Künstlerin Nina Beier

"Manchmal stoßen die Dinge zusammen und es ist ein perfektes Match"

Die Künstlerin Nina Beier lässt gefundene Objekte aufeinander los und entlockt ihnen ungeahnt aufregende Geschichten. Hier spricht sie über weinende Statuen, den Duchamp-Faktor ihrer Arbeit und den Einsatz von lebenden Tieren in der Kunst


Nina Beier, Sie haben gerade in Helsinki einen Brunnen aufgestellt, bei dem Tränenbäche aus den Augenhöhlen von Frauen- und Kinderstatuen schießen. Ein ziemlich eindrucksvolles Bild. Sollte im öffentlichen Raum mehr geweint werden?

Ich weiß nicht, ob wir mehr Weinen in der Öffentlichkeit brauchen. Aber mit meinen Skulpturen versuche ich generell, die Probleme der Dinge, mit denen wir uns umgeben, an die Oberfläche zu bringen. Das Weinen ist vielleicht genau das: Eine physische Manifestation von etwas, das im Inneren passiert. Das Bild der Tränen könnte man als eine Geschichte sehen, die buchstäblich aus einem Körper oder einem Objekt herausströmt. 

Es gibt auch eine religiöse Assoziation. Die Geschichten von weinenden Marienstatuen ziehen Pilger aus aller Welt an.

Ja, ich glaube, das Wasser belebt diese Objekte. So sehr, dass sie fast wie Zeichentrickfiguren wirken, weil wir mit dieser Art von Tränenflut, die fast wie der Strahl aus einem Feuerwehrschlauch aussieht, so vertraut sind. Dass wir gleich das Wort "weinen" verwenden, sagt schon etwas über die Projektion aus, die stattfindet. Die Inspiration für diesen Brunnen war eigentlich eine Gruppe von Skulpturen in einem Kloster in Portugal, die die fünf Sinne darstellen. In diesem Zusammenhang könnte das Wasser auch einen mächtigen Blick darstellen. 

In Helsinki steht der Brunnen in der Nähe eines sehr prominenten Reiterstandbildes des ehemaligen Generals und Präsidenten Carl Gustav Emil Mannerheim. Sind Ihre weinenden Figuren auch ein verletzliches Gegenmonument zu diesen Herrschern im öffentlichen Raum, die als Symbole für Stärke und Männlichkeit gelten?

In gewisser Weise ist der Brunnen eine Fortsetzung meiner früheren Arbeit mit öffentlichen Skulpturen: Ich habe eine Installation mit gefundenen Reiterstatuen in Belgien gemacht, das waren alles Männer auf Pferden: Soldaten, Ritter, Jockeys und Polospieler. Das zeigt natürlich die Tradition, wen wir darstellen und wie diese öffentlichen Skulpturen bestimmte Hierarchien repräsentieren. Die Art und Weise, wie Frauen und Kinder historisch dargestellt wurden, ist oft das Gegenteil von mächtig. Sie werden nackt abgebildet. Die Statue, die schon in Helsinki steht, schien also ein natürlicher Gesprächspartner für meinen Springbrunnen zu sein. 

Nina Beier "Women & Children", Installationsansicht Finnish National Gallery Kiasma, Helsinki, 2024
Foto: Finnish National Gallery / Petri Virtanen

Nina Beier "Women & Children", Installationsansicht Finnish National Gallery Kiasma, Helsinki, 2024 


Wo findet man eigentlich Bronzeskulpturen, die nicht mehr gebraucht werden?

Meistens bei Antiquitätenhändlern in Europa, die "Frauen und Kinder" wurden in Mexiko gefunden. 

Wissen Sie schon, wonach Sie suchen, oder prägt das Angebot die Kunstwerke, die Sie machen?

Ich schaue mir auf jeden Fall gern die ästhetische Sprache an, die bereits vorhanden ist. Ich bin auf der Suche nach dem Moment, in dem ein Motiv zu einer Trope wird. Es ist sehr aufschlussreich, die verschiedenen Ausdrucksformen zu sehen und zu sehen, wie ein und dasselbe Motiv verändert und neu gestaltet wurde, vor allem durch kommerzielle Kunstproduktion und Amateurkünstler. Ich bin auf der Suche nach dieser Art von Mutationen. In Kopenhagen gibt es zum Beispiel 20 verschiedene Versionen der "Kleinen Meerjungfrau", die in unterschiedlichen Variationen umgestaltet wurden.

