Am Boden hängen die Gestalten, trunken, phlegmatisch, von unsichtbaren Kräften in prekärem Gleichgewicht gehalten. „Urban tai chi“ im Kunstverein Arnsberg, der zweite Akt von Ulf Amindes dreiteiligem Ausstellungszyklus „The hidden chapters of my lost insistence“, besteht aus YouTube-Videos heroinabhängiger Gleichgewichtsakrobaten: Menschen im Rausch kurz vor dem Fall, von Unbekannten per Handy aufgenommen. Aminde hat die Filme gesammelt, sortiert, mit selbst gedrehtem Material erweitert und im Kunstverein Arnsberg als Fernsehinstallationen und Videoprojektionen präsentiert. Da schweben sie nun, in Zeitlupe, allein, zu siebt, zu zweit, zu dritt. Sie formieren sich zu einer Gruppe, die uns – die Betrachter – ignoriert: Die Selbstvergessenheit verleiht ihnen Macht, schafft ein Plateau der Sicherheit im Betrachtet-Werden, Distanz zum Voyeurismus.
In Ulf Amindes Arbeiten geht es oft um das Innen und Außen von Körper und Geist, Individuum und Gesellschaft. Die verschiedenen Teile setzt er in Beziehung zueinander, verknüpft sie neu. Nirgends ist man sicher, auch nicht als Zuschauer. Seine Ausdrucksformen sind dabei grenzenlos: Performances, Aktionen, Wandbilder, Fotografie, Theater, Konzerte und Erzählungen sind Teil seines Arbeitskatalogs. Aminde fordert. Dabei bleibt er in seiner Sprache direkt. Realität, Ich sein und allein sein, die Abwesenheit von Akzeptanz, diese Zustände führt Aminde zurück in die Wut, die er filtert, um ihr am Ende plastische Subtilität zu verleihen.
Zur Ausstellungseröffnung in Arnsberg wurde ein Bus gemietet, der von Berlin anreiste: darin das Art Critics Orchestra, das abends auftrat, Ausstellungsbesucher, Freunde, Kuratoren. Alle wurden während der Reise gefilmt, fotografiert, aufgezeichnet und mit einem Kopierexemplar „Die Krankheit Tod“ von Marguerite Duras ausgestattet. Im Bus wurde man so zum ersten Akt der Ausstellung und auf direkte und doch subtile Weise mit Amindes Thema vom Ich und den anderen konfrontiert. Die Frage nach der Materialität in seiner Arbeit beantwortet er mit einer Geste, mit einem hochgekrempelten Hosenbein, mit einem Arnsberger Frauenensemble, dem er die Haare kämmt – der dritte Akt der Ausstellung. Wir müssen viele sein, so Aminde, dann ist auch was dazwischen, denn „Hohlräume, die aufleuchten, sind viel interessanter“. Dieser Dreiakter, den Ulf Aminde von Berlin nach Arnsberg und wieder zurück spannte, machte glücklich bis zur Erschöpfung.
Kunstverein Arnsberg, bis 16. Mai