Während wie jedes Jahr nach der Art Basel ein erlauchter Kreis auf Einladung des Sammlers und Bauunternehmers Dakis Joannou in den Project Space der von ihm gegründeten Deste Foundation auf die hippe griechische Insel Hydra pilgert, gab die in Athen ansässige, 1975 ins Leben gerufene Onassis Foundation mit ihrem Kulturzweig Onassis Stegi eine andere Richtung vor: "Plásmata II", die zweite Ausgabe einer Ausstellungsreihe, die sich die Verquickung von "human" und "digital", Natur und Technologie auf die Fahne geschrieben hat, zog in diesem Jahr in die historische Stadt Ioannina, Hauptstadt der Region Epirus im nordwestlichen Teil des Landes nahe der albanischen Grenze – ein geografisch interessanter Knotenpunkt zwischen Ost und West, an dem seit Jahrtausenden hellenistische, christlich-byzantinische, jüdische und muslimisch-osmanische Kulturen aufeinandertrafen und auf kleinstem Raum zusammenlebten.
Von der Hochzeit der osmanischen Herrschaft zeugen noch zwei Moscheen, die die historische, auf einem Felsen erbaute Festung von Ioannina von dem umliegenden See aus weit sichtbar flankieren.
"Plásmata" ist Plural und bedeutet soviel wie "Kreaturen"; das kuratorische Team versteht die Ausstellung als vielstimmiges Festival und stellt unter anderem folgende Fragen: "Können wir über das Digitale sprechen, ohne uns auf die von Bildschirmen auferlegte Form zu beschränken? Können wir über Technologie durch die Begriffe des Lokalen und des Mythischen, der Natur und der Tradition sprechen? Kann die Technologie zum Auslöser werden, um denjenigen eine Stimme zu geben, die keine haben? Können wir die Grenzen zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen aufheben und gleichzeitig von beiden lernen?"
Dies gelingt vielleicht nicht überall, aber an einigen Stellen erstaunlich gut.
Zeitgenössische Kunst fand hier bislang kaum statt
Es sei zunächst vorausgeschickt, dass der Move hinaus aus dem unter dem explodierendem Tourismus-Boom ächzenden Athen eine weise Entscheidung war. Ioannina bietet neben seiner historischen Relevanz als moderne Universitätsstadt eine fruchtbare Basis für neue Technologien und progressive Netzwerke, die sich insbesondere mit Open Source und Open Data beschäftigen – zeitgenössische Kunst fand hier bislang jedoch kaum statt. Afroditi Panagiotakou, Direktorin des Onassis Kulturprogramms und künstlerische Leiterin von Plásmata, stammt ursprünglich selbst aus Ioannina. Für sie bildet die Stadt mit ihrer vielschichtigen Geschichte, die durch unterschiedliche kulturelle und religiöse Einflüsse immer schon für Hybridisierung und Innovation stand, sowie der geografischen Lage am Pamvotida-See, der den historischen Stadtkern nahezu umschließt, den idealen Nährboden für eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Zusammenarbeit mit lokalen Strukturen.
So war es in der Vorbereitung essentiell, dass alle am Projekt beteiligten Künstlerinnen und Künstler für einen längeren Zeitraum in Ioannina lebten und arbeiteten, ein Großteil der Arbeiten dort entstanden und mit dem lokalen Datenpool arbeiteten. Onassis Stegi versteht sich dabei vor allem als Produzent: Von den 19 Arbeiten griechischer und internationaler Künstler sind elf ortsspezifische Neuproduktionen, und trotz des erheblichen technischen Aufwands entlang der historischen Festungsmauer und des Seeufers im Außenraum perfekt installiert und wirksam in Szene gesetzt.
Von 18 bis 24 Uhr für 24 Tage umsonst erlebbar, bildet "Plasmata II" einen Parcours, der die Mauer als durchlässige Membran zwischen Innen und Außen, der Stadt und dem See versteht. Dabei ist es sehr wohltuend, dass sich der Diskurs des Digitalen nicht auf virtuelle Formate und XXL-Plasma-Screens beschränkt – in aller Perfektion inszeniert in John Gerards "Flare (Oceania)", 2022, der Live Simulation einer Flagge aus Flammen als Symbol der Klimakatastrophe – sondern natürliche wie Künstliche Intelligenzen (KI) zu Wort kommen lässt und dabei skulpturale, lebendige, performative, auditive und olfaktorische Formen annimmt.
