Etwas geheimnisvoll klang die Einladung zur offiziellen Pressekonferenz im Museum Folkwang schon: "An diesem Tag möchten wir Sie über Neuigkeiten und wichtige Entwicklungen rund um das Thema Fotografie am Standort Essen informieren." Auf eine so vage Einladung reagieren Journalisten entweder mit Ignoranz oder mit besonders großer Neugierde. Im Fall von Essen war es letzteres und das nicht ohne Grund: Der Wettbewerb (manche sahen darin auch eine offene Kampfansage) der Städte Essen und Düsseldorf um den Sitz des neu zu schaffenden Bundesinstituts für Fotografie sitzt nicht nur allen Beteiligten, sondern auch vielen Beobachtern noch in den Knochen.
Um es ganz kurz zu machen: Erst stellte der Haushaltsausschuss des Bundestags 41,5 Millionen Euro für ein Fotoinstitut in Düsseldorf zur Verfügung, dann empfahlen ein Gutachten und eine Machbarkeitsstudie Essen als Standort für ein Bundesinstitut mit einem anderen Konzept und im Herbst 2022 gab Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Zuschlag doch wieder an Düsseldorf. Nun, eineinhalb Jahre später, ist das Projekt aber noch immer keinen sichtbaren Schritt weiter, denn das ursprünglich vorgesehene Grundstück für die geplante Institution ist ungeeignet und ein neues hat die Landeshauptstadt bislang nicht vorgestellt.
Und jetzt kommen gleich zwei Paukenschläge ausgerechnet aus dem Ruhrgebiet: Das Archiv des Berliner Fotografen Michael Schmidt (1945 bis 2014) geht als Dauerleihgabe ins Museum Folkwang und es wurde der Verein "Zentrum für Fotografie Essen" mit den vier Schwergewichtlern Folkwang Universität der Künste, Museum Folkwang, Historisches Archiv Krupp und Stiftung Ruhr Museum gegründet. Die zentrale Aufgabe des Zentrums sei die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den vier Partnerinstitutionen "im wissenschaftlichen, archivarischen, konservatorischen und kuratorischen Bereich mit einem besonderen Fokus auf Geschichte und Gegenwart der Fotografie in Essen und der Region sowie die Vernetzung mit nationalen und internationalen Fotografie-Institutionen."
Enge Verbindung zwischen Michael Schmidt und Essen
Und mit dem Archiv Michael Schmidt wird die ohnehin schon 65.000 Fotografien umfassende Fotosammlung des Museum Folkwang signifikant erweitert: Enthalten sind unter anderem fünf zentrale Werkgruppen, sämtliche Negative, 2.000 Abzüge mit Werkcharakter sowie mehr als 20.000 Kontakt-, Arbeits- und Testabzüge, aber auch Buchdummies, Korrespondenzen, persönliche Dokumente und die private Bibliothek Michael Schmidts mit Monografien, Katalogen und Zeitschriften gehören dazu. Im Herbst 2024 kommen die Bestände von Berlin ins Depot nach Essen und werden dort weiter in Zusammenarbeit mit dem neuen Zentrum für Fotografie und mit zwei neu geschaffenen Stellen erforscht.
Zwei Jahre lang sei man wegen der Dauerleihgabe miteinander im Gespräch gewesen, erklärten Museumsdirektor Peter Gorschlüter und Heike Kramer von der "Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt", weil die Stiftung das Archiv in die öffentliche Hand geben wollte. Zudem habe es immer eine enge Verbindung zwischen Michael Schmidt und Essen gegeben: Zum einen habe Schmidt nach dem Tod von Otto Steinert 1979/80 an der Folkwang Universität unterrichtet und große Spuren hinterlassen, zum anderen habe er in keiner anderen Institution so oft ausgestellt wie am Museum Folkwang und bereits vor der Übernahme des Archivs seien 96 seiner Arbeiten Teil der Fotosammlung gewesen.
Kritischen Journalistenfragen, ob die massive Stärkung der Fotostadt Essen als Kampfansage an Düsseldorf zu verstehen sei, versuchten sowohl Museumsdirektor Peter Gorschlüter als auch Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen möglichst schnell den Wind aus den Segeln zu nehmen: Man sehe sich nicht als Konkurrenz zu Düsseldorf und sei für einen offenen Austausch, für Zusammenarbeit und handle vor allem im Dienste der Fotografie. Viel mehr wollte Gorschlüter nicht dazu sagen, zumal er sich in der etwas unglücklichen Position befindet, das Archiv Michael Schmidt ans Folkwang geholt zu haben und gleichzeitig Mitglied der von Claudia Roth einberufenen Gründungskommission für das Deutsche Fotoinstitut in Düsseldorf zu sein.
Es ist aber auch kein Geheimnis, dass in Deutschland zahlreiche Fotografinnen und Fotografen jenseits der 70 leben, die sich berechtigte Sorgen um ihre Nachlässe machen und in den vergangenen fünf Jahren vor allem auf das neue Bundesinstitut gehofft haben. Bei der aktuellen Entwicklung wird nun besonders deutlich, dass ein Bundesinstitut für Fotografie – egal, ob es seine Arbeit in fünf oder in 20 Jahren aufnehmen wird – nicht als zentralistische Einrichtung für alle und für alles funktionieren kann.
Die Stärke des Mediums Fotografie liegt auch in seiner Vielfalt und dieser Vielfalt wird bereits jetzt in den zahlreichen existierenden Institutionen wie eben dem Museum Folkwang, aber auch der Deutschen Fotothek in Dresden und dem Stadtmuseum München Rechnung getragen. Ohne eine Stärkung und eine Vernetzung dieser Einrichtungen nach Essener Vorbild wird die Arbeit eines Bundesinstituts ins Leere laufen.