Tipps und Termine

Wohin am (langen) Wochenende?

Die Kunst der Woche in Berlin, Erfurt, Maastricht, Madrid, Mainz, München, Paris, Rostock, Wien und Wilhelmshaven


Shirin Neshat in Berlin

Mit kreisenden Hüften und über dem Kopf gekreuzten Händen hält uns die Tänzerin in Bann. Von der Leinwand gegenüber wird sie von einem rauchenden Mann fixiert. Das Publikum steht im Dunkel zwischen den Screens des neuen Zwei-Kanal-Videos von Shirin Neshat. "The Fury" handelt von einer Frau, die tanzt, zum Opfer von Gewalt wird und als Exil-Iranerin in New York unter ihren traumatischen Erfahrungen leidet. Als Kontrapunkt setzt Neshat das Starren iranischer Sittenpolizisten. Männer in Erregung. Wütende Männer, denn das Objekt ihrer Begierde weckt zugleich ihren Hass. 

Neshats Kunst ist nicht direkt autobiografisch. Als Künstlerin, die seit der iranischen Revolution von 1979 in den USA lebt, sieht sie sich als Vermittlerin zwischen Orient und Okzident. Im Zentrum ihrer Fotos, Videos und Spielfilme stehen Frauen der muslimischen Welt. "The Fury" wurde 2022 schon vor dem Fall Jina Mahsa Amini fertiggestellt, deren Tod durch Polizeigewalt eine Protestwelle im Iran auslöste. "The Fury" handelt aber nicht nur von Unterdrückung im Iran, in New York zeigt sich auch eine kollektive Wut über reaktionäre Tendenzen seit Trump. Die Hauptfigur taumelt später halb nackt durch eine Choreografie des Aufruhrs und der Zerstörung in Manhattan. 

Wie zuvor im Stockholmer Stammhaus wird "The Fury" im Fotografiska Berlin von einer Reihe schwarzweißer Fotografien flankiert: großformatige Bilder weiblicher Gesichter und Körper, die mit Kalligrafien in verschiedener Schriftstärke bedeckt sind. Es sind Zeilen der Teheraner Dichterin Forugh Farrochsad (1935–1967), die auf der fotografischen Oberfläche geschrieben stehen. Neshat verehrt Farrochsad, die in ihrem Gedicht "Aufziehpuppe" die Gefühle von Isolation und Leere thematisiert hat, die Frauen in restriktiven Gesellschaften durchleiden: "Wie eine Aufziehpuppe kann man / die Welt durch Glasaugen betrachten / Jahre in einem Filzkasten verbringen". Gefangenschaft und Tanz, Trauma und Befreiung, Kerker und Kreativität – das sind die Pole, zwischen denen sich das Kraftfeld von Shirin Neshats Kunst aufspannt.

"Shirin Neshat: The Fury", Fotografiska Berlin, bis 9. Juni


John Heartfield in Erfurt

Es ist ein kleine, aber hochpolitische Schau: In der Kunsthalle Erfurt sind ab Freitag Arbeiten des antifaschistischen Fotomontagekünstlers John Heartfield zu sehen. Heartfield (1891-1968) griff in seinen Arbeiten die Zeitgeschichte auf und schoss damit vor allem auch gegen die Nationalsozialisten. Wie "historische Memes" verdichteten die gezeigten Motive Botschaften auf Schlüsselbilder, sagte Patrick Rössler, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt am Donnerstag. Er initiierte die Ausstellung "33 Geistesblitze. Antifaschistische Fotomontagen von John Heartfield, 2024 neu gelesen" gemeinsam mit Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke Medien in Thüringen. Bei den Drucken handelt es sich um Cover der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" aus den Sammlungen von Tallai und Rössler.

Begleitet werden die 33 gezeigten Drucke aus der Zeit von 1930 bis 1938 von Kommentaren von Thüringer Persönlichkeiten. Politiker, Bischöfe, Unternehmer, Kulturschaffende und viele weitere Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen ordnen die Motive unter aktuellen Aspekten ein. Auch kritische Kommentare zu Heartfield sind zu finden: Als überzeugter Kommunist und KPD-Mitglied ist der Grafiker auch heute noch umstritten.

