Wenn die Villa sprechen könnte, würde sie "Sei gegrüßt, Gast" rufen. Im Haus Salve Hospes, zwischen 1805 und 1808 von Peter Joseph Krahe erbaut, wird jene Gastfreundschaft, die der lateinische Beiname verheißt, jedoch auf die feine Gesellschaft beschränkt gewesen sein. Noch heute erklimmt man die zahlreichen Stufen der Eingangstreppe dieses Stadtpalais' mit ein wenig Respekt.
Wie um diese Ehrfurcht zu untergraben, hat der Künstler Lamin Fofana die Fenster im imposanten Spiegelsaal zugehängt und den Kronleuchter ausgeknipst. Bis auf ab und zu aufflackernde rote und grüne Strahler ist es zappenduster im Saal. Räucherstäbchen verströmen Salbeiduft, ein hypnotischer Soundtrack lässt die visuelle Dominanz der Innenarchitektur weiter schwinden. "Here Lies Universality" heißt die Installation des aus Sierra Leone stammenden Künstlers und Musikers, der die Arbeit vor einem Jahr auch im Münchner Haus der Kunst realisierte und dazu erklärte, er gehe der Frage nach, "wie wir in dieser spezifischen Zeit zusammenkommen".
Gespaltene Gesellschaften, weltumspannende Krisen, Kriege: Ja, wirklich, wie kommt man da zusammen? In zwischenmenschlichen Krisensituationen heißt es dann immer: Wir müssen reden. Aber das bringt im globalen Maßstab wohl eher wenig.
Sprache und die Grenzen einer Welt
Die Gruppenschau "Words don’t go there" (Dafür gibt es keine Worte) kreist um Sprache, ihre Macht, ihre Unzulänglichkeit. Neben Lamin Fofana und sechs anderen Kunstschaffenden zeigt der in Frankreich geborene Ndayé Kouagou mehrere Arbeiten. "Wirst Du Dich in meiner Ecke wohlfühlen?" ist der Titel eines Videos, in dem der Schwarze Künstler persönlich und mit überraschend piepsiger, von einer Schauspielerin nachsynchronisierten Stimme lauter Fragen an sein Publikum richtet. Ein recht einseitiger "Dialog", der daran erinnert, dass es immer zwei Gesprächswillige braucht, damit die Rede zum Ziel kommt.
Sprache verbindet, bildet und stützt Gemeinschaften – die Menschen wiederum ausschließen können, indem sie einfach schweigen oder eine exklusive Sprache verwenden. Ein weiteres Problem umschrieb der Philosoph Ludwig Wittgenstein so: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Die von Benedikt Johannes Seerieder konzipierte Ausstellung stützt sich auf den afroamerikanischen Dichter und Kulturtheoretiker Fred Moten (Jahrgang 1962), der Sprache zum unverzichtbaren Instrument seiner Welterfahrung erklärt und zugleich ihre Grenzen klar benennt: In der dominierenden Sprache finden viele Arten zu denken und zu fühlen keinen Platz. Moten liebt den Spruch des Jazzmusikers Charles Lloyd, der gebeten wurde, eins seiner Stücke zu kommentieren und entgegnete: "Words don’t go there".
Bietet sich Musik als universelle Sprache an, wenn die Worte versagen? Eine Installation der Schweizer Künstlerin Nina Emge besteht hauptsächlich aus im Raum verspannten Kontrabasssaiten, auf denen zeitweilig auch gespielt wird. Sonst erklingen Mixtapes, die Emge gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen produziert hat. In ihren Soundarbeiten greift sie den westlichen Klassik-Kanon auf, um über ihn hinauszugehen. Wenn man’s recht bedenkt, ist es mit der Universalität von Musik ohnehin nicht weit her. Wie die Gesellschaft – so divers die Musikgeschmäcker.
Ist Schweigen Gold?
In ihrer Videoarbeit "Silent" von 2016 lassen die Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz eine Rednerin vor ein knappes Dutzend Mikrofone treten, der es allerdings die Sprache verschlägt. Beredtes Schweigen am Berliner Oranienplatz, dafür Autolärm und Vogelzwitschern (eine Hommage an John Cages Nicht-Musikstück 4′33″). Unerwartet findet die Protagonistin (die Musikerin Aérea Negrot) dann aber doch die Stimme, um ihr Lied an einen nicht namentlich genannten Regierungschef oder eine Chefin anzustimmen ("Dear President").
