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Die Ateliertür ist stählern und sattgelb wie ein alter Berliner U-Bahn-Wagen, der Aufzug geht gerade nicht und die Namensschilder an den Ateliers im Treppenhaus sind handgemalt. Mariechen Danz’ Studio im Stadtteil Wedding atmet den Geist Berlins vor der Gentrifizierung. In den lichtdurchfluteten Räumen, in denen die in Irland geborene, aber schon seit über zwei Dekaden in Berlin wirkende Künstlerin arbeitet, sieht es auf den ersten Blick aus wie bei einem Organhändler.
Menschliche Herzen, Nieren, Ohrmuscheln und Bauchspeicheldrüsen liegen im Regal bereit, man kann sie in die Hand nehmen und die darin eingelassenen Objekte bewundern, oft sind es Fossilien. Solche unter anderem aus Kunstharz oder Glas nachgegossenen Körperteile werden auch in der Soloschau zu sehen sein, die Mariechen Danz anlässlich der Verleihung des Gasag-Preises in der Berlinischen Galerie ausgerichtet wird.
Als Kooperation zwischen dem Energieunternehmen und dem Berliner Landesmuseum ehrt der Preis alle zwei Jahre "eine herausragende künstlerische Position an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik". Das passt auf Mariechen Danz dann auch tatsächlich ziemlich gut. Das Körperinnere und der Kosmos, Geologie und Anatomie, industrielle und natürliche Materialien überschneiden sich in ihren Arbeiten.
Die Anatomie im Zentrum
Bei den Performances, die Danz in ihren Ausstellungen aufführt, wird die menschliche Stimme zum Zentrum, die nicht nur singen und sprechen, sondern durch das Spiel von Wiederholung und Variation auch Wissen erzeugen, festhalten und weitergeben kann. Die Vermittlung von Information steht auch bei geografischen Karten im Mittelpunkt, doch die waren jahrhundertelang voller Leerstellen und Fehler.
Es sei schon seltsam, sagt die Künstlerin im Gespräch, dass wir ohne Organe gar nicht leben könnten, aber doch so wenig über ihr Aussehen und ihre Position in unserem Körper wissen. Anders als Knochen und Zähne erhalten Leber und Herz sich nicht über den Tod hinaus, Mumifizierung hilft nicht. Auch die Anatomiegeschichte ist deshalb voll tradierter Irrtümer. Das fasziniert Danz: wie Wissen entsteht und wie es sich mit Macht verbindet.
Organe sind ihr auch Metaphern dafür, wie Lernprozesse ablaufen, wobei die Vorlagen ihrer Güsse selbst aus dem medizinischen Lehrbetrieb stammen. Die Niere denkt mit – die Trennung in den noblen Denkapparat und den gedankenlosen Rest ist medizinisch obsolet, unser vertikales Hierarchiedenken falsch. Auf einem Tisch liegen Fußsohlen, gegossen oder nachgeformt unter anderem in Sand, Lehm, Asphalt, Beton, Holzspänen und Erde, Spuren des Kontakts von Mensch und Umwelt. 250 davon werden über die Wände der Berlinischen Galerie laufen, die man wiederum als Karte begreifen soll.
Der kritische Geist der Ausstellung
Mariechen Danz ist übrigens kein Künstlername. Geboren 1980 in Dublin als Tochter eines Deutschen und einer Irin, gab ihr Vater ihr den Spitznamen seiner Tante. Danz studierte in Berlin an der Universität der Künste, an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam und am California Institute of the Arts. Im Jahr 2017 gestaltete sie bei der 57. Biennale von Venedig für den dionysischen Pavillon in der Hauptausstellung einen eigenen Raum. Bei der Istanbul Biennale zwei Jahre später formte Danz in Anlehnung an die ottomanische Architektur der Haliç-Werft Tausende Lehmziegel und prägte die Konturen menschlicher Organe hinein: der Beginn einer neuen Werkgruppe.
Der Schauplatz, ein Komplex aus dem 15. Jahrhundert, wurde kurz vor Eröffnung unangekündigt überbaut und so Wochen der Arbeit begraben, die Idee aber blieb. In der Berliner Schau wird es einen Schreibtisch aus 2000 solcher Body Bricks geben. Inspiriert wurde das Design des Möbelstücks von dem afroamerikanischen Modemacher Willi Smith (1948–1987), der sich in den Achtzigern vom Designkollektiv SITE für sein Büro einen Schreibtisch aus Ziegelsteinen hatte entwerfen lassen – wobei diesem eine Ecke fehlte. Der imposante Schreibtisch als bröckelndes Machtorgan, das passt zum kritischen Geist ihrer Kunst.
Gegossene Organe werden auf dünnen Metallstangen aus diesem herauswachsen, aufgespießt wie die Pinnnadel-Markierungen in einem Kartenwerk im Internet. Die ganze Schau wird überhaupt einer Landkarte ähneln, einem an den Seiten hochgeklappten Kartenwerk. Damit reagiert Danz auf die besonderen räumlichen Anforderungen der Museumsarchitektur. Der Saal, in dem die Gasag-Preissaustellung stattfindet, ist für jeden Künstler eine Herausforderung. Zehn Meter hoch sind die Decken, der Raum 42 Meter lang und acht Meter schmal.
Eine Art begehbares Ersatzalphabet
Danz wird eine immersive Umgebung schaffen, wird mit Video, Licht- und Schattenspielen arbeiten und so den vom ersten Stock aus einsehbaren Saal zusätzlich entgrenzen. Zur Eröffnung wird es eine akrobatische Performance geben und an den Wänden klappbare Objekte aus Aluminiumblech. Die Ausstanzungen in den Platten werden nach Kundenwunsch von der Herstellerfirma vorgenommen.
Danz lässt das Industrieprodukt zu minimal anthropomorph geformten Tafeln voller rätselhafter Informationen werden, die uns zu Interpretationsversuchen herausfordern. Doch nicht jedes Zeichen muss etwas bedeuten, das ist ja der Witz. Danz’ Berliner Ausstellung verspricht eine Art begehbares Ersatzalphabet, das unsere gewohnten sprachlichen Regeln unterläuft und neue Pfade aufzeigt – und seien es solche, die über Wände und Decken verlaufen.
Dieser Artikel erschien zuerst in Monopol-Sonderheft zur Berlin Art Week 2024.