"Tim Burton's Labyrinth" in Berlin

Leider ungeil

"Tim Burton's Labyrinth" lädt in Berlin dazu ein, sich in den fantastischen Welten des berühmten Filmemachers zu verlieren. Doch das als Irrgarten beworbene Panoptikum ist nicht einmal so aufregend wie ein Gemüsebeet

Als habe jemand seine Socken an die Wand genagelt, ätzte Tim Burton über die Schau. Gemeint ist nicht die neue Wanderausstellung um die surrealen Welten des berühmten Filmemachers, Künstlers und Autors, sondern eine frühere, die 2009 im New Yorker MoMA eröffnet wurde. Ob ihn "Tim Burton's Labyrinth" aus den Schuhen gehauen hat, wissen wir nicht. Falls nein, würde er es nicht mitteilen, denn der US-Amerikaner mit dem Faible für schwarzen britischen Humor verdient diesmal kräftig mit.

Das schräge Panoptikum war erstmals 2022 in Madrid zu sehen und ist nun nach weiteren Stationen in Paris, Brüssel und Barcelona in der deutschen Hauptstadt angekommen. Er selber war bei der Eröffnung nicht dabei, anders als in den genannten Städten. Denn Burton dreht in Irland gerade eine zweite Staffel der Serie "Wednesday" um die Tochter der morbiden Addams Family. Den ruinöse Charme der Berlin-Friedrichshainer Radsetzerei, in der seine Monstren und Mutationen nun campieren, würde der Meister lieben.

Das Design stammt von dem Spanier Alvaro Molina, einem gefragten Spezialisten für Live-Shows und Popkonzerte, der die "immersive Erfahrung" der Schau als "Besuch in Tim Burtons Gehirn" anmoderiert hat. Ziemlich aufgeräumt scheint es im Oberstübchen des Spezialisten für Chaos und Höllenstürze zu sein – das überrascht.

Clevere Verkaufsstrategie

"Hinter jeder Tür verbirgt sich ein neues Erlebnis … und Du alleine entscheidest, welche Tür du als nächstes öffnen wirst. Wähle also weise, welchen Weg Du durchs Labyrinth nimmst!" – diese Risiken und Nebenwirkungen implizierende Gebrauchsanweisung klingt ziemlich vollmundig. Dahinter steckt eine clevere Verkaufsstrategie. Richtig ist, dass der Parcours nicht als klassischer Rundgang aufgebaut wurde. Dennoch ist das vorgebliche Burton-Dickicht übersichtlicher als behauptet. Das "allgemeine Ticket" kostet für Erwachsene 23 Euro. Mit diesem Billett darf man nur einmal durch die Ausstellung; und da mitunter die Wahl zwischen verschiedenen Türen zu treffen ist, verpasst man den einen oder anderen Themenraum. 

Wer die fiesen Außerirdischen aus "Mars Attacks", den charmanten cineastischen Stümper Ed Wood oder Burtons "Batman"-Versionen vermisst, hat als Geizhals vielleicht einfach nur die falschen Klinken gedrückt. Geprellt könnte sich aber ebenso die Käuferschaft des Premium-Tickets zu 34 Euro fühlen (die darf mehrmals über Los) denn öfters steckt hinter bis zu drei Türeingängen derselbe Themenraum. Raffiniert! Der gewiefte Willi Wonka, seines Zeichens Schokoladenfabrikant, könnte neidisch werden!

Das Strukturprinzip ist in allen Räumen gleich. Jede Kammer ist jeweils einem Tim-Burton-Projekt gewidmet. Lebensgroße Figuren aus Kunststoff sind bekannten Figuren nachgebildet und tragen mitunter unverkennbar Gesichter von Schauspielern wie Johnny Depp oder Michael Keaton beziehungsweise von Darstellerinnen wie Helena Bonham Carter. Neben Skizzen sind animierte Sequenzen auf kleinen Videoscreens zu sehen. Außerdem schaffen raumfüllende Videoprojektionen – etwa von auf dem Boden herumkrabbelnde Kakerlaken bei "Beetlejuice" – ebenso Atmosphäre wie der dem jeweiligen Film entsprechende Soundtrack als Dauerschleife – der ja in den meisten Fällen von dem wunderbaren Danny Elfman stammt. Deine Komposition als Fahrstuhlmusik! – das lässt das Musikerherz sicher höher schlagen. Wenn auch nur: vor Ärger.

Immersions-Schnickschnack

Immerhin wirkungsvoll: das mit der Überschrift "Freunde und Feinde" versehene Kabinett mit der Roten Königin und einem ihrer Soldaten aus "Alice im Wunderland", dessen Wände teils mit Spiegeln, teils mit rotem Samt ausgekleidet sind. Effektvoll auch der dem Puppentrickfilm "Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche" gewidmete Raum, in dem sich zwei unsterblich Verliebte als große Plastikfiguren gegenüberstehen: Adelsspross Victor und die untote Emily, sie mit wehendem und löcherigem Schleier. Ein verwunschener Wald spielt in der Geschichte eine zentrale Rolle, und so wird das Paar dieses Raums von stilisierten Bäumen flankiert, die von Burtons unnachahmlichem Zeichenstil geprägt sind.

Überhaupt sind die Zeichnungen und gemalten Skizzen das Beste in der Ausstellung. Weil hier die Kunst spricht und nicht der Immersions-Schnickschnack. Immerhin 150 Burton-Originale sind zu sehen, darunter grinsende Schoßhündchen mit Messern im Rücken, diverse Studien zu "Edward mit den Scherenhänden" oder ein Jack Skellington aus "Nightmare before Christmas", der im Entwurf um ein Vielfaches grusliger wirkt als das animierte Skelett der Filmversion von 1993. Die Skizzen deuten einen Blick in die Werkstatt von Burton an sowie die Stadien einer aufwendigen Stoffentwicklung. Erhellend auch der vom Ausstellungsteam realisierte Animationsfilm eines Gefechts zwischen Fantasiemonstern, das aus dem Projektstadium nie herauskam. Die Nebenpfade und Sackgassen in Burtons Schaffen sind also interessant an der Ausstellung – nur eben spärlich gesät. 

Wie ein schlecht gelauntes Gemüsebeet

Für Fans, aber auch für diejenigen, die mal in Tim Burtons von Gespenstern gesäumte und von Leichen gepflasterte Welt hineinschnuppern wollen, kann das ein unterhaltsamer Zeitvertreib sein. Zum Surrogat fürs Kinoerlebnis taugt das "Labyrinth" weniger, und von den knappen Texten und Zitaten sollte man auch keine besondere Vertiefung erwarten.

Verflachung passt eher. Was als Irrgarten gelabelt wird, verkümmert in der praktischen Erfahrung zum mäßig irren Garten: Das Labyrinthchen ist ungefähr so wahnsinnig wie ein schlecht gelauntes Gemüsebeet. Der leicht frustrierte Tim-Burton-Verehrer tröstet sich mit der Vorfreude auf "Beetlejuice Beetlejuice" ab 6. September im Kino, ein Sequel, in dem Michael Keaton nach 36 Jahren noch einmal den titelgebenden Poltergeist verkörpert. Da steckt hoffentlich mehr Käfersaft und Überzeugungskraft drin als in der Wanderausstellung.

Selbst der Shop am Ausgang ist ein Flop, eine enttäuschende Merchandising-Auslage mit ein paar Ringelshirts, Burton-Bechern und überteuerten Notizbüchlein. Bitte notieren: langweiliges "Labyrinth".