Frei nach Wittgenstein: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man singen. Ein Stockwerk darüber richten sich die Mikrofone – in der Boudry/Lorenz-Installation "Microphone Piece (i want)" auf das Publikum. Die gebrauchen Bühnenaccessoires sollen laut Künstlerinnenduo zudem an die Stimmen derjenigen erinnern, die in sie gesungen oder gesprochen haben. Warum sind die Mikros mit lauter goldenen Halsketten behangen? Schweigen ist Gold? Die Bling-Bling-Installation wirkt nichtssagend.
Um vor der Welt Gehör zu finden, muss man nicht nur sprechen oder singen können. Benötigt wird auch ein Ort, von dem aus mensch sich artikulieren kann. Was ist, wenn soziale Schranken den Zutritt verwehren, wie es in der Villa Salve Hospes einst der Fall war? Tarek Lakhrissi aus Paris zeigt Wandskulpturen, die an Türklopfer europäischer Herrenhäuser erinnern. Seine Versionen sind allerdings aus Glas und bunt gefärbt. Sie sind "lustvoll und queer", schreibt Kurator Seerieder, "in ihnen spiegelt sich die Bewegung des Lichts. Dieses Lichtspiel kündet, folgt man einem Zitat des Schwarzen queeren Science-Fiction-Autors Samuel Delany, schon jetzt vom befreiten Miteinander einer zukünftigen Utopie."
"Ich verstehe die Welt auch nicht mehr"
Die gebürtige Hamburgerin Julia Phillips zeigt ihren Videoloop "Fingers" (2014), in dem die beiden Zeigefinger eines Paars verschränkter Hände eine Art Engtanz miteinander aufführen. Das Hand-Motiv weist auf die ursprünglich körperlichen Voraussetzungen von Sprache und Gemeinschaft hin. Wenn man es umgekehrt betrachtet, ergibt sich ein bedenklicher Befund: Heute hat sich Sprache von physischen Gegebenheiten und räumlichen Beschränkungen deutlich abgekoppelt. Die Macht der Sprache kann zerstörerisch wirken, zumal sich in sozialen Netzwerken Geifernde nicht mehr zeigen und persönlich für ihre Hetzreden verantworten müssen.
Hör mal, wer da spricht. Hat bereits die KI das Sagen? Auf dem Hof des Kunstvereins "redet" eine technoide Skulptur, an deren Tentakelarmen Lautsprecherboxen hängen. Wer hineingeht in das Konstrukt, dem schwirrt die Stimme von Barbara Kapusta um Körper und Kopf herum. Die Wiener Künstlerin erzählt per Surroundsound eine dystopische Geschichte aus der Zukunft ("The Fragiles"), erinnert aber auch an die Geschichte der Villa, die etwa im Zweiten Weltkrieg die phonometrische Datenbank des Deutschen Spracharchivs beherbergte, ein Institut, das von den Nazis gleichgeschaltet worden war. In der Villa hat Kapusta Schriftzüge an die Wände gebracht, manchmal lesbar, mitunter nicht zu entziffern, aber gerade da von abstrakter, tröstender Schönheit.
Ein Kritiker der Lokalzeitung monierte an der Ausstellung, man verstehe so vieles nicht. Das ist richtig – und könnte auf falschen Erwartungen an die Kunst beruhen. Sie will die Welt gar nicht unbedingt erklären. In einem berühmten Cartoon des US-Malers Ad Reinhardt macht sich ein Mann mit Hut über ein ungegenständliches Gemälde lustig: "Ha Ha. What does this represent?" feixt der Banause. Und plötzlich kriegt das Bild ein Gesicht, geht zum verbalen Gegenangriff über, ein Finger schnellt aus dem Rahmen, zeigt auf den Mann, dem vor Schreck der Hut vom Kopf fliegt. "What do YOU represent?" – Was stellst Du denn dar? Also noch mal anders gedacht: Wenn die Werke der (mit kleinen Abstrichen) gelungenen Braunschweiger Ausstellung "Words don’t go there" reden könnten, würden sie wohl sagen: Ich verstehe die Welt auch nicht mehr. Ich bin so ratlos wie Du.