Wussten Sie schon immer, dass Sie gut darin sind, Dinge zu finden? Oder dachten Sie, dass man etwas Neues erschaffen muss, wenn man Kunst machen will?

Ich habe ursprünglich mit Fotografie angefangen. Und ich glaube, das hat meine Arbeit mit Skulptur und Performance geprägt: In allen Bereichen geht es darum, etwas Neues in etwas zu sehen, das bereits existiert. In diesem Sinne war es eine natürliche Entwicklung, dass ich mit gefundenen Objekten arbeite. Ich verwende immer noch die Logik und die Werkzeuge der Fotografie. Es hat viel mit dem Bildausschnitt zu tun, oder damit, worauf man sich konzentriert und was man ignoriert. Es gibt so viele Manipulationen in der Fotografie, obwohl wir davon ausgehen, dass sie bis zu einem gewissen Grad ein neutrales Medium ist, oder dass die Fotografie die Wahrheit einfängt. Auch ich interessiere mich für diese Spannung; für etwas, das auf den ersten Blick vertraut und einfach erscheinen mag, das aber sorgfältig bearbeitet und manchmal stark manipuliert wurde, um seine Geschichte zu enthüllen.

Sie kombinieren oft Gegenstände miteinander, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben, dann aber anfangen, miteinander zu sprechen. Ich denke beispielsweise an die zwei mechanischen Rodeo-Bullen, die Plastikkanister auf dem Rücken haben. Wie finden diese Dinge zueinander? Ist das so etwas wie Tinder für Objekte?

Nun, manchmal stoßen sie im Studio einfach zusammen und dann ist es ein perfektes Match. So wie die königlichen Porzellanteller, die perfekt in meine Sammlung von Vogelkäfigen passen, die menschliche Architekturen nachahmen; sie stehen darin wie in einem Geschirrspülregal. Diese beiden Elemente haben einfach zueinander gefunden. Aber meistens interessiere ich mich zuerst für eine Gruppe von Objekten und fange dann an, sie zu sammeln und kennenzulernen. Es gibt einen Prozess, bei dem ich verschiedene Dinge ausprobiere. Bei den Bullen kann ich Ihnen sagen, dass ich sie mit sehr vielen verschiedenen Dingen beladen habe, bis es sich richtig anfühlte. 

Nina Beier "Beast", 2018/2024
Foto: Finnish National Gallery / Petri Virtanen

Nina Beier "Beast", 2018/2024


Das klingt wie eine Menge erfolgloses Dating. Wäre es falsch, diese Objekte als Readymades im kunsthistorischen Sinne zu bezeichnen?

Ich denke, es ist etwas anders als die ursprüngliche Verwendung des Begriffs Readymade. Die Objekte sind nicht nur sie selbst, sie sind für mich eine Art Vehikel, um all das unsichtbare Gepäck, das sie mit sich bringen, in die Gleichung einzubringen. Ich neige dazu, mit Objekten und Verhaltensweisen zu arbeiten, die eine Reise hinter sich haben, die produziert und reproduziert wurden und bei denen sich die Art und Weise, wie wir sie bewerten, verändert hat. Dinge, die ein Durcheinander von Assoziationen, von historischer Verantwortung oder Schuld angehäuft haben. Und meistens suche ich mir Dinge aus, die für die ermüdenden Machtverhältnisse stehen, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist. 

Sie haben im Kiasma in Helsinki eine Serie von farbigen Waschbecken an der Wand installiert, in deren Abflüssen dicke Zigarren stecken. Kann man diese Sanitärobjekte wirklich verwenden, ohne an Duchamp und sein Pissoir zu denken? Die Tatsache, dass die braunen Zigarren wie Phalli oder Exkremente aussehen, könnte ein skulpturales "Fuck you" an diese männlich dominierte Tradition in der Kunst sein. 

Dass das Werk dem berühmtesten Readymade der Geschichte ähnelt, ist natürlich einer der möglichen Assoziations-Wege, die Sie einschlagen können. Er macht Spaß, aber er ist nicht der einzige. Ich suche immer nach Dingen, die mehrdimensional oder sogar widersprüchlich sind. Die gemeinsamen Eigenschaften dieser Waschbecken sind die organischen Formen und die Pastellfarben. Sie wurden zwischen den 1950er- und den 1970er-Jahren hergestellt. Die Namen, die diese spezifischen Farben tragen, wie "Indisches Elfenbein", sprechen von einer kolonialen Logik, und auch das Design dieser Waschbecken fiel mit der Erfindung des Konzepts der Hausfrau zusammen. 

Und die Zigarren?

