Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev

"Niemand kann sagen, was ein Kunstwerk wirklich bedeutet"

Als Leiterin der Documenta 13 und Direktorin des Castello di Rivoli prägte Carolyn Christov-Bakargiev den internationalen Kunstdiskurs. Nach 22 Jahren in Turin geht sie Ende des Jahres in den Ruhestand. Ein Gespräch über ihre Anfänge als Kritikerin und die besondere Art, wie Künstler denken, über ihren Hund und das Anthropozän, die aktuellen Kulturkämpfe und warum eine Gesellschaft ohne Kunstfreiheit zum Untergang verdammt ist

Ende des Jahres gehen Sie nach 22 Jahren am Castello di Rivoli in den Ruhestand. Womit sind Sie jetzt, in Ihren letzten Wochen, beschäftigt?

Es ist wirklich schwer, in Ruhestand zu gehen! Es gibt so viele Sachen, die ich noch abschließen will. Wir bauen derzeit das Gebäude um, um es zugänglicher zu machen. Außerdem stelle ich gerade den Sammlungskatalog des Castello di Rivoli zusammen, denn die Sammlung ist die Essenz des Museums. Sammlungsarbeit bedeutet, die Vergangenheit für die Zukunft zu konstruieren. Eine merkwürdige mentale Übung. 

Von der Vergangenheit für die Zukunft lernen: Ist das etwas, das Sie von ihrer Mutter gelernt haben, die Archäologin war?

Ja, meine Mutter schaute in die Vergangenheit um zu verstehen, was in der Zukunft kommen wird. Wenn wir während meiner Kindheit in Virginia andere Städte besuchten, ging sie mit uns immer zuerst auf den örtlichen Friedhof. Gemäß den Namen auf den Grabsteinen würde sie dann zum Beispiel sagen: Okay, jetzt lasst uns essen gehen und deutschen Schokoladenkuchen bestellen. Oder französische Zwiebelsuppe. Je nachdem welche Communities sich dort ursprünglich angesiedelt hatten. Der Blick in die Vergangenheit bot ihr Handlungsrichtlinien in der Gegenwart und zugleich eine Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen. Wenn wir Nachrichten schauten, würde sie sagen: Ah, was der Präsident gerade gemacht hat, ist genau das, was Kaiser Tiberius im alten Rom gemacht hat. Also wird in drei Monate auch dies oder jenes passieren. Und sie lag niemals falsch.

Hat Ihre Mutter Sie auch für die Kunst begeistert?

Schon, aber eher unbewusst, ohne dass sie mich gedrängt hätte. Meine erste Leidenschaft als junger Mensch galt der Poesie, nicht der Kunst. Ich habe dann Kunstgeschichte studiert, aber auch Literaturwissenschaften, romanische und germanische Philologie, also gewissermaßen die Archäologie der Sprache, und diese Leidenschaft kam sicher von meiner Mutter. In unserem Haus sprach sie oft spaßeshalber Latein mit uns – mir war lange nicht klar, dass es sich um eine tote Sprache handelte. Wir hatten viele Bücher über die Antike, an ein Werk mit dem Titel "Lost civilisations" erinnere ich mich besonders. Es versammelte ausgestorbene Zivilisationen, sei es ein Volk in der Sahara oder das Khmer-Reich in Kambodscha. Dieses Buch liebte ich, es hatte prägenden Einfluss auf mich. Genau wie die Besuche in der National Gallery of Art in Washington. Meine Mutter ging dorthin, um zu lesen, ich streifte derweil durch die Säle. Ich erinnere mich noch heute genau, wo welches Gemälde hing. Ich habe ein sehr räumliches Gedächtnis.

Trotz ihrer Leidenschaft für alte Kulturen haben Sie sich als Kuratorin der zeitgenössischen Kunst zugewandt; Ihre ersten Projekte waren Arte-Povera-Ausstellungen.

