In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand in England unter Federführung von Barbara Steveni und John Latham die Artist Placement Group (APG), die Künstlerinnen und Künstler in Unternehmen und staatlichen Institutionen installiert. In der aktuellen Ausgabe des Podcasts "Fantasiemuskel" sprechen die beiden Podcaster Friedrich von Borries und Torsten Fremer mit dem Kunstwissenschaftler und Fotografen Rolf Sachsse, der entscheidend daran mitwirkte, dass die Gruppe auch in Deutschland Spuren hinterließ. Sie erfahren, woran die Bewegung scheiterte – und was wir heute von ihr lernen können.
Was ist Kunst? Was ist ihre Aufgabe? "Ende der 1960er Jahre", erklärt Rolf Sachsse, "galt Kunst als Vollendung der freiheitlichen Tätigkeit". Diese romantische Verklärung stand einer gesellschaftlichen Wirksamkeit im Wege. Die APG wollte raus aus dem Ghetto der schönen Kunst, und stattdessen rein in die Wirklichkeit.
Die Idee, wie das geschehen sollte, war einfach: Künstlerinnen und Künstler gehen in ein Unternehmen oder eine politische Institution, schauen was dort passiert und machen beispielweise Vorschläge, wie man es besser machen könnte. Die Methode war ebenso einfach, wie Rolf Sachsse im Podcast darlegt: "Der Künstler ist physisch anwesend für eine bestimmte Zeit. Was er in der Zeit macht, was dabei herauskommt, ist nicht Bestandteil des Vertrages und hat nichts mit dem Endprodukt zu tun." Einige Unternehmen und staatliche Einrichtungen ließen sich auf diesen manchmal über zwei Jahre andauernden Prozess ein – auch, aus heutiger Sicht besonders erstaunlich, Industrieunternehmen wie etwa der heutige Öl-Multi BP.
Der Neoliberalismus war das Ende
In Deutschland zeigt die Gruppe erstmals 1972 in Düsseldorfer Präsenz, 1977 ist sie auf der Documenta 6 vertreten. Nach einer Ausstellung der APG im Bonner Kunstverein im Dezember 1977 wird Rolf Sachsse Mitglied der Gruppe. "Ich habe dann alle Verhandlungen mit Ministerien in Deutschland und Österreich geführt, bin aber nicht sehr weit gekommen", bemerkt er selbstkritisch. Sämtliche Verhandlungen, die unter dem Titel "Nutzung künstlerischen Sachverstandes bei der Erfüllung von Ressortaufgaben“ begonnen hatten, finden in den frühen 1980ern ein Ende. Dafür verantwortlich war, so Sachsse, der aufkommende Neoliberalismus unter Margaret Thatcher und Helmut Kohl. Das gesellschaftliche Klima hatte sich geändert, Offenheit für künstlerisch-soziale Experimente gab es nicht mehr.
Vielleicht lag das Scheitern aber auch am eigenen Anspruch, wie Sachsse rückblickend eingesteht. "Wir haben einfach gedacht, wir können wirklich mit unseren Aktionen die Gesellschaft verändern. Das war eine extreme Überschätzung, und deswegen war das Scheitern auch einfach ein Teil des Ganzen."
Und heute? Sachsse glaubt, dass das gesellschaftliche Klima offener sei als vor 50 Jahren. Das gilt sowohl für Unternehmen als auch für die Welt der Kunst. "Jemand, der sich als Künstler versteht, also den Anspruch hat, autonom zu arbeiten, muss immer wieder neu definieren, in welchen Kontexten er arbeiten will." Und das können, wie bei der APG vor 50 Jahren, natürlich auch Unternehmen und staatliche Institutionen sein. "Man kann Künstlerinnen nur animieren", so schließt Sachsse, "das eigene kreative Denken immer wieder in neue gesellschaftliche Zusammenhänge einzubringen und damit wirksam zu werden!"
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