Die Zigarre ist schon an sich ein Objekt, das mich wegen all der verworrenen Geschichten interessiert, in die es verwickelt ist: von einem Symbol für Reichtum und Patriarchat bis hin zur phallischen Form, von einem kolonialen Handelsobjekt bis hin zu einer giftigen Substanz und einer stolzen alten Tradition. Wenn die Objekte in der Arbeit aufeinandertreffen, geschieht dies in einem formalen Sinne, weil die Formen gut zusammenpassen. Aber auch diese Geschichten prallen aufeinander, wenn auch nicht in einem regelrechten Crash. Ich sehe das eher wie die Shibuya-Kreuzung in Tokio, wo sich die Fußgänger in alle Richtungen gleichzeitig bewegen und sich ineinander verflechten. 

Nina Beier "Plugs", 2018/2024
Foto: Petri Virtanen

Nina Beier "Plugs", 2018/2024


Manchmal arbeiten Sie auch mit lebendigen Tieren. Kürzlich haben Sie die Performance "Tragedy" aus dem Jahr 2011 neu inszeniert, bei der Hunde auf Teppichen im Museum auf Befehl eines Trainers tot spielen. Nachdem Videoclips der Aufführung in den sozialen Medien verbreitet wurden, gab es Vorwürfe der Tierquälerei. Wie haben Sie darauf reagiert?

Die Menschen, die diese Performance live in der Ausstellung gesehen haben, erleben das ganze Werk. Sie sehen, wie die Hunde reinkommen und mit dem Schwanz wedeln und dann aufgefordert werden, sich tot zu stellen. Und dann, wenn sie fertig sind, bekommen sie eine Streicheleinheit von den Trainern. Was mich an diesem Stück interessiert, ist dieser vertraute Moment, in dem der Hund sich hinsetzt, hinlegt und sich umdreht, auch bekannt als "Play dead". Es sind eben diese drei Anweisungen, die die meisten Menschen ihren Hunden beibringen. Dieser Moment, in dem der Mensch die vollständige Kontrolle über das Tier hat, zeigt die Beziehung auf, die wir Menschen zu diesem Planeten haben - und zu allem und jedem, was auf ihm lebt. Die Möglichkeit der vollständigen Kontrolle und der Hingabe, der Wertschätzung oder der Liebe kann in einer Beziehung nebeneinander bestehen. Diese Widersprüche zeigen sich in fast allen menschlichen Beziehungen zur Welt.

Aber wenn man ein Video von der Szene isoliert, in der sich die Hunde tot stellen, sieht man reglose Tiere, die Stress zu haben scheinen. Ist das symptomatisch für das, was passiert, wenn sich Kunstwerke außerhalb ihres Kontexts als Social-Media-Content verbreiten?

Das Unbehagen beim Anblick des Hundes, der unbeweglich daliegt, ist definitiv Teil des Stücks. Das unmittelbare Bild, das dieser Akt erzeugt, interessiert mich. Es offenbart die Projektion unserer Ängste und das Wissen um unsere Sterblichkeit auf das unwissende Tier. Es gehört in den Bereich der menschlichen Symbolik. So emotional dies für den Betrachter auch sein mag, halte ich es für wichtig festzustellen, dass das Bild von den Hunden nicht als solches registriert wird. Davon abgesehen kann ich nachvollziehen, dass dieses Bild, wenn es isoliert wird, Gefahr läuft, eindimensionaler zu wirken. 

Es gibt auch Menschen, die argumentieren, dass man überhaupt keine lebenden Tiere in der Kunst verwenden sollte, weil das immer eine Form des Machtgefälles und des Missbrauchs sei. Können Sie diesen Standpunkt verstehen?

Das kann ich. Und ich denke, ich versuche, über die Grundlagen dieser Frage nachzudenken. Wir leben mit Tieren zusammen, und wir beuten sie aus und nutzen sie auf unzählige Arten als Haustiere. Wir reiten auf ihnen, wir trainieren sie, um uns zu beschützen, wir jagen sie, wir züchten sie und so weiter. Aber ich glaube nicht, dass wir die interessanteste oder wirkungsvollste Kunst bekommen, wenn wir aufhören, direkt auf die Dinge zu schauen, die in der realen Welt existieren. Ich würde es vorziehen, wenn Kunstinstitutionen denselben Gesetzen folgen würden wie der Rest der Welt. Und wir könnten diese Orte vielleicht sogar nutzen, um darüber nachzudenken, ob einige dieser Gewohnheiten stattdessen überdacht werden müssen.