Das stimmt, aber ein echter Arte-Povera-Künstler würde darin keinerlei Widerspruch sehen. Michelangelo Pistoletto denkt, dass er dasselbe wie Piero della Francesca macht. "Zeitgenössisch" ist kein Wort, das Arte-Povera-Künstler benutzen würden; ich gebrauche es eigentlich auch nicht, außer um das Museum zu definieren. Ich habe ursprünglich, wie meine Mutter, auch Archäologie studiert. Aber es fiel mir schwer, weil es ja nun einmal keine Menschen aus jenen Epochen mehr gibt; Menschen, mit denen man sprechen, die man befragen kann. Sogenannte "zeitgenössische" Künstler kann ich fragen: Warum hast du dies gemacht, was war deine Absicht? Vielleicht war ich also auch einfach ein bisschen faul … 

Wie sind Sie Kuratorin geworden?

Nach dem Studium in Rom wollte ich zunächst Kritikerin werden und interviewte Künstler. Als ich die ersten Rezensionen schrieb, wurde mir klar, dass besser ich die Ausstellungen machen sollte, als über sie zu schreiben. Denn ich fand ständig Fehler in der Hängung, im kuratorischen Konzept, ich dachte, diese Skulptur sollte fünf Meter weiter rechts stehen, dieses Bild in einem anderen Raum. Es klingt nach Hybris, aber die meisten Menschen sind wirklich nicht gut im Installieren von Ausstellungen, ihnen mangelt es an Verständnis für die räumliche Erfahrung. Das Talent wiederum habe ich vermutlich auch von meiner Mutter, von unseren zahlreiche Besuchen archäologischer Stätten, wo sich perfekte Raumanordnungen in mein Unbewusstes schlichen. Jedenfalls: Mir missfielen viele Ausstellungen, obwohl mir die Künstler gefielen, und so entschloss ich mich, selber mit ihnen zu arbeiten. 

Was war Ihre erste Ausstellung?

Meine erste Ausstellung, ich glaube das war im Jahr 1987, trug den Titel "Non in codice", lateinisch für "nicht codiert". Der Künstler Dan Graham, den ich kurz vorher kennengelernt hatte, wählte die teilnehmenden Künstler aus; ich habe also ein bisschen betrogen, denn es wirkte, als habe ich die Auswahl getroffen. Apropos: Ich wusste damals auch noch nicht, wie man einen Katalog gestaltet, also half mir der Künstler Sol LeWitt dabei. Ich fuhr mit ein paar Fotos zu seinem Haus in Umbrien, und er entwarf das Design mit Schere und Kleber, ohne dass er später irgendwo erwähnt wurde. Kurzum: Sol Lewitt machte meinen ersten Katalog, Dan Graham wählte die Teilnehmer meiner ersten Ausstellung aus. So fing alles für mich an, und eigentlich habe ich während meiner gesamten Laufbahn immer Künstler um Hilfe gebeten.

Wie haben Sie die Künstler kennengelernt?

Ich verbrachte damals ganze Nachmittage in den Galerien von Mario Pieroni und
Maria Colao in Rom, und dort traf ich die Künstler. An einem Tag lief Lawrence Weiner rein, und wir unterhielten uns einfach. An einem anderen Tag Roman Opalka oder Jannis Kounellis. Gerhard Richter saß bei Pieroni auf dem Sofa, so traf ich ihn. Oder Mario Merz, Joan Jonas, Alighiero Boetti, Isa Genzken, Luciano Fabro, Marisa Merz. Die Künstler liebten Rom mehr als New York oder Paris oder London, da es für sie ein Ort war, wo sie sich entspannen konnte. Es gab nicht diesen ganzen Trudel aus Eröffnungen und Partys, Konzerten und Veranstaltungen, und Geld war auch nicht so viel da. Dadurch waren die Künstler gelöst, man konnte Freundschaften aufbauen. Und weil ich deutlich jünger war als die meisten von ihnen, konnte ich alle Fragen stellen. Leute im gleichen Alter tun das nicht, weil sie fürchten, als dumm dazustehen, aber bei einem gewissen Altersunterschied kann man sich alles erlauben. Ganz einfache Fragen wie: Warum hast du für diese Arbeit Feuer benutzt, Jannis? Und Kounellis antwortet: Aus diesem und jenen Grund. Weil es Energie ist. Und Transformation. Ah, das ergibt Sinn, danke für die Auskunft!

Ganz allgemein gefragt: Gibt es etwas, was alle Künstler verbindet; gibt es eine bestimmte künstlerische Art zu denken?

Ja. Absolut. Die erste Frage ist natürlich: Wer ist ein Künstler? Wenn jemand sagt, er oder sie ist Künstler, dann akzeptiere ich das. Dann sind sie es. Alle Künstler verbindet, dass sie auf eine intuitive Art und Weise denken, und auf eine empathische. Mit Empathie für die Welt. Sie nehmen sich eines Problems an – oder das, was sie für ein Problem halten – und nähern sich ihm auf eine völlig andere Art, als dies ein Philosoph oder Wissenschaftler tun würde. Ihr Wissen ist nicht professionell, sondern amateurhaft – sie sind "amatori", also im Wortsinne Liebhaber, denn sie haben eine Liebe zu den Dingen. Ihr Wissen ist sehr empirisch, selbst wenn sie konzeptuell arbeiten, es unterliegt einem ständigen Test mit der Welt und dem Leben. Und es ist nicht produktivistisch in dem Sinne, dass es ein Ziel erreichen will. Es akzeptiert Ungewissheiten, Ambivalenzen, Unsicherheiten, Fehler. Es ist vielleicht so etwas wie empirische Philosophie. Ein Philosoph denkt und redet über die Welt, aber er benutzt nicht die Sprache des Dinges, über die er nachdenkt. Wenn er über Wasser reflektiert, schüttet er kein Wasser ins Glas. Ein Künstler, der über Wasser nachdenkt, würde Wasser benutzen. Denkt er über Farbe nach, benutzt er Farbe. Will er die Gesellschaft ändern, macht er ein aktivistisches Projekt. Sein Verfahren ist gewissermaßen tautologisch: Zu Raumfragen arbeitet er mit Raum, zu Klang mit Klang, zu Licht mit Licht, zu Repräsentation mit Repräsentation und so weiter. Der Gegenstand der Untersuchung und die Untersuchung ist dasselbe. Daher rühren die Freiheit und Offenheit des Materials und der künstlerische Sprache.  

Die von Ihnen geleitete Documenta 13 im Jahr 2012 leitete einen Paradigmenwechsel ein, in dem sie Idee des Anthropozäns in die Kunstwelt einführte. Kamen Sie darauf auch durch ein Gespräch mit einem Künstler?

Nicht nur.

Wer hat Sie dann darauf gebracht?

Mein Hund Mr. Darcy. Und Donna Haraway. 2005 oder 2006 war ich in Australien und entdeckte in einem Buchladen in Sidney "The Companion Species Manifesto: Dogs, people and significant Otherness", das Donna Haraway gerade veröffentlicht hatte. Ich kaufte es wegen meines Hunds. Und ich erfuhr, dass auch Haraway einen Hund namens Cheyenne hatte. Ich liebte das Buch, suchte Haraway auf und besuchte sie 2009 in Kalifornien, später wurde sie eine Beraterin der Documenta. Das Buch öffnete meinen Blick für die Koexistenz von Menschen und Nicht-Menschen. Ein weiterer wichtiger Einfluss waren die gerade in Australien aufkommenden Feminist Science Studies. Hinzu kam, dass ich damals viel Zeit in Aborigine-Communities verbrachte. Und nicht zuletzt konnte ich diese neuen Einflüsse mit meinem Grundwissen über die Arte Povera zusammenbringen. Denn Arte Povera glaubt nicht an eine Unterscheidung zwischen dem Menschlichen und Nicht-Menschlichen, dem Natürlichen und dem Künstlichen. Für jemanden wie Giuseppe Penone ergibt ein solcher Dualismus keinen Sinn, denn er ist überzeugt, dass er nur die Hälfte seiner Baum-Skulpturen macht, die andere Hälfte macht der Baum selbst, durch sein Wachstum. 

Was eher dem mythologischen Denken als den Ideen der europäischen Aufklärung entspricht.

Was gemeinhin als europäisch oder eurozentrisch beschrieben wird – der cartesianische Dualismus, die Aufklärung, das teleologische Denken Hegels – ist nordeuropäisch. Es ist englisches, französisches oder deutsches Denken, aber nicht mediterran. Der mediterrane Raum, von Griechenland bis zum Alten Ägypten, glaubt an Ideen der Kontinuität und der Metamorphose zwischen Natur und Kultur: Denken Sie an Apollo und Daphne, die sich in einen Lorbeerbaum verwandelt! Arte Povera entstammt dieser mediterranen Denkweise, in der Kultur und Natur mythologisch verwoben sind. Und dieses mediterrane Grundgefühl trage auch ich, sagen wir, in meiner DNA. In Australien begegnete ich dann so vielen Aborigine-Künstlern und Denkern, die ihrerseits verstanden, dass nicht ganz Europa auf der rationalistischen Denktradition fußt. Diese Gespräche und die Zeit in der australischen Wüste waren sehr prägend. Dann las ich Donna Haraway, dann hatte ich meinen Hund – und so kam das alles zusammen. Denker wie Jill Bennett waren Australier, und während der Vorbereitungen zur Documenta veröffentlichte ich ihr Notizbuch "The Anthropocene" – es war das erste Mal, dass das Wort in der Kunstwelt außerhalb der Geologie verwendet wurde.

Die aktuelle Situation der Documenta gleicht einem Trauerspiel. Im Zuge des Nahost-Krieges und Antisemitismusvorwürfen ist die gesamte Findungskommission Mitte November zurückgetreten. Sie waren Teil des Beratergremiums, das die Findungskommission berufen hatte. Wie beurteilen Sie die Geschehnisse?

Die Debatte verläuft auf einem so niedrigen Niveau, dass ich dazu nichts sagen möchte, was über den gemeinsamen Brief hinausgeht, den ich zusammen mit den anderen Mitgliedern der Berater-Kommission, die die Findungskommission ausgewählt hatte, verfasst habe. 

Sie können auch auf einem höheren Niveau antworten.

Auf einem höheren Niveau müssen wir die Dynamik von Social Media bei der ganzen Auseinandersetzung in den Blick nehmen. Als das Internet aufkam, war das ein utopischer Ort. Ich erinnere mich an Künstlerprojekte wie Wolfgang Staehles Mailbox Netzwerk "The Thing" aus den frühen 1990er-Jahren, an dem ich mich beteiligte. Wir waren damals fasziniert von den Möglichkeiten des Internets als Forum für internationalen Austausch, als Informations- und Wissensquelle, als eine neue Form von Öffentlichkeit. Als dann das Smartphone aufkam, entstand so etwas wie ein neuer Menschentypus, der homo ceccularis, denn mit der Technologie einher ging ein neuer Narzissmus. Die Smartphone- oder Selfie-Generation ist geprägt von einer narzisstischen Melancholie. Melancholie angesichts von Entropie, der Klimakrise, globalen Kriegen und Krisen. Dem Gefühl, ein Niemand in der Masse zu sein. Man steckt fest im Lacanschen Spiegelstadium, und statt zu einem Individuum entwickelt man sich zu einem Dividuum, statt zu verbinden, trennt man. Die Social-Media-Gesellschaft ist zerrissen und prinzipiell feindselig. Sie führt zu dem, was Hito Steyerl als "360-Grad-Bubble-Vision" beschrieben hat: Wir können die ganze Welt in einer Kugelperspektive wahrnehmen, aber jeder von uns befindet sich dabei in seiner eigenen Blase. Dieses Problem betrifft nicht nur die Kunstwelt, sondern die gesamte Gesellschaft. 

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, die größten Gefahren für die Kunstwelt der Zukunft. 

