Noch bis vor einem Jahr war es einfach ein Papierkorb, für Papierschnipsel und entsorgte Notizen. Der Korb aus Rattan und lackiertem Holz fügte sich gut in das Zimmer des Bremer Finanzsenators. Von seiner Vergangenheit ahnte lange Zeit niemand was. Dann stellte sich heraus: Den Abfalleimer haben sich vermutlich Nationalsozialisten unter den Nagel gerissen. Ganz sicher lässt sich das Jahrzehnte später nicht mehr nachweisen, sagt Gundula Rentrop, die als Museumspädagogin bis zu ihrem Ruhestand die Geschichte des Bremer Finanzressorts aufgearbeitet hat. Aber der Verdacht reicht, dass der Papierkorb aus dem Zimmer des Senators in den Keller des Finanzressorts verbannt wurde.
Eine schwere Tür sichert den Kellerraum vor einem Gaseintritt, ein Relikt noch aus den Kriegsjahren. Drinnen stapeln sich Aktenberge, ein Wohnzimmerschrank, ein Vitrinenschrank, zwei durchgesessene Polsterstühle, eine Stoffserviette und seit einem Jahr auch der Papierkorb. "Das sind alles Verdachtsstücke", sagt Rentrop und lässt einen Blick durch den Raum schweifen. "Die Möbel sind sehr ungewöhnlich für Büros, auf der Rückseite sind zum Teil noch Speditionsstempel."
Bei den Möbeln handelt es sich vermutlich um NS-Raubgut - von Deportierten und von Menschen, die vor dem Regime über die See geflüchtet sind. Bevor das Hab und Gut der Verfolgten zu Spottpreisen versteigert wurde, hätten sich Behörden, Universitäten und Museen besondere Schmuckstücke herausgesucht, berichtet die Resilienzforscherin. "Die Möbel tauchten in Listen oder Protokollen gar nicht auf."
Offizielle Papiere gebe es ohnehin nur noch wenige, die Nazis hätten so gut wie alle Spuren beseitigt. "In Bremen sind nur Archivsplitter übrig", sagt Rentrop. Ein paar Listen zum Gepäck von Auswanderern, Protokolle von Versteigerungen und von der Einziehung von Vermögen - selbst Kartoffeln sind darauf vermerkt. Vor zehn Jahren setzte sich das Bremer Finanzressort erstmals mit seiner Geschichte auseinander, eine Forschungsgruppe der Universität Bremen unter Leitung des Historikers Jaromír Balcar wertete die verbliebenen Spuren aus und gestaltete eine Ausstellung.
Besondere Rolle der Hafenstädte
Auch wenn 1933 nur rund 1300 Jüdinnen und Juden in Bremen lebten, kam der Hansestadt bei der Ausraubung der Verfolgten eine Schlüsselrolle zu, wie die Recherchen zeigen. "Als traditioneller Auswandererhafen nach Übersee stellte Bremen neben Hamburg den zentralen Anlaufpunkt für jüdische Verfolgte aus dem gesamten Reichsgebiet dar", heißt es im Buch "Raub von Amts wegen" von Balcar, der für eine Ausstellung Anfang 2025 die Rolle Hamburgs erforscht. "Hier fand der letzte Akt ihrer Beraubung statt, die selbst nach der Ausreise der Betroffenen noch weiterging." Nach Ausbruch des Krieges stapelte sich in den Häfen das Umzugsgut der Auswanderer. Forschende des Deutschen Schifffahrtsmuseums – Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven gehen nach eigenen Angaben von etwa 6.000 bis 7.000 Frachtstücken in Bremen und Hamburg aus - das Eigentum von 4.000 bis 5.000 ausgewanderten Familien.
Die Wissenschaftlerinnen Kathrin Kleibl und Susanne Kiel vom Schifffahrtsmuseum versuchen, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie werten dafür Tausende Dokumente aus, tragen Forschungsergebnisse zusammen und publizieren die Informationen seit September in der Online-Datenbank "LostLift". Knapp 3400 Frachten sind schon gelistet - soweit möglich vom Verlassen der Wohnung bis zur Versteigerung. Überdies finden sich Informationen zu rund 6.600 Beteiligten - von den geschädigten Familien, aber auch von beteiligten Speditionen, Gerichtsvollziehern und Käufern.
"Was wir machen, hätte schon viel früher geschehen müssen", meint Kiel. Anfangs hätten viele geschwiegen, um nicht weiter mit der eigenen Schuld konfrontiert zu werden und um mögliche Ansprüche abzuwenden. Aber auch jetzt, mehr als 80 Jahre später, kämen die Forscherinnen bei ihren Recherchen oft nicht weiter. "Viele scheuen sich davon, den Dreck, den man immer unter den Teppich gekehrt hat, endlich mal hervorzuholen und mal sauber zu machen."
Raubgut bis heute in vielen Wohnungen und Häusern
Denn die Möbel stünden nicht nur im Keller der Finanzbehörden, sondern nach wie vor in vielen Wohnzimmern, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Wenn die eigene Wohnung ausgebombt wurde, hatten Deutsche sogar Anspruch auf das beschlagnahmte Eigentum der Verfolgten. Das Ziel des Projekts sei nicht, die ergatterten Möbel von damals wieder zurückzugeben, betonte Kiel. Sondern das Unrecht zu dokumentieren und wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Wer selbst ein Verdachtsstück bei sich entdeckt, kann sich an das Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg wenden. Auf Wunsch auch anonym, betont Resilienzforscher Marcus Kenzler. "Ziel ist es, potenzielles NS-Raubgut aus der geschützten Privatsphäre in einen öffentlichen Raum zu überführen, sodass es gezeigt, gesehen und eventuell wiedererkannt werden kann." Das Museum leiht das Objekt für fünf Jahre, nimmt es in einer Datenbank auf und gibt es im besten Fall an die ursprünglichen Eigentümer zurück.
Das Interesse sei groß, berichtet der Forscher. Trotzdem habe das Museum bisher erst zehn Objekte aufgenommen, darunter ein Teeservice und Zierteller. Noch immer gebe es Hemmungen, Familien fürchteten um ihren Ruf. Aber auch die zeitlichen und personellen Ressourcen für das Projekt seien knapp. Kenzler hofft deshalb auf neue Kooperationen: Mit dem Schlossmuseum Jever gebe es schon eine Zusammenarbeit, mit dem Ostfriesischen Landesmuseum in Emden und dem Museumsdorf Cloppenburg laufen momentan Gespräche.
In Bremen werden die historischen Dokumente des Finanzressorts mit dem Ruhestand von Museumspädagogin Rentrop im Staatsarchiv aufgenommen und katalogisiert. Es sind jetzt vor allem Ehrenamtliche, die die Erinnerung an die Enteignungen wachhalten - mit einer Initiative für ein Mahnmal am Weserufer, mit Radtouren zu Orten von Versteigerungen und Führungen im Haus des Reiches, wie das Gebäude des Bremer Finanzressorts bis heute heißt.