gut, als Puccinis "Tosca" hat sie wirklich Maßstäbe gesetzt, die stolze römische Gesangsdiva (!) Floria Tosca war ihre erste und letzte Bühnenrolle. "Vissi d'arte, vissi d’amore" – die Arie ist denn in "Maria" auch ihr Schwanengesang. Sie lebte von der Kunst, sie lebte (seit Onassis) auch von der Liebe. Perfekt lippensynchron und Callas-like performt Angelina Jolie den einsamen Auftritt (Maria singt nurmehr für sich selbst und stirbt dabei), und die Tontechniker haben ein paar asthmatische Atemzüge und Huster der Schauspielerin in die 1953-Aufnahme einmontiert.
"Maria" ist der mit Abstand aufwändigste Callas-Film aller Zeiten. Larraín nutzt den ganzen technischen Apparat, der heute zu Verfügung steht, um ihre Lebensumstände und das Paris der späten 1970er zu rekonstruieren – inklusive der Flashbacks, die bis in ihre Jugend im von Nazis besetzten Griechenland zurückreichen. Schwarzweiß-Szenen zeigen eine junge Maria (Aggelina Papadopoulou), die von ihrer Mutter dazu gedrängt wird, vor SS-Leuten zu singen – und offenbar auch von Wehrmachtsangehörigen sexuell missbraucht wird.
Gefeierte und geschmähte Figur
Der Film ist keine lupenrein faktentreue Biografie und will das auch nicht sein. Angesichts der vielen Pillendosen in ihrer Schublade müsste Callas weit zerrütteter sein, als Jolie sie verkörpert: Eine zwar nervlich angegriffene, reizbare Frau, bei der trotzdem Abgeklärtheit und innere Reife vorherrschen. Larraín und Jolie entwerfen das Bild einer Künstlerin, die sich am Lebensende die Kontrolle und die Deutungshoheit über ihre Biografie zurückholt.
Callas war eine öffentliche, eine gefeierte wie geschmähte Frau. Jeder Opernabend war für sie von Euphorie und Versagensangst zugleich geprägt. Aber Maria will nicht mehr – mit Hermann Hesse – die Kerze sein, die an beiden Enden brennt. Sie will ihren Frieden mit der Welt schließen. Wo der Film der Sängerin ein Vieraugengespräch mit John F. Kennedy andichtet, wird das Thema weiblichen Empowerments vielleicht überstrapaziert. Da erklärt Callas dem US-Präsidenten, was sie von ihm als Privatmann hält: nicht viel.
Die Diva souverän auch auf dem politischen Parkett? Hier nimmt "Maria" den Mund sozusagen etwas zu voll. Was die Künstlerin angeht, muss man Ingeborg Bachmann beipflichten, die sie 1956 an der Scala als "La Traviata" erlebte: "Da steht ein gefährlicher Mensch auf der Bühne. Ein Mensch, der gefährlich sein wollte und sich selbst gefährdete, um zu ergreifen", schrieb Bachmann, die zudem fand, dass Maria Callas "singt und spielt, als hätte sie einige Teufel und Engel in sich". Genau das hört man im "Ave Maria" der von Shakespeares und Verdis Konzeption her engelshaften Desdemona (deren Musik sich leitmotivisch durch den gesamten Film zieht). "Prega per chi adorando a te si prostra": Die Callas-Stimme schwebt in himmlischen Sopranregionen. Aber es schwingt etwas Dunkles, Abgründiges darin mit, ein Lebensschmerz, den Steven Knight, Pablo Larraín und Angelina Jolie durchaus begriffen haben.