Ausstellung "Unbound" in Berlin

Körper vor der Kamera

Die Ausstellung "Unbound" in der Julia Stoschek Foundation Berlin untersucht das Verhältnis zwischen Performancekunst und dem Medium Film. Dabei steht vor allem der Körper als Ort gesellschaftlicher Kämpfe im Vordergrund

Grell weiße Leinwände, blendendes Licht und schemenhafte Gestalten in rasanter Bewegung. Betritt man den ersten Raum der Gruppenausstellung "Unbound. Performance as Rupture" in der Julia Stoschek Foundation in Berlin, wird man im wahrsten Sinne des Wortes "geflasht". Quelle des Lichts ist Sondra Perrys Videoarbeit "Double Quadruple Etcetera Etcetera Electra I & II". Darin lässt die Künstlerin Silhouetten von Performerinnen auf zwei Screens hin und her flackern. Ihre Schatten springen so schnell, dass man sich nicht wirklich entscheiden kann, auf was man sich konzentrieren möchte. Wahrscheinlich ist das genau so gewollt. 

Denn viel mehr als die zuckenden Körper sieht man nicht.  Sie befinden sich in einer Art Tanz, den die Künstlerin nachträglich mit dem Photoshop-Tool "Generative Füllung" bearbeitet hat. Dieses verzerrt die Gestalten so stark, dass sie im Sekundentakt entweder überdefiniert oder lediglich geisterhaft verschwommen zu sehen sind - und so kaum noch menschlich wirken.

Nicht nur für die Körperlichkeit in der Performancekunst, sondern auch für deren technologische Entfremdung ist Perrys Arbeit beispielhaft. Mit dieser trifft sie einen Kernaspekt der aktuellen Berliner Ausstellung: Den Körper und dessen Spiel mit der Kamera. Ansonsten thematisiert "Unbound" die Schnittstelle zwischen Performance- und Videokunst und den Einfluss, den das Aufkommen von neuen Medientechnologien für die Kunstrichtung darstellt. Aber auch der freie Umgang mit Sexualität in der Kunst, sowie dadurch geschaffenen Brüche kultureller Normen und gesellschaftspolitischer Narrative, sind Teil des Konzepts.

Die multimedial ausgerichtete Ausstellung vereint Arbeiten 36  internationaler Künstlerinnen und Künstler, darunter P. Staff, Ulysses Jenkins, Julien Creuzet und Pope L. Gezeigt werden vorrangig Videoarbeiten und aufgenommene Performances, diese werden jedoch ergänzt durch Installationen, Skulpturen und Fotografien.

Der Wassergeist in 3D

Steigt man die Treppen hinauf in die erste Etage des Ausstellungshauses in der Leipziger Straße in Berlin-Mitte, begegnet man einer bunten Videoinstallation von Julien Creuzet.  In "Sonjé Yo?" entsteht eine Mischung aus Collagen-Technik, 3D-Animation, und Aufnahmen von kreolischen Ritualen zur Darstellung eines Wassergeistes. Dieser visuelle Tanz wirkt ziemlich abstrakt. Er kann durchaus als Performance ausgelegt werden  - er muss es aber nicht. Eine daneben gezeigte, aus bunten Fäden und Stahl zusammengesetzte Skulptur knüpft zwar an die Frage nach kultureller Identität an, am Thema der Körperlichkeit und deren Rolle in der Kunst geht sie jedoch eher vorbei. 

Vallie Export führt die leibliche Debatte direkter. Alle Themen von "Unbound" verknüpfend, kritisiert sie in einer Videoaufnahme ihrer Performance "Tapp und Tastkino" die Objektifizierung des weiblichen Körpers durch dessen Darstellung in den Bildmedien. Dafür lief sie 1968 mit einem Kasten um die Brüste durch die Straßen von Wien, ähnlich einer Mini-Peep Show. Wer sich traute, durfte hineinfassen – forsch aber eindrücklich. Von der österreichischen Performance-Künstlerin finden sich gleich mehrere Werke in der Ausstellun. So wird auch eine Fotografie aus der Serie "Körperkonfiguration" gezeigt, in der sich Export selbst ins Verhältnis zu Stadtarchitektur setzt.

Von Ulysses Jenkins, dem die Stoschek Foundation zuvor eine ganze Retrospektive gewidmet hatte, findet sich ebenfalls ein Werk. In der Videoarbeit "Mass of Images" reflektiert der Künstler die durch Massenmedien vermittelten Werte bezüglich Schwarzer Kultur und die Unmöglichkeit, sich der Verbreitung rassistischen Gedankenguts zu entziehen.  

Die Wassermelone als Metapher

Besonders in Erinnerung bleibt eine Arbeit von Mandla Rae. Betritt man den abgedunkelten Saal, lenkt zunächst ein Glaskasten von der Leinwand ab, in dem Überreste von etwas, das sich längst nicht mehr definieren lässt, gut ausgeleuchtet vor sich hin faulen. Wer sich anschließend in die Kinosessel sinken lässt, findet heraus, was da in der Vitrine verschimmelt: Es handelt sich um eine Wassermelone, passend zu Mandlas Vidoearbeit "As british as a Watermelon", in der diese als Metapher für die Suche nach Asyl und Herkunft steht. 

Mandla (in der Kunst ohne Nachnamen unterwegs) thematisiert in dieser autobiografischen Arbeit den Prozess der Migration, Fragen nach Zugehörigkeit und die Aufarbeitung persönlicher Traumata. Ursprünglich als Performance aufgeführt, wurde die Arbeit später von Graham Clayton-Chance im Videoformat dokumentiert. Der Kontext zwischen Körperlichkeit und Kamera ist in dieser Arbeit besonders präsent. 

Mandla behandelt die Melone zunächst liebevoll und lässt sie mit dem eigenen Körper interagieren, am Ende wird die Frucht jedoch expressiv mittels eines Schraubenziehers zerlegt. Davei wechselt das Bild zu Nahaufnahmen, die das rote Fleisch fast menschlich aussehen lassen. 

Mehr als ein roter Faden

Ein gemeinsamer Eindruck, der allen Werken nachhallt: Das Nachdenken über Identitäten und Körperlichkeit, ein Abarbeiten an Normen, wie Körper zu sein haben. Allerdings sind diese Themen wiederum so weit gesteckt, dass die Vielfalt der gezeigten Arbeiten etwas überfordernd sein kann. 

Die Auswahl von Kuratorin Lisa Long lässt weibliche und queere Stimmen und solche mit Migrationshintergrund zu Wort kommen. Dadurch entsteht ein frischer Blick auf bekannte Diskurse. Brüche mit historischen Narrativen und kulturellen Normen werden sichtbar, deren gesellschaftliche Aufarbeitung längst erledigt sein sollte, gefühlt aber immer noch nicht abgeschlossen ist. Ob sich diese Prozesse durch die Verknüpfung von Performancekunst mit Videotechnologie und Körperlichkeit besonders gut veranschaulichen oder vorantreiben lassen, beantwortet die Ausstellung nicht. Es ist jedoch zumindest eine vielfältige und über Jarhrzehnte etablierte Form der künstlerischen Herangehensweise.

Teilweise verliert die Schau ein wenig den roten Faden – weil es davon eben mehr als einen gibt. Dennoch lässt sich durch die teils intimen Aufnahme in die Werke eintauchen und die Themen aus der Perspektive der Künstler und Künstlerinnen nachvollziehen. Man verlässt die Ausstellungsräume mit gemischten Gefühlen. Im Kopf bleiben besonders die vielen gebrochene Tabus, und jene, die in Zukunft noch gebrochen werden dürfen.