Picasso war bekannt für seine Dinnerpartys, Guadalupe Rivera veröffentlichte die mexikanischen Rezepte ihrer Stiefmutter Frida Kahlo und Salvador Dalí brachte 1973 ein surrealistisches Künstler-Kochbuch heraus. Aber auch die Kunst selbst kann zum Kochen inspirieren. Von dem Bild "Cherry Pie" des Pop-Art-Künstlers Roy Lichtenstein über Way Thiedbauds Gemälde "Food Bowls" bis zu dem Stillleben "Strawberries and Cake" von John F. Francis aus dem 19. Jahrhundert ist Essen fortwährend ein beliebter Bildgegenstand.
Der österreichische Künstler Peter Kubleka, der an der Frankfurter Städelschule eine Klasse für Frankfurt die "Klasse für Film und Kochen als Kunstgattungen" unterrichtete, brachte die Verbindung zwischen Kunst und Kochen auf ein philosophisches Niveau und vertritt - gestützt durch kulturwissenschaftliche Untersuchungen - die These, dass Kochen Kunst ist. Aber wie sehen es diejenigen, deren täglicher Beruf das Kochen ist – und deren Gerichte dabei weitaus durchdachter sind als schnell zubereitete Nudeln mit Tomatensauce?
"In erster Linie ist Essen keine Kunst, sondern Nahrungsaufnahme. Es gibt die unterschiedlichsten Formen des Kochens, von der Alltagsküche über legere und gehobene Restaurants", sagt René Frank, Küchenchef und Miteigentümer des Coda-Restaurants in Berlin. Das besondere: Es werden ausschließlich vom Dessert inspirierte Gerichte angeboten, dazu gibt es passende Drinks. Mittlerweile bietet das Coda 15-Gänge Menüs an und ist seit 2019 mit einen Michelin-Stern ausgezeichnet.
Kunst oder Nahrungsaufnahme?
Das Konzept des Coda kann man durchaus innovativ nennen. "Es gibt Restaurants, zu denen man nicht in erster Linie geht, um den Hunger zu stillen, sondern ein besonderes Erlebnis zu haben und etwas Neues zu erfahren", sagt René Frank. Das Menü, das im Coda geboten wird, folgt nicht an der klassischen Folge von Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch, sondern reiht davon unabhängige Gerichte aneinander. "Wir respektieren die fünf Geschmacksrichtungen umami, süß, salzig, bitter und sauer, dennoch orientieren wir uns bei allem an der Patisserie und dem Dessert", erzählt Frank. Diese Kompositionen sind, was man Kunst nennen könne, findet er.
Zwar legt Frank Wert darauf, dass das Essen ästhetisch angerichtet ist, doch die wahre Kunst liegt für ihn in der Gestaltung und Machart des Menüs. "Die reine Optik ist mir zu oberflächlich. Es geht nicht darum, ob etwas toll aussieht, sondern um die Zusammenstellung des Unkonventionellen", findet René Frank. Aber nicht nur das macht Kochen für ihn zu einer eigenen Spielart der Kunst, sondern noch ein viel persönlicherer Aspekt. "Ich bin kein Mensch, der gerne auf alle zugeht, sondern drücke mich lieber über mein Essen aus. Kochen ist dann etwas Intimes, Persönliches, das etwas über mich als Menschen aussagt", erzählt er. "Ich stecke viel Hingabe, Genauigkeit und Schönheit in meine Arbeit als Koch", so Frank.
Besonders gerne kombiniere er Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen zu scheinen und kreiert so zum Beispiel Desserts aus Tomaten oder Kichererbsen. Ähnlich wie manche Menschen nur wenig Zugang zu bildender Kunst haben, sei es beim Kochen, so Frank. "Wie manche Menschen vor einem Bild stehen und dabei nichts denken oder fühlen, gibt es andere, für die Essen nichts anderes als Nahrungsaufnahme ist."
Geschmackliche Balance
Kunst im Kochen zu erfahren, ist ein grundlegend anderer Vorgang als bei einem Museumsbesuch. "Gefällt einem ein Bild nicht, kann man einfach weitergehen. Im Restaurant ist das Essen auf dem Tisch und jeder bekommt mit, wenn einem etwas nicht schmeckt und man es nicht aufisst. Das kann auch unangenehm sein", führt Frank aus. Deshalb sei eine gewisse Gefälligkeit des Geschmacks wichtig. "Es sollte nicht zu verrückt sein, aber auch nicht langweilig. Die Mitte zu treffen ist eine eigene Kunst", sagt er. Seine Art des Kochens beschreibt er als experimentell, ohne eine gewisse Balance funktioniere aber auch das nicht.
