Betritt man derzeit die altehrwürdige St.Petri-Kirche in Lübeck, dann traut man seinen Augen kaum, erwartet einen doch im Inneren des Gotteshaus eine schneeweiße Wohnlandschaft. Von einem ortsansässigen Möbelgeschäft stilsicher eingerichtet und zum Verkauf angeboten stehen da Sofas und Kommoden, Schränke und Stühle nicht nur vor der Kanzel. Unterhaltungselektronik aller Art, das Spektrum reicht von Computern bis hin zu Handys und Monitoren, kann dann in der St.Jakobi-Kirche erworben werden. Und das breitgefächerte Sortiment eines genossenschaftlichen Bio-Marktes ist in der reformierten Kirche der Stadt ausgebreitet. In der Wichern-Kirche schließlich bietet ein Lübecker Textilgroßhandel Kleidung zu erschwinglichen Preisen zum Kauf an. Durchaus verführerisch stehen da sogar einige adrette Schaufensterpuppen im Kirchenraum.
Klarerweise ist das Projekt "Heilige Geschäfte" des Berliner Christian Jankowski in der Stadt nicht unumstritten: Darf ein Künstler Kirchen kurzerhand in Konsumtempel umfunktionieren? Muss der Ökonomisierung aller Lebensbereiche nicht gerade hier Grenzen gesetzt werden?
Doch, der Künstler darf. Und dieses nicht zuletzt deshalb, weil die Pastoren der vier Kirchen bereitwillig mitspielen bei diesem künstlerischem Experiment. Sie nutzen es nämlich als Chance, darüber nachzudenken, ob diese Umfunktionierung dazu führt, dass die Kirche "sich verkauft und ihre eigenen Werte verrät". Oder aber, so fragt Pastor Bernd Schwarze von St.Petri im Booklet zu "Heilige Geschäfte" weiter, "gibt es Grenzüberschreitungen, die beiden Seiten neue Erkenntnisse bringen?" Eben diese Fragen werden die Pastoren der vier Kirchen dann auch in ihren Predigen der nächsten Wochen behandeln.
Zwischen Abendmahl und Bio-Markt
Dieser Diskurs überzeugt vor allem in der reformierten Kirche, denn natürlich lässt sich die Prämisse, mit der "Schöpfung" sorgsam umzugehen, sowohl im Glauben an Gott verorten wie in dem Streben nach ökologisch sinnvoller Produktion und Konsumption. Symbolträchtig wurde in der reformierten Kirchen darum die Kasse des Bio-Marktes direkt auf dem Abendmahltisch platziert.
Die Präsentation der Unterhaltungselektronik in der St.Jakobi-Kirche kann dagegen diskutiert werden im Kontext des in der Kirche zentralen Moments des Dialoges, des Miteinanderredens. So weist der dortige Pastor Lutz Jedeck, anspielend auf den Zusammenhang von Verheißung und Sündenfall, darauf hin, dass das Logo eines der weltweit größten Computerunternehmens ein angebissener Apfel ist. Themen wie Wohnen als Schutz und Kleidung statt Scham - Stichwort: Das Feigenblatt als erste Kleidung - schließlich stehen mit ihrer Einbettung im religiösen Leben ebenfalls im Fokus von "Heilige Geschäfte".
Nicht um künstlerische "Displacements" à la Guillaume Bijl handelt es sich bei "Heilige Geschäfte", also nicht um das beinahe feindliche Eindringen von Installationen, die nicht in den Funktionszusammenhang eines Ortes passen. Wir erinnern uns: In den 1980er-Jahren vor allem hatte Bijl, die Nutzlosigkeit von Kunst hinterfragend, Supermärkte in Kunsträumen nachgebaut. Jankowski inszeniert stattdessen ein dialogisch-partizipatorisches und partnerschaftliches Einnisten der kommerziellen Geschäfte in die Welt des christlichen Glaubens.
Komplexe Ernsthaftigkeit
In der Videoinstallation "Heilige Geschäfte Teil 1", die zeitgleich in der Lübecker Overbeck-Gesellschaft zu sehen ist, dreht der Künstler den Spieß gleichsam um. In diesem "Trailer" zu dem Projekt besuchen nämlich die Pastoren in ihrer "Dienstkleidung" die vier Geschäfte, die in ihren Kirchen zu Gast sind. Hier, inmitten der jeweiligen Verkaufsflächen, führen sie dann fünf Minuten lang Monologe über menschliche Bedürfnisse wie Essen, Wohnen, Kommunizieren und sich Kleiden, um dabei die Bedeutung dieser Bedürfnisse für die Religion durchaus auch selbstkritisch zu überdenken.
Das Projekt "Heilige Geschäfte" überrascht durch eine komplexe Ernsthaftigkeit, die man so von Christian Jankowski bisher kaum kannte. Auch darum ist das vom Kunstwissenschaftler Stephan Schmidt-Wulffen kuratierte Projekt wohl die bisher überzeugendste Arbeit des Künstlers.