Leben im Wasser und im Fels
So lässt etwa der in Berlin lebende Künstler Matthias Fritsch mit Hilfe lokaler Fachleute in einem Innenraum der Festungsmauer ein "Mycelium-Network" entstehen, eine lebende Skulptur aus verschiedenen, sich über die Dauer der Ausstellung verändernden und vermehrenden Pilzkulturen.
Die in Athen ansässige Künstlerin Stefania Strouza untersucht die chemischen Veränderungen, denen der allgegenwärtige See infolge menschlicher Aktivitäten unterliegt, was sich vor allem in seiner durch Sauerstoffmangel bedingten grünlichen Verfärbung ausdrückt, die zwischen Tag und Nacht changiert. Strouza visualisiert diese Prozesse in der poetischen Skulptur "Pamvotis" – der antike griechische Name des Sees bedeutet soviel wie "Die, die alle ernährt". Mit der Verwendung von geschmiedeten Metallen und phosphoreszierenden Materialien spielt die Skulptur gleichzeitig auf die traditionelle lokale Silberschmiedekunst an, sowie auf die Bedeutung des Ökosystems und die wechselseitigen Beziehungen von Natur und Konstruktion.
Traditionelle Kunsthandwerkstraditionen Ioanninas klingen auch in der Wandskulptur "/‘filo/" von Maria Varela an, die sich so monumental wie filigran an die Felswand schmiegt. Varela trainierte einen Machine-learning-Algorithmus, Formen und Techniken der für die Gegend typischen filigranen Silberschmiedekunst und der traditionellen terzidischen Stickerei zu einem linearen Ornament zu verbinden.
Vielstimmiger Gesang
Unweit von Ioannina befindet sich das antike Heiligtum von Dodona mit dem ältesten Orakel Griechenlands, sowie Zeustempel und ein Amphitheater aus dem 3. Jahrhundert vor Christus. Auch diese Traditionen hallen in der Ausstellung nach.
In der performativen Skulptur "Six Breaths per Minute" von Maria Louziou fungieren Keramikskulpturen, die von der griechischen Tradition inspiriert sind, als Exoskelette und Klangkostüme aus Ton, in denen die Körper von Performerinnen und Besuchern Platz finden, um ihren Stimmen wörtlich einen Raum zu geben. Die zu bestimmten Zeitpunkten aufgeführte Performance bezieht sich auf den vielstimmigen Gesang von Epirus.
Die "moiroloi", die vielstimmige Klage der Menschen von Epirus, sind auch Inhalt der ortsspezifischen Klanginstallation "The Passing“ von Maenads, die am Ende des Parcours im tunnelgleichen Südtor der Burg von Ioannina installiert ist: Ein vielstimmiger Chor menschlicher und nicht-menschlicher Klagen wird hier zum subversiven Akt, der dem eurozentrischen Individualismus eine radikal pluralistische Kollektivität gegenüberstellt – auch diese wurde von einer KI generiert. Angesichts der Tragödie, die sich nur wenige Tage vor der Eröffnung vor der Küste des Peleponnes abgespielt hatte, bekommt die Arbeit nochmals eine andere Schwere.
Anschluss ans lokale Publikum
Die 29 Stationen zwischen Festungsmauer und Seeufer integrieren neben künstlerischen Interventionen auch einige bereits dort vorhandene Kunstwerke sowie autorenlose "Points of Interest" historischer, architektonischer oder biologischer Natur, die auf lokale Mikro-Erzählungen eingehen.
Für die wohl aufwendigste Installation werden die innerhalb des Festungsfelsens liegenden, unterirdischen Bunker erstmal geöffnet und einem Publikum zugänglich gemacht. Die beklemmenden labyrinthischen Gänge, die während des Zweiten Weltkriegs der Bevölkerung als Schutzräume dienten, werden von Afroditi Panagiotakou und Manolis Manousakis in einer theatralischen multimedialen Inszenierung unter dem Titel "MANA" von persönlichen Geschichten und vor Ort gesammelten audiovisuellen Daten überlagert, die von Abschiednehmen und Wiedergeburt, dem See und seinen Bewohnern handeln. Dass die Direktorin und Co-Kuratorin der Ausstellung hier auch als Co-Produzentin einer künstlerischen Arbeit auftritt, darf durchaus kritisch hinterfragt werden.
Der großen Popularität der Arbeit sowie des gesamten Events tut dies jedoch keinen Abbruch. Woran viele zeitgenössische Kunst-Biennalen scheitern, nämlich die Einbeziehung eines weitgehend lokalen Publikums, gelