Industriedenkmal Völklinger Hütte

Das Weltkulturmonster

Das ehemalige Eisenwerk Völklinger Hütte im Saarland ist heute einer der spannendsten deutschen Kunstorte. Zum 30. Jahrestag des Unesco-Welterbe-Titels feiert er mit Ausstellungen zum Rohstoffabbau und der Geschichte des deutschen Films

Kaum hat man den Bahnhof im saarländischen Völklingen verlassen, erhebt sich vor einem das Monstrum aus rostenden Hochöfen und Rohrgeflecht. Mit einer "Hütte" im Wortsinn hat das bekannteste Industriedenkmal der Region wahrlich nichts gemein! Auf einer Fläche von 7,46 Hektar – und damit nur einem Bruchteil des rund 260 Hektar großen Völklinger Saarstahl-Areals – erstreckt sich das ehemalige Eisenwerk Völklinger Hütte, das 1986 im Zuge des großen Zechensterbens jener Jahre abgewickelt wurde. Bis dahin war die Geschichte dieses monumentalen Schrotthaufens von Höhen und Tiefen der Stahl- und Eisenproduktion geprägt. 

Auf dem (moralischen) Tiefpunkt 1944 arbeiteten hier über 12.000 Menschen, die zum größten Teil als Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie und die Produktion von Stahlhelmen rekrutiert wurden. Eine permanente Installation von Künstler Christian Boltanski in der Sinteranlage erinnert heute an diese Menschen. 20 Jahre später, in der wirtschaftlichen Blütezeit, waren es 17.000, die hier ihren Henkelmann in der Pause hervorkramten. 

Schon der Weg zum Eingang der Hütte durch eine Unterführung zeugt davon, was Generationen von Arbeitern hier im Schweiße ihres Angesichts geleistet haben: "Wer seine Arbeit richtig geschafft hat, der war fertig. (…) Eine Doppelschicht von 16 Stunden war sowieso üblich. Und wenn es Störungen gab, dann hat man halt länger gemacht …", ist dort als fotobegleitender Text hinter Plexiglas zu lesen. Das alles bei einer enormen Hitze, die den Flüssigkeitsverbrauch am Hochofen auf Fünf-Liter-Kannen Tee hochtrieb.


Malocher, die zu solch harten Bedingungen gearbeitet haben, gibt es hier heute nicht mehr. Denn nach einem jahrelangen Kampf um die Hütte als Kulturdenkmal, der mit Zwischennutzungen einherging, wurde die einstige Stahlschmiede der Röchling-Dynastie 1994 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt – als erstes Industriedenkmal ihrer Epoche. Seitdem haben hier Kunst und Kultur offiziell ihren Betrieb aufgenommen. 

Mit Urban Art, Musik-Events und Ausstellungen, deren Besucherzahlen schon mal die 200.000 touchieren (wie bei der Kelten-Schau 2011), hat sich das Werk als ein beliebter Kultur- und Freizeittreff etabliert. Die Reiseplattform Merian kürte die Völklinger Hütte gerade zu einem der sieben sehenswertesten Museen des Landes. 

Eine Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Unternehmerfamilie Röchling, die für das Saarland die gleiche Bedeutung hatte wie Thyssen-Krupp für das Ruhrgebiet. In den letzten Jahren wurde zunehmend auch die Fotografie als ein Medium des industriellen Zeitalters in den Fokus gerückt. 2020/21 zum Beispiel gaben unter Kuration von Frank Krämer neun afrikanische Fotografen Einblicke in das Selbstbewusstsein und das Lebensgefühl der Menschen ihrer Heimat. 

Die Geschichte fortschreiben

Jetzt und noch bis zum 1. September werden in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Museum der Arbeit unter anderem Werke von Sebastião Salgado, Pieter Hugo und Lu Guang gezeigt. Diese widmen sich in der Ausstellung "Man & Mining" den Folgen des weltweiten Rohstoffabbaus auf Kosten von Mensch und Natur. Sie sind Teil des Programms zum 30-jährigen Welterbe-Jubiläum und fügen sich hervorragend in das raue Ambiente der weitläufigen Halle ein, in der früher bis zu 12.000 Tonnen Eisenerz gelagert wurden. 

"Die Ausstellung ist auf Engste mit unserer Geschichte verbunden", kommentierte Generaldirektor Ralf Beil die Schau seinerzeit bei der Eröffnung. "Ohne den Abbau von Erz und Kohle hätte es weder ein Eisenwerk noch eine Eisenproduktion gegeben. Diese Geschichte schreiben wir fort mithilfe zahlreicher engagierter Künstler und Künstlerinnen, die sich dem höchst aktuellen Thema der Extraktion, des Rohstoffabbaus, in der Gegenwart widmen." 


Während die Foto-Serie "Permanent Error" des Südafrikaners Pieter Hugo den Betrachtenden mit tausenden Tonnen von elektronischem Schrott aus Europa in Ghana konfrontiert, der von Anwohnern nach Wertstoffen durchforstet wird, hat das Kollektiv Unknown Fields für seine Installation "Rare Erthenware" Vasen aus Schlamm geformt, der bei der Gewinnung seltener Erden angefallen ist. Ein Behälter entspricht dabei der Abfallmenge, die bei der Produktion eines Smartphones, eines Laptops und einer E-Auto-Batterie entsteht. Der Schlamm ist radioaktiv und stammt aus einem See in der Inneren Mongolei in China. 

In der Ausstellung "Der deutsche Film", heißt es dagegen über den Köpfen der Besuchenden noch bis zum 15. September: "Film ab". Auf 6000 Quadratmetern geben rund 100 Projektionen auf Großleinwänden (zu hören mit Audioguide, zu lesen mit englischen Untertiteln) mitten in der historischen Gebläsehalle einen eindrucksvollen Querschnitt durch mehr als ein Jahrhundert Filmgeschichte. 

Wo passen Ausschnitte aus Fritz Langs "Metropolis" oder "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" besser hin als zwischen die Kolben und Schwungräder der gigantischen Gebläsemaschinen, die einst die Hochöfen mit Druckluft versorgten? "Das Boot" gibt in einem geschlossenen Raum eine Etage tiefer die beklemmende Enge eines U-Boots perfekt wieder, während die Engel aus Wim Wenders "Himmel über Berlin" in luftiger Hallenhöhe sitzen. 

"Kenn ich", "Hab ich auch gesehen"

Vom frühen Experimentalfilm der vorletzten Jahrhundertwende über das Kino der Weimarer Republik, den Propagandafilm der NS-Zeit, den Trümmerfilm der Nachkriegszeit, das ostdeutsche Kino bis hin zum gesamtdeutschen Filmschaffen zwischen 1990 und 2023 reicht die Spanne. Mehr als 350 Exponate aus der Deutschen Kinemathek in Berlin ergänzen die Präsentation, darunter Manuskripte, Drehbücher, Zeichnungen, Briefe, Setfotos, Starpostkarten und Werbematerialien. 

Aber auch Leuchtreklamen, riesige Filmplakate, Kostüme, die "Nosferatu"-Maske von Klaus Kinski, ein Schneidetisch sowie die Original-Kamera von Leni Riefenstahl sind zu sehen. Niemand wird hier ohne wenigstens ein Aha-Erlebnis à la "Kenn' ich", "Hab' ich auch gesehen", "Hab' ich nie gesehen", "Wollt' ich immer schon mal sehen", "Fand ich toll", "Fand ich ätzend" hinausgehen – so viel ist garantiert. 

Wer dann noch nicht genug hat, dem seien die "anarchischen Kunstformen jenseits herkömmlicher White Cube-Ästhetik" empfohlen, wie es im Pressetext heißt. Mit anderen Worten: auch der Street- und Graffiti-Kunst wird Raum gegeben. So findet auf dem Fabrikgelände alle zwei Jahre die Urban Art Biennale statt. 2024 stehen neben politischen In-Situ-Arbeiten vor allem regionale, partizipative Projekte im Mittelpunkt. Betreut wurde das Projekt von den niederländischen Künstlerpaar Krista Burger und Kenneth Letsoin. Im Rahmen einer ersten Künstler-Residency verbrachten die beiden mehrere Wochen in Völklingen, wo sie kunstsinnige Kreative eingeladen haben, eigene Bilder zu malen.  Die Einzelwerke fügten sie dann zu einer kollektiv erschaffenen Installation zusammen, die nun neben anderen Kunstprojekten noch bis zum 10. November zu sehen ist.