Als Sechsjähriger fiel er von einem Floß, auf dem er mit seinen Cousins spielte, in einen See, tief nach unten. Bevor ihn sein Onkel aus dem Wasser zog, betrachtete Bill Viola "ohne Angstgefühl" eine seltsame, lichterfüllte Unterwasserwelt, die ihn seither nicht losgelassen hat. Das Urerlebnis prägte Videowerke wie "Ascension“ (2000), für das Viola einen Mann mit den Füßen zuerst unter Wasser gleiten ließ. In Zeitlupe zeigte der Künstler den ins Schwarz tauchenden Körper, der eine Schleppe aus glitzernden Luftblasen nachzieht. Wie ein Atompilz wächst die helle Form zur Wasseroberfläche. Das akustische Rauschen wird dunkler und schwächer, der Mann, der ein Kreuz bildend ins Wasser gesprungen war, treibt nach einigen Momenten des Schwebezustands mit langsam gebeugten Armen wieder nach oben. Jede Ähnlichkeit mit dem auferstandenen Christus des Isenheimer Altars dürfte kein Zufall sein.
Bill Viola, am 25. Januar 1951 im New Yorker Stadtteil Queens geboren, wuchs als Sohn einer gläubigen Mutter auf, wurde aber "nicht wirklich in einem streng christlichen Elternhaus erzogen", wie er in einem Interview sagte, in dem er auch erklärte, kein ausgesprochen religiöser Mensch zu sein. Doch für seine Bildsprache spielte die christliche Tradition eine wichtige Rolle, keine Frage. Violas eingehende Beschäftigung mit den Weltreligionen und speziell mystischen Traditionen wie Zen und Sufismus seit seinem Kunststudium an der Syracuse University in New York in den 1970ern zeigt sich ebenfalls in seinen Werken, in denen sich Viola mit dem Innenleben der Dinge beschäftigte, mit geistigen Räumen jenseits der Oberflächen, mit Transzendenz und Grenzerfahrungen.
Seine Themen waren so alt wie die Kultur – gleichzeitig hat sich Viola schon früh avancierter Technologien bedient. Von 1974 bis 1976 war er als technischer Leiter beim Center Art/tapes/22 in Florenz tätig, wo er Künstler wie Nam June Paik, Bruce Nauman und Vito Acconci kennenlernte, die dort ihre Videoarbeiten produzierten. Viola selbst wurde – ab 1983 als Dozent für Advanced Video am CalArts bei Los Angeles – zur wichtigen Figur, die mithalf, Video als zeitgenössische Kunstform durchzusetzen.
Betrachtet man die zwei Achsen des bewegten Bildes, die "vertikale" Tiefe und die "horizontale" Zeitstrecke, so hat Viola seine Ästhetik vor allem in der vertikalen Achse entfaltet, als bewegte Tableau, auf dem Aktionen und Gesten verlangsamt oder stillgestellt werden. Für "The Greeting" (Premiere auf der Venedig-Biennale von 1995) nach der "Heimsuchung" des Florentiner Manieristen Pontormo filmte Viola drei Darstellerinnen in antikisierenden Kostümen und dehnte die 55 gefilmten Sekunden auf zehn Minuten Aufführungszeit. Wie in anderen Werken erkundete der Künstler das Phänomen Zeit als messbare Einheit, um zugleich Zeit im existenziellen Sinn, als die Spanne zwischen Leben und Tod in den Blick zu nehmen.
Die typische Viola-Installation kombiniert elektronische Klänge mit entschleunigten Videobildern. Feuer und Wasser sind zentrale Elemente seiner Bildsprache. Violas Ausstellungen – wie 2017 in den Hamburger Deichtorhallen – beeindrucken als immersive Erlebnisse, allerdings hat der mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigte US-Amerikaner der Gegenwartskunst im vergangenen Jahrzehnt kaum noch Impulse geben können. Wie schmeichelhaft sind Titel wie "Rembrandt of the video age" und "High-Tech Caravaggio", die dem Künstler schon verliehen wurden, eigentlich wirklich? Aber ohne Frage hat der New Yorker Videokünstler Werke geschaffen, die im kulturellen Gedächtnis bleiben. Am Freitag ist Bill Viola im Alter von 73 Jahren gestorben.