Die Freiheit der Kunst ist in Gefahr. Und das stellt nicht nur das größte Risiko für die Kunst dar, sondern vielleicht insgesamt für die Menschheit. Jede Gesellschaft braucht mindestens einen Ort, wo man alles sagen, mit allem experimentieren kann. Also das, was George Bataille als "dépense" umreißt: einen Ort der Verschwendung und Verausgabung, ein Ventil für soziale Energie. Gibt es das nicht, kommt es zur Explosion. Gesellschaften ohne künstlerische Freiheit explodieren – das gilt von der Antike an. Das wichtigste an der Kunst ist, dass sie keine Gewissheiten kennt. Sie ist doppeldeutig, trippeldeutig. Es muss Räume absoluter künstlerischer Freiheit geben. Und eine Gesellschaft muss stark genug sein, diese Räume zu ertragen und zu akzeptieren. Ich sage jetzt etwas wirklich Extremes: So furchtbar Pädophilie ist, so fraglos pädophile Bilder aus dem Internet gelöscht werden müssen und Täter strafrechtlich verfolgt werden müssen, so muss es dennoch erlaubt sein, wenn eine Künstlerin wie Miriam Cahn ein Bild malt, das den Blowjob eines Kindes zeigt. Ein solches Bild bedeutet nun einmal nicht im Geringsten, dass eine Künstlerin oder ein Künstler Pädophilie befürworten würde. 

Hatte die Kunst früher, sagen wir vor 20 Jahren, mehr Freiheiten?

Ich denke schon. Eines der Probleme ist, dass die Kunst erfolgreicher geworden ist. Dadurch wollen mehr Leute mitsprechen darüber was oder wie sie sein soll. Und um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass beispielweise Soziologen irgendetwas von Kunst verstehen. Oder Mathematiker. Niemand kann sagen, was ein Kunstwerk wirklich bedeutet – nicht einmal der Künstler selbst, oder ich als Kuratorin. Was der Künstler beabsichtigt, mag 100 Jahre später nicht im Geringsten die Bedeutung des Werks ausmachen. Denn der Künstler ist auch nur ein Medium, ein Engel, der zwischen Gott und den Menschen vermittelt. Und damit spreche ich nicht in einem religiösen, sondern symbolischen Sinn. Kunst basiert auf Ungewissheit. Wenn man Kunst zeigt, muss man genau dies klar machen: dass nichts sicher ist, dass alles auch sein Gegenteil bedeuten kann. Wir müssen lernen, dass es möglich ist, in einer Welt ohne Gewissheiten zu leben. Das ist die wichtigste Lektion, die uns die Kunst lehrt: Das Leben ist sinnlos, wir sind sinnlos, und doch ist es möglich, ein sinnhaftes Leben zu führen. 

Die Digitalwelt, in der wir leben, kennt keine Unsicherheiten, sondern sie basiert auf Codes und Algorithmen. 

Gerade Social Media – das auf Likes, Aufmerksamkeits- und Erregungspotential justiert ist – bedient unsere niedrigsten Instinkte, einen schwachen Geist. Schaut man sich die Verbindung zwischen dem Aufkommen des Radios und dem Aufkommen des Faschismus an, sieht man: die Technologie prägt den Geist. Und das ist ein großes Problem, da Technologien auf Vereinfachung und quantifizierbaren Wahrheiten basieren. Aber es ist falsch zu glauben, dass quantitative Daten valider sind als qualitative Daten. KI beruht auf Data-Mining, auf Statistiken. Aber sie kann nicht erkennen, ob eine Aussage interessant, innovativ, irritierend ist. Trotzdem sprechen wir ihr die Fähigkeit zu, Informationen zu ranken und zu bewerten. Das gefährdet uns letztlich als gesamte Spezies, denn wir laufen Gefahr, zu Sklaven der Roboter zu werden. Gerade darum brauchen wir Räume jenseits absoluter Wahrheiten, jenseits des Urteilens – und diese Räume bietet die Kunst.

Wie wird es für Sie persönlich weitergehen? Sie kehren der Kunst doch nicht völlig den Rücken?

Nein. Ich werde weiterhin Ausstellungen machen. Fürs nächste Frühjahr bereite ich eine große Arte Povera-Schau in Paris vor.