Anders als viele Kunstwerke, die die Jahrhunderte überdauern, ist die Kunst des Kochens eine vergängliche. Zumindest auf den ersten Blick. René Frank erzählt, dass ihm besondere Ess-Erlebnisse trotzdem noch lange im Gedächtnis bleiben. "Wenn ein Gericht sehr außergewöhnlich war, dann erinnere ich mich auch noch zehn Jahre später an den Geschmack", sagt er. Inspiration für neue Rezepte findet er in den unterschiedlichsten Dingen wieder. "Das kann ein Museumsbesuch sein, das Denken besonderer Menschen oder andere Kulturen, die ich auf Reisen kennenlerne", erzählt Frank.
Kochen hat künstlerische Aspekte, doch das Handwerk dahinter spiele ebenfalls eine bedeutende Rolle, findet Eberhard Lange. Er ist seit 2015 Küchenchef von Hugos-Restaurant im InterContinental Berlin und hält den Michelin-Stern, den das Restaurant seit 1999 hat. Auch für ihn spielt die Ästhetik auf dem Teller eine wichtige Rolle im Prozess des Kochens. "Es beginnt dabei, das passende Geschirr auszuwählen. Zu einem eckigen Teller passen runde Formen beim Anrichten gut, zu dunklen Gerichte in hellen Farben", beschreibt er.
Fast zu schade zum Essen
Besonderen Wert legt er darauf, dass das Essen filigran aussieht. Damit alles am richtigen Platz landet und schön aussieht, wird zuweilen mit Pinzette und Pinsel gearbeitet. "Das Auge isst mit, aber das zählt nicht alleine", sagt er. Hinter ansprechend angerichteten Gerichten steckt mehr als nur die Optik. Wo auf dem Teller welches Produkt platziert wird, bestimmt darüber, in welcher Reihenfolge und Zusammenstellung ein Gast davon isst – und somit auch, dass er das gewollte Geschmackserlebnis bekommt.
"Ich habe schon oft von Gästen gehört, dass sie sich gar nicht trauen, etwas zu essen, weil es so schön aussieht", erzählt Eberhard Lange. "Am Ende ist es doch in ein paar Minuten aufgegessen, auch wenn man dafür Stunden, Tage oder sogar Wochen gearbeitet hat." In diesem Prozess findet Eberhard Lange eine besondere Schönheit. Und vielleicht liegt genau darin eine wichtige Ebene des künstlerischen Kochens: die Flüchtigkeit, der Kreislauf.
Insbesondere in der Sterneküche müssen alle Gerichte akkurat zubereitet und zum rechten Zeitpunkt fertiggestellt sein. Dieser Zeitdruck in der Küche ist etwas, was die Arbeit von vielen anderen kreativen Berufen unterscheidet. Dennoch zieht Eberhard Lange eine erneute Verbindung: "Ich glaube, dass sowohl Köche als auch Künstler Freigeister sein müssen", sagt er. Dennoch findet er: "Ein Einzelner wird nie etwas komplett Neues kochen, alleine, weil die Produkte für sich schon existieren."
Gesamtkomposition Restaurantbesuch
Um einen Restaurantbesuch zu einem von Anfang bis Ende choreografierten Erlebnis zu machen, gehöre auch der Service, sagt Lange. Nach unterschiedlichen Vorgaben verhält sich das Service-Personal je nach Stil des Restaurants. Fast, wie in einer Performance. "Es gibt Restaurants, bei denen die Kellner extra frech sind, andere, die für den Gast Entscheidungen treffen und dann wieder sehr klassisch höfliche Formen", sagt er.
Am Herd zu stehen, ist weder für Eberhard Lange noch für René Frank Kunst. Stecken aber kreative Ideen hinter den Gerichten, passe das Ambiente, die Optik und der Geschmack zusammen und ergeben ein stimmiges Gesamterlebnis, dann sagt Lange: "Kochen ist Kunst". Doch nur,wer das Handwerk beherrsche, könne das in der Küche erreichen. "Man kann noch so kreativ sein, wenn man es nicht auf den Teller bringt, ist nichts gewonnen."