An der Fassade des Museion in Bozen leuchten zwei fünfzackige Sterne, als wären sie aus der EU-Flagge gepurzelt. Tatsächlich handelt es sich um zwei der Sterne, die Petrit Halilaj dem Grand Hotel in Pristina, das seine einstigen fünf Sterne nach und nach verloren hatte, anlässlich der Manifesta 14 im vergangenen Jahr wiedergeschenkt hatte. Die Sterne gehen nun unter dem poetischen Titel "When the sun goes away, we paint the sky" (nach einem Aufsatz der bei seinem Erscheinen 2015 zwölfjährigen Njomza Vitia aus Prizren) auf Weltreise. In Bozen bilden sie programmatisch das Entree zur Ausstellung "Hope", dem dritten Teil des ambitionierten, über drei Jahre angelegten Recherche- und Ausstellungsprojekts "Techno Humanities", das sich "aktuellen Fragen des Menschseins in einem stetigen Austauschprozess mit technologischen, ökologischen und wirtschaftlichen Systemen widmet". Die von Bart van der Heide und Leonie Radine in Zusammenarbeit mit dem Musiker, Theoretiker und Autor DeForrest Brown Jr. kuratierte Gruppenschau "Hope" schließt die Trilogie mit einer Neuorientierung der Geisteswissenschaften zwischen Wissenschaft und Fiktion ab und stellt dabei die Hoffnung als aktive kritische Praxis zur Disposition.
Der eurozentrischen Perspektive und obsoleten Fortschrittslogik der westlichen Moderne sollen dabei andere, poetische und spekulative Praktiken des Sammelns, Archivierens und Forschens entgegengestellt werden. Ein Ausgangspunkt sind die – wenngleich eher pessimistischen – Überlegungen des Kulturtheoretikers Mark Fisher, der die Zukunft für "abgesagt" erklärte, da sich die Produktion von Neuem in der permanenten Gegenwart erschöpft habe. Als möglichen Ausweg sah er nur das Eindringen eines "Fremden" in die kapitalistische Welt, das die hierarchischen Beziehungen zwischen Fiktion und Realität in Frage stellt.
Das 2008 eröffnete Museion wurde selbst immer wieder als Alien oder UFO bezeichnet, das in der Bozener Altstadt gelandet ist. Eine neue Ausstellungsarchitektur von Diogo Passarinho Studio führt von oben nach unten durch vier thematische Kapitel: Das lichte Oberdeck im vierten Stock fungiert als eine Art Observatorium, wo "künstlerische Zeitmaschinen" neue Perspektiven in externe Sphären eröffnen – frei nach Ernst Bloch, der 1954 in seiner Einführung zu "Das Prinzip Hoffnung" schrieb: "Man braucht das stärkste Fernrohr, das des geschliffenen utopischen Bewusstseins", um die Dunkelheit zu durchdringen. Black Quantum Futurism simulieren mittels Schwarzer Löcher Einblicke in eine andere Raumzeit, wohingegen der suchende Blick bei Beatrice Marchi im Dunkel endet: Sie hat in ihrer Skulptur "The Photographer‘s Lens" das überdimensionierte Objektiv einer Kamera noch durch Betonaufsätze verlängert.
Chaka Khan aus der Gefriertruhe
Daneben ertönt aus einer leeren Gefriertruhe Chaka Khan – Bojan Šarčević "konserviert" die Musik seiner Jugend, stellvertretend für die 1980er-Jahre und ihre tiefgreifenden ideologischen Zäsuren, in einer Art Schneewittchensarg, in dem über die Dauer der Ausstellung Eiskristalle wachsen – Symbol für die "Eisernte" kapitalistischer Hoffnung und gleichzeitig sentimentales Gefäß der Erinnerung. Mathew Angelo Harrison ersteht im Internet afrikanische Artefakte, Masken und Holzfiguren ohne Herkunftsangaben und eignet sich diese wieder an, in dem er sie in transparentem Polyurethanharz einschließt. Die technoiden Skulpturen erinnern etwa an V8-Dieselmotoren, was an seine Heimat Detroit anknüpft.
An vergangene Performances erinnern als erschlaffte Gestirne die "Sun und Moon Giant Pénétrables" von Nicola L. – überdimensionierte Ganzkörperanzüge, mit denen die Künstlerin seit Mitte der 1960er die Grenzen des Körpers auslotete. Ei Arakawas schamanische "Performance People" aus blinkenden LED-Lichtern ermitteln anhand der Geburtsdaten historischer Performances – also dem genauen Zeit und Ort ihrer Uraufführung – deren astrologische Konstellationen, und Suzanne Treister entwirft mit Elektroden versehene Kostüme, die ihr Alter Ego Rosalind Brodsky auf Zeitreisen in verschiedene Epochen schicken sollen – etwa um der Russischen Revolution von 1917 beizuwohnen oder die Großeltern aus dem Holocaust zu retten.
Während die im "Observatory" versammelten Künstler und Künstlerinnen mit vornehmlich analogen Mitteln arbeiten, um eher spielerisch komplexe, wissenschaftliche oder philosophische Fragen des Forschens, Archivierens und Sichtbarmachens zu behandeln, präsentiert der Ausstellungsteil "Arcade" – in doppeldeutiger Anspielung an die Gaming-Kultur sowie das mythische Arkadien – im dritten Geschoß immersive Welten aus digitalen und analogen Oberflächen, Symbiosen von Menschsein und Künstlicher Intelligenz. Lawrence Lek und LuYang sind beide tief in der Welt der Computerspiele verwurzelt und erschaffen mittels neuester 3D-Technologien virtuelle Kosmen und spekulative Fiktionen, in denen sich spirituelle, kulturelle und technologische Ansätze, westliche und östliche Philosophien verschränken und überlagern.
Detroit Techno aus afroamerikanischer Perspektive
Mit ganz anderen Mitteln arbeiten wiederum die Videoessays von Tony Cokes, die allein durch Schrift, Farbe und Rhythmus eine andere, kollektive Art des Lesens kritischer Texte provozieren – hier ein Vortrag Kodwo Eshuns in Gedenken an Mark Fisher, der sich 2017 das Leben genommen hatte. Die in Komplementärfarben pulsierenden Aussagen zu Kolonialismus, Kapitalismus, Rassismus und Populärkultur knüpfen an das nächste Kapitel im zweiten Stockwerk an, das als "Third World Archive" dem afrofuturistischen Mythos um das aus dem transatlantischen Sklavenhandel geborene Unterwasserreich Drexciya und der Verknüpfung zu Detroit-Techno gewidmet ist. Das Archiv ist eine räumliche Umsetzung des 2022 erschienen Buchs "Assembling a Black Counter Culture" von DeForrest Brown Jr., die anhand der Illustrationen von Abdul Qadim Haqq und einer alternativen Timeline die Entstehungsgeschichte von Detroit Techno aus der afroamerikanischen Erfahrung nachzeichnet.
Damit knüpft "Hope" an das erste Kapitel der Trilogie an, in der es um Techno als kulturelles Phänomen für Solidarität und Gegenkultur ging. Das Archiv beherbergt außerdem die umfangreiche Vinylsammlung mit Schwerpunkt Detroit von Walter Garber aka DJ Veloziped, seit den 1990er-Jahren Pionier für Techno und Electro in der Region Bozen, der auch zu einem DJ-Set eingeladen war.
Im Erdgeschoß schließlich reaktiviert eine "Passage" ältere (Allora & Calzadilla, Tacita Dean) in Verbindung mit jüngsten Werken (Almare, Linda Jasmin Mayer) aus der Sammlung des Museion. "Hope" überzeugt mit den auf verschiedenen Eben jeweils neu ansetzenden und atmosphärisch dichten Inszenierungen, die die Funktion des Museums als Imaginationsraum und Hoffnungsmaschine für ein breites Publikum zugänglich und dabei durchaus klug und kritisch reflektieren. Die gezeigten Ansätze und Diskurse sind vielleicht nicht unbedingt neu und wollen es in der Negation des immerwährenden Fortschritts auch gar nicht sein – Hoffnung auf einen grundsätzlichen Wandel im Visionieren und Erschaffen besserer, alternativer Welten jenseits kolonial-kapitalistischer Strukturen ist das, was wir in diesen Zeiten wohl am dringendsten brauchen.