Villa Empain in Brüssel

Minimalismus im Prachtbau

Die Villa Empain in Brüssel ist ein Art-Déco-Kleinod mit wechselhafter Geschichte. Seit 2010 wird sie für Ausstellungen und Kulturevents genutzt - gerade bietet sie den idealen Kontext für eine Schau von Josef und Anni Albers

Seine Welt war das Glas und das Quadrat. Ihre Welt waren Textilien und Grafik. Beide Universen kamen beim künstlerischen dreamteam Josef und Anni Albers zusammen. Die Villa Empain in Brüssel zeigt nun erstmals in Belgien eine Ausstellung, die das Werk der beiden einander gegenüberstellt. Das denkmalgeschützte Gebäude mit seinem vergoldeten Eingang, der Bel Etage, dem Glasdach und dem Pool im Garten liegt in der vornehmen Avenue Franklin Roosevelt, wo es - umgeben von Botschaften - ein echter Blickfang ist und der vom Bauhaus geprägten Kunst der Albers' einen würdigen Rahmen bietet.

Rund 100 Werke, darunter Gemälde, Assemblagen, Fotografien, Grafiken und abstrakt gestaltete Textilien, skizzieren den Werdegang der beiden Künstler, der am Bauhaus seinen Anfang nahm. Zu sehen sind auch einige Filmdokumente sowie Möbel nach Entwürfen von Josef Albers. Viele der Werke stammen aus der Schenkung der Josef und Anni Albers Stiftung an das Musée d'Art Moderne de Paris im Jahr 2022. Aber auch das Museum Quadrat in Josef Albers' Geburtsstadt Bottrop beteiligt sich mit einigen Leihgaben. 

Als architektonisches Meisterwerk bietet die Villa Empain den idealen Rahmen für diese Kunst, die sich durch klare Ästhetik und sorgfältige Ausführung auszeichnet. Das hätte wohl auch dem früheren Besitzer gefallen, dem kunstsinnigen Baron Louis Empain, für den der belgische Architekt Michel Polak die prachtvolle Villa Anfang der 1930er-Jahre im Stil des Art Déco errichten ließ. 

Der modernste Pool seiner Zeit

Die Eleganz der Villa zeigt sich bereits in der Wahl der Materialien: Die Fassaden sind mit poliertem Granit aus dem italienischen Baveno verkleidet, an den Gebäudekanten und um die Fenster sind vergoldete Schutzleisten angebracht. Im Inneren wurden Marmor und tropische Hölzer wie das marmorierte Palu aus Indien für Böden und Wandvertäfelungen verwendet. Hinzu kamen prachtvolles Schmiedeeisen, verzierte Fenster und andere Glas- und Mosaikarbeiten. Das Schwimmbad war eines der modernsten seiner Zeit. Es wurde aus dem städtischen Wassernetz gespeist und verfügte über eine Zentrifugalpumpe, die das Wasser durch eine Filteranlage und eine thermostatisch gesteuerte Heizanlage pumpte. 

Als das Gebäude 1935 fertiggestellt wurde, erregte es durch seine bizarre und elegante Mischung aus Dekor und klaren Linien großes Aufsehen. Doch bewohnt hat der Baron das 2500 Quadratmeter große Anwesen kaum. Vor seiner Ausreise nach Kanada schenkte Empain die Villa dem belgischen Staat; mit der Auflage, sie nur als Museum zu nutzen. Lange sollte dies ein unerreichtes Vorhaben bleiben, denn zunächst beschlagnahmte die Wehrmacht das Gebäude 1943 als Sitz ihres Ortskommandanten während der deutschen Besatzung in Belgien. Nach dem Krieg zogen die Sowjets ein, die aus der Villa eine Botschaft machten. 1964 wurde die Villa an Louis Empain zurückgegeben, der sie 1973 an einen armenischen Geschäftsmann mit Sitz in den USA verkaufte. Dieser vermietete das Haus zwischen 1980 bis 1993 an den Rundfunksender RTL. Anschließend verfiel es und wurde Opfer von Vandalismus. 

Erst 2001 wurde die Villa auf die Liste des schützenswerten Brüsseler Bauerbes gesetzt und 2006 von der armenischen Fondation Boghossian gekauft. Aufwändig saniert wird die Villa seit 2010 für Ausstellungen, Konzerte und Konferenzen genutzt; mit dem Ziel, den "Dialog der Kulturen", vornehmlich den zwischen der arabischen und der westlichen Welt, voranzutreiben. So gab es 2012 beispielsweise eine Ausstellung zu libanesischer Kunst ("Art is the answer!"). Fast alle der damals präsentierten Künstlerinnen und Künstlern hatten gemeinsam, dass sie nicht älter als 35 Jahre und damit in einer Zeit aufgewachsen waren, in der im Libanon Bürgerkrieg herrschte (1975 bis 1990). Die Förderung des künstlerischen Nachwuchses gehört zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Stiftung, weshalb unter anderem Preise und Artist-in-Residence-Stipendien ausgeschrieben werden. 

Mit Kunst die Augen öffnen

Auch in der aktuellen Ausstellung stehen den Albers neben bereits etablierten Künstlern einige junge Talente zur Seite, die von den Lehren und künstlerischen Prinzipien dieser "Pioniere der Moderne" geprägt sind. Ihre Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Webarbeiten sind im Salon und im ehemaligen Esszimmer im Erdgeschoss zu sehen. Die erste Etage ist dagegen ganz dem Künstlerpaar gewidmet, das wegen der jüdischen Herkunft der gebürtigen Annelise Fleischmann aus Nazi-Deutschland fliehen musste. In chronologischer Reihenfolge werden die Anfänge am Bauhaus (wo sich die beiden kennen lernten), der Neuanfang in den USA, textile Einflüsse der Andenvölker, die Zeit als Dozenten am Black Mountain College in Nord-Kalifornien (bis 1949) und die Zeit danach dargestellt. Damals erhielt Anni Albers ihre erste monografische Ausstellung im Museum of Modern Art, während ihr Mann als Leiter des Art Department an die Yale University in Connecticut wechselte. 

Das Hauptziel des Künstlerpaares als Lehrende war es, ihre Schülerinnen und Schüler für die Welt um sie herum empfänglicher zu machen. "Die Augen öffnen" – so beschrieb Josef Albers (1888-1976) die Aufgabe, seine Schülerschaft für ein neues Sehen zu sensibilisieren. Mit seiner Methode des learning by doing ermutigte er sie, sich durch Übungen auf die direkte Beobachtung einzulassen. So vermittelte er ihnen die Erkenntnis, dass die Wahrnehmung eines Bildelements (Farbe, Form, Linie) keine objektiven Gegebenheiten liefert, sondern sich je nach Kontext verändern kann.

Der Textilkünstlerin Anni Albers (1899-1994) ging es dagegen vor allem um die Schärfung des Tastsinns. Sie ließ ihre Schüler mit den unterschiedlichsten Materialien experimentieren, von Seilen über Zeitungen bis hin zu Maiskolben. Sie war der Meinung, dass das Erlernen des Webens auf dem Verständnis der verschiedenen Werkstoffe basiert. So wie ein Künstler oder eine Künstlerin die Sprache der Farben durch das Sehen lernt, sollte er oder sie auch den Tastsinn schulen, um die Sprache des Materials zu verstehen.