Blau ist ihre Lieblingsfarbe, wie der Himmel, wie das Meer. Blaues Zellophan bildet die Wände eines großen Raumes im Museum Ludwig in Köln, darin sind sparsam einige übergroße, bunte Papierblumen verteilt, dazu Äste, die in schweren Steinen stecken. "Kontrapunkt mit Blumen" heißt die Installation: Sie spielt mit der Synästhesie, setzt den Rhythmus von Musik mit dem von Objekten im Raum parallel.
Das Werk stammt in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1982, ein frühes Beispiel einer poetischen Installationskunst, die außerhalb der türkischen Kunstszene aber wohl kaum jemand gekannt hatte. Seine Schöpferin Füsun Onur war, so beweist jetzt die große Retrospektive in Köln, ihrer Zeit voraus, und ihr komplexes Werk ist es absolut wert, bestaunt zu werden.
Nur ein einziges Mal wurde Onur vorher überhaupt eine Überblicksausstellung gewidmet, vor zehn Jahren im Kunstraum Arter in Istanbul. Als die 1938 geborene Künstlerin im vergangenen Jahr die Türkei auf der Biennale von Venedig vertrat, eilte ihr ein spezieller Ruf voraus. Onur, die seit Jahrzehnten sehr zurückgezogen in Istanbul lebt, sei eine Legende in der türkischen Kunstszene, hieß es. Ihre Installation "Once Upon a Time" wurde dann zu einem Lieblingswerk der Biennale. Eine ganze Welt, bevölkert von kleinen Figuren aus feinen Drähten, die wie bei einem Puppentheater geheimnisvolle Geschichten zu erzählen schienen: Es sind die Abenteuer des Katers Zorbas und der Maus Cingöz zwischen Venedig und Istanbul.
Bereit, die Welt zu erobern
Jetzt ist auch diese Installation in Köln zu sehen, und dazu ein Einblick in den vielfältigen Rest des Werkes dieser erstaunlichen Künstlerin. Als Onur in den 1950er-Jahren in Istanbul Bildhauerei studierte, öffnete sich die dortige Kunstszene gerade den modernen Einflüssen. Ab 1962 verbrachte sie einige Jahre bei Stipendienaufenthalten in den USA – auf den Fotos sieht man eine junge, selbstbewusste Frau mit offenem, langem Haar, bereit, die Welt zu erobern.
Dass Abstraktion und Minimalismus einen Einfluss auf sie ausübten, sieht man an ihren frühen Arbeiten deutlich. In schwarz-weißen Zeichnungsserien lotet sie geometrische Formen und das Verhältnis von Zweidimensionalität und Raum aus. Aber bereits in den 1970er-Jahren kontert sie das herrschende Dogma der Abstraktion mit erzählerischem Witz: Ein platter Schlauch in Fragezeichen-Form, der an eine Luftpumpe angeschlossen ist, fordert das Publikum auf, selbst an der Skulptur mitzuarbeiten.
Schon früh ist der Mensch spürbar mitgedacht bei Onurs Werk, und einige Werke in Köln sind begehbar. So kann man sich in einen mit dicken Fäden behangenen Kubus legen, der von innen wie eine Art Himmelbett wirkt. Onur nannte diese Installation von 1981 "Die Dritte Dimension in der Malerei – Tritt Ein". Ein ironischer Kommentar auf den Hype der Malerei, der auch in der Türkei der 1980er-Jahre in den Jahren der Militärdiktatur herrschte, und gleichzeitig eine freundliche Einladung, wirklich ein – natürlich blaues – Bild zu entern.
Eine versunkene Welt
Immer wieder hat Onur Wollfäden verarbeitet: Sie werden zu Tafelbildern, knüpfen Netze, stehen für das weibliche Haar. Die häusliche, dem Weiblichen zugeordnete Sphäre zieht sich durch ihre Kunst, abstrakt in Gemälden oder ganz konkret in Installationen aus transparenten Zelten und Frauenkleidern, die an Louise Bourgeois‘ Zellen erinnern. In der großen Installation "Opus 2 – Fantasia", erstmals 2001 konzipiert, setzt sie goldene Wollknäuel gemeinsam mit Stäben und kleinen Porzellanfiguren so in den Raum, dass es einen imaginären Rhythmus ergibt – wieder werden Objekte gedanklich zu Musik.
So weit der künstlerische Horizont von Füsun Onur war, so zurückgezogen verlief irgendwann ihr Leben in Istanbul. Nach der Rückkehr aus den USA stieß ihr avantgardistisches Werk auf große Widerstände in der türkischen Kunstszene, erst in den 1990er-Jahren wurde sie wieder anschlussfähiger.
Ihr Leben lang blieb Onur in ihrem Elternhaus am Bosporus, das sie gemeinsam mit ihrer 2022 verstorbenen Schwester bewohnte. In einem Film von Ali Kazma von 2014 sieht man die schmalen Betten der Schwestern, die Räume voller alter Familienfotos, Möbel und Objekte aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es ist eine versunkene Welt – und doch Keimzelle eines erstaunlichen und absolut zeitgenössischen Werkes.