Zu sehen sind die Arbeiten bis zum 26. Mai, dem Tag der Kommunalwahlen. Zum Begleitprogramm gehören etwa eine Diskussionsveranstaltung und Filmvorführungen in Zusammenarbeit mit einem Kino. Die Schau mit Reproduktionen der Cover soll später auch als Wanderausstellung an öffentlichen Orten zu sehen sein, so Tallai. (dpa)

"33 Geistesblitze. Antifaschistische Fotomontagen von John Heartfield, 2024 neu gelesen", Kunsthalle Erfurt, 8. März bis 26. Mai


Kunstmesse Tefaf in Maastricht

Selten wurden auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht so viele Spitzenwerke angeboten wie dieses Jahr. So sind allein zwei Gemälde des holländischen Barockmalers Frans Hals (ca. 1582-1666) vertreten, dem zurzeit eine große Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum gewidmet ist. Insgesamt stellen auf der Messe vom 9. bis zum 14. März mehr als 270 Händler aus 22 Ländern aus.

2022 hatte es mitten im Messebetrieb einen spektakulären Raubüberfall gegeben: Mit einem Vorschlaghammer schlugen Räuber die Vitrine eines britischen Schmuckhändlers ein und erbeuteten eine kostbare Kollektion, darunter einen Diamanten von 114 Karat. Der Wert der Beute soll sich auf schätzungsweise 30 Millionen Euro belaufen haben. Bis heute hat die niederländische Polizei den Fall nicht aufgeklärt - eines der geraubten Schmuckstücke konnte allerdings sichergestellt werden. Es werde weiter ermittelt, sagte eine Polizeisprecherin in Maastricht der Deutschen Presse-Agentur. Die Sicherheitsvorkehrungen auf der Messe sind seitdem sichtbar verstärkt worden.

Die Tefaf wurde 1987/88 von einem kleinen Zirkel von Kunsthändlern gegründet. Seitdem hat sich der Umfang des Kunstmarkts mehr als verdoppelt. Deutschland spielt dabei eher eine Nebenrolle - die größten Märkte für Kunst und Antiquitäten sind die USA, China und Großbritannien. (dpa)

Kunstmesse Tefaf, Maastricht, 9. bis 14. März


Kunstmesse Arco in Madrid

Die Karibik und die Queer Art stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Madrider Messe für Zeitgenössische Kunst Arco. Die 43. Ausgabe der wichtigsten Kunstveranstaltung Spaniens wurde am Mittwoch eröffnet. Die Organisatoren rechnen bis Sonntag mit circa 100.000 Besuchern, darunter König Felipe VI. und Königin Letizia. Wie im vergangenen Jahr gibt es auch diesmal bei der Arco kein Gastland, sondern sozusagen eine "Gastregion". Schwerpunktthema ist "Das Ufer, die Gezeiten, die Strömung: eine ozeanische Karibik". 2023 war es das "Das Mittelmeer: Ein rundes Meer" gewesen.

Was die queere Kunst betrifft, so werden in der Ausstellung unter anderem ältere Werke von sieben homosexuellen Künstlern gezeigt, die sich in Spanien während des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre einen Namen gemacht haben, darunter Juan Hidalgo, Rodrigo Muñoz Ballester und das Künstler-Duo Costus. Sie alle waren Pioniere im Kampf für die Sichtbarkeit und die Rechte von Schwulen und Lesben in dem südeuropäischen Land. 

An der Arco 2024 nehmen mehr als 200 Galerien aus drei Dutzend Ländern teil. Nach dem Gastgeber Spanien ist Deutschland mit 27 Galerien das am stärksten vertretene Land. Mit von der Partie sind unter anderem wieder die Münchner Galerie Jahn und Jahn, Levy aus Hamburg, die Frankfurter Galerie von Bärbel Grässlin, Jochen Hempel aus Leipzig und Kadel Willborn aus Düsseldorf. (dpa)

Arco Madrid, bis 10. März


melanie bonajo in Mainz

Liebe, Intimität, Sexualität – lernt man das in der Schule? Die "Schule der Liebenden" hat mit Klassenräumen nichts zu tun, sie ist ein genresprengendes Kunst- und Bildungsprojekt, das melanie bonajo, Daniel Cremer und Yanna Rüger gemeinsam mit dem inklusiven Theater Hora erarbeitet haben. In der Kunsthalle Mainz ist jetzt eine immersive Installation über Lust und Sinnlichkeit zu erleben, die sich um eine Videoarbeit von Bonajo dreht. Dazu gibt es weitere Werke der niederländischen non-binären Künstler*in.

