Im Zentrum der Ausstellung "Know Thyself" in der Berliner Galerie Neugerriemschneider hängt Ai Weiweis wandfüllendes Bild "Pollock in black" (2020). Der Künstler rekontextualisiert hier einen Klassiker des Action Painting, nämlich Jackson Pollocks Gemälde "One: Number 31" (1950). Ai reduziert dabei die Farbigkeit des Bildes auf ein gleichsam binäres Schwarz-Weiß, vor allem aber ist sein Werk aus abertausenden kleinen Lego-Steinen angefertigt. Statt einem gestischen dripping findet hier eine penible Fleißarbeit statt, die mit ihrem so stoischen wie banalen Gestus jedweden Anspruch auf individuelle Genialität spielerisch verlacht.
Mit seinem Bild "Water Lilies #2" (2022) bezieht sich Ai WeiWei dann auf die gleichnamige Werkserie von Claude Monet (1840 - 1920). Das Triptychon, das aus nicht weniger als 650.000 Lego-Steinen zusammengesetzt ist, variiert hier wiederum die Farbigkeit und zitiert zudem mit seiner pixelartigen Herstellung – es handelt sich um die kleinstmöglichen Spielzeug-Steine - die spätimpressionistische Technik des Pointillismus.
Trotz seiner fast schon malerischen Wirkung hinterfragt das Bild, das einen ganzen eigenen Raum in der Berliner Ausstellung bekommen hat, mit seiner Nutzung industriell vorgefertigter Lego-Steine und dem Konzept des verfremdeten Kopierens verabredete Kunst-Konventionen: Es wendet sich gegen vermeintliche Gewissheiten wie Autorenschaft und kreative Nutzung künstlerisch wertvoller Materialität.
Das letzte Abendmahl trifft Nord Stream 2
Gegenüber von "Pollock in Black" überrascht dann das Werk "Nord Stream 2" (2022). Dieses stellt, gleichsam als signifikanter Querschläger, nicht ein legendäres Kunstwerk nach, sondern ein vergleichsweise profanes Pressefoto. Auf ihm ist eine Aufnahme einer sprudelnder Meeresoberfläche ist zu sehen. Die Bewegung im Wasser ist herbeigeführt durch die Explosion der Erdgaspipeline Nord Stream 2 im September 2022.
Warum aber hängt dieses bekannte Zeugnis der jüngsten Zeitgeschichte zwischen all den Meisterwerken der Malerei? Auch Leonardo da Vincis "Das letzte Abendmahl" (1494 – 1497) ist übrigens, diesen Kontrast verstärkend, in der Ausstellung als Lego-Version zu sehen.
Die Antwort darauf geben dann zwei Arbeiten im Nebenraum: Die beiden Lego-Gemälde "Mona Lisa Smeared in Cream in Yellow" und "Mona Lisa Smeared in Cream in White", beide 2023, die Leonardo da Vincis Malerei-Ikone in einer an Andy Warhol erinnernden Farbigkeit vorstellt. In der jeweils unteren Hälfte der beiden Bilder sind dann zudem helle Spuren zu sehen, die der Tortenwurf eines Klimaaktivisten im Mai 2022 auf dem Sicherheitsglas des Originals im Louvre hinterlassen hat.
Anschläge symbolischer Natur
Letzteres nun verbindet Ai Weiweis "Mona Lisas" mit "Nord Stream 2": Die verschmierten da Vincis thematisieren, genau wie das nachgeahmte Pressefoto, einen Moment des mehr oder weniger aggressiven Anschlags.
Im Kontext der Ausstellung gewinnt der dreifache Hinweis auf diese politische Strategie dann durchaus programmatische Qualität, kann doch das Nachstellen von Meisterwerken der Malerei durch Lego-Steine durchaus als Anschlag auf die oftmals immer noch hehren Werkvorstellungen im westlichen Kunstbetrieb interpretiert werden. Anders als die Attacke auf die Erdgaspipeline in der Ostsee und das "Attentat" auf die "Mona Lisa" sind Ai Weiweis Steinchen-Anschläge jedoch bloß symbolischer Natur.
Auch der Ausstellungstitel "Know Thyself", also "Erkenne dich selbst", betont übrigens die Notwendigkeit der Selbstreflexion, die Ai Weiwei hier vornimmt. Dieser Sinnspruch findet sich auf einem römischen Mosaik aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Und ist dessen ausgestellte Lego-Variante nicht ebenfalls ein Mosaik?