"Melanie bonajo - Schule der Liebenden", Kunsthalle Mainz, bis 16. Juni


Pan Daijing in München

Eine Symbiose aus Choreografie, architektonischer Intervention, Klang und Video erwartet das Publikum ab dem 9. März im Münchner Haus der Kunst. "Mute" ist die bisher größte Einzelausstellung der Künstlerin und Komponistin Pan Daijing, die in ihrer Arbeit verschiedene Kunstformen miteinander verschmelzen lässt. Die eigens für das Haus der Kunst entwickelte Installation integriert Material und architektonische Elemente des Gebäudes und widmet sich den bisher eher unbeachteten Orten des Museums. Performative Akzente setzt ein Ensemble aus Tänzern und Tänzerinnen, das das Publikum zu einer Erkundungstour einlädt.

Pan Daijing "Mute", Haus der Kunst, München, bis 14. April


Wolfgang Laib in Paris

Wolfgang Laib ist international bekannt für seine Arbeiten aus Pollen und Reis. Für das Musée de l’Orangerie hat der deutsche Künstler nun zwei Werke geschaffen, darunter eine raumfüllende Installation. Sie besteht aus vielen sorgfältig angeordneten Reishäufchen, in deren Mitte zwei mit heiliger Asche (Vibhuti) bedeckte indische Granitsteine stehen. Das zweite Werk, ein auf einem Sockel aus Blütenpollen aufgehäufter Haufen aus Haselnuss-Pollen hat der 73-Jährige an Ort und Stelle inmitten der berühmten "Seerosen" von Claude Monet geschaffen – gemeint als Dialog mit deren Ode an die Natur und Schönheit. Die Arbeiten sind unter dem Titel "Une montagne que l’on ne saurait gravir. Pour Monet" (Ein Berg, den wir nicht besteigen können. Für Monet) bis zum 8. Juli zu sehen.

In den Werken des 1950 in Metzingen geborenen Künstlers dringt die Natur in die Kunst ein. Laib arbeitet mit Materialien wie Pollen, Milch, Reis und Bienenwachs. Seine Installationen und Skulpturen werden durch einfache geometrische Formen wie Quadrate und Kegel bestimmt sowie von einfachen und sparsamen Gesten, die eine Beziehung zur Natur herstellen. 

Das Musée de l'Orangerie beherbergt Werke des Impressionismus, Spätimpressionismus und der École de Paris. Vor allem aber ist das Museum für die "Nymphéas" von Monet bekannt, acht großformatige Seerosenbilder. (dpa)

"Wolfgang Laib. A Mountain not to climb on. For Monet", Musée de l’Orangerie, Paris, bis 8. Juli


Gregor Hildebrandt in Rostock

Die Kunsthalle Rostock stellt von diesem Wochenende an auf zwei Etagen die Werke des Berliner Künstlers Gregor Hildebrandt aus. Unter dem Titel "Nah am Wasser" sind Exponate aus zwei Jahrzehnten Schaffenszeit zu sehen, darunter großformatige bis zu 24 Meter lange und 3 Meter hohe Werke, Skulpturen und Installationen. Ein raumgreifendes zentrales Werk heißt "Blau im Gedächtnis" und ist erstmals zu sehen. Mit 1400 quadratischen überwiegend in tiefblau gehaltenen Einzelelementen ist es eine Hommage des Künstlers an eines der prominentesten Wahrzeichen von Berlin, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. 

"Gregor Hildebrandt holt damit auf eine gewisse Weise Berlin nach Rostock. Entstanden ist ein Raum der Ruhe und auch der Andacht", umschreibt Kurator Stephan Koal das Werk. Die Idee für die bis 20. Mai laufende Hauptausstellung entstand schon im Jahr 2010, wie sich Kunsthallen-Chef Uwe Neumann bei einer Vorbesichtigung erinnerte: "Hildebrandt ist einer der wichtigsten deutschen Künstler. Das Warten hat sich gelohnt." Für seine Arbeiten nutze er konsequent teils schon fast vergessene Materialien wie Vinylschallplatten und Bänder von Audio- und Videokassetten oder Laserdisks. Damit erreiche Hildebrandts Kunst eine mehrschichtige Tiefe. (dpa)

"Gregor Hildebrandt - Nah am Wasser", Kunsthalle Rostock, bis 20. Mai


Roy Lichtenstein in Wien

Der Pop-Art-Pionier Roy Lichtenstein wäre im vergangenen Oktober 100 Jahre alt geworden. Die weltbekannten, knalligen Comic-Gemälde und die subtileren Werke des US-Künstlers zeigt das Wiener Museum Albertina ab Freitag in einer großen Jubiläumsschau. Im Zentrum der Ausstellung stehen Lichtensteins Bilder aus den 1960er Jahren, für die er Gebrauchsgrafik mit ihren oft stereotypen Frauenbildern zum Vorbild nahm und ironisch zur großen Kunst stilisierte. Diese Werke machten ihn neben Andy Warhol zu einem der bekanntesten Vertreter der Pop-Art und der internationalen Kunstszene.

Doch in Roy Lichtensteins Werk gebe es mehr zu entdecken, sagte sein Sohn Mitchell Lichtenstein der Deutschen Presse-Agentur bei einer Ausstellungspräsentation am Mittwoch. "Viele Menschen kennen nur seine Comics und seine Blondinen - eine sehr enge Auswahl", sagte er. Im Werk seines Vaters gebe es jedoch auch noch weniger bekannte Serien wie zum Beispiel chinesische Landschaften oder wie durch einen Spiegel gebrochene Gemälde. "Ich denke, die Leute werden überrascht sein, wenn sie sich darin vertiefen", meinte der Sohn. Die knapp 90 Bilder, Skulpturen und Tapisserien, die in Wien gezeigt werden, stammen unter anderem aus der National Gallery in Washington, dem Museum of Modern Art in New York sowie aus der Sammlung der Albertina.

Während die Texte zur Wiener Ausstellung den revolutionären, subversiven und ironischen Charakter von Lichtensteins Kunst betonen, strahlen viele der Gemälde, die etwa Stillleben, Wohnlandschaften oder auch nur einzelne Pinselstriche zeigen, eine meditative Ruhe aus. "Sie sind harmonisch anzusehen. Es ist angenehm, von ihnen umgeben zu sein", sagte sein Sohn Mitchell. Das sei einer der Gründe für die anhaltende Bedeutung von Roy Lichtensteins Werk. (dpa)

"Roy Lichtenstein. Zum 100. Geburtstag", Albertina, Wien, bis 14. Juli


Kunst und Gas in Wilhelmshaven

Energie auf dem Weg zu uns: Erdgas wird für den Überseetransport auf -162 Grad abgekühlt, durch diesen Vorgang verflüssigt und auf eine Dichte von 450 Kilo pro Kubikmeter komprimiert. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen generiert nach wie vor Kontroversen und Diskussionen. Hier will die Kunsthalle Wilhelmshaven mit ihrer neuen Ausstellung  "-162 °C, 450 kg/m³ – Fossile Energie, fragile Zukunft" ansetzen. Multimedial widmet sie sich den Materialien, Substanzen und Prozessen der Energiegewinnung, zeigt verschiedene künstlerische Positionen, aber auch Widerstandsformen gegen fossile Energieprojekte. Mit Werken von Ayọ̀ Akínwándé, Ana Alenso, Andrew Castrucci, Marjolijn Dijkman, Pélagie Gbaguidi, Sonja Hornung, Daniele Tognozzi, Pepa Ivanova, Susanne Kriemann, Bram Kuypers, Rachel O’Reilly, Oliver Ressler, Miriam Sentler, Joel Sherwood Spring.

"-162 °C, 450 kg/m³ – Fossile Energie, fragile Zukunft", Kunsthalle Wilhelmshaven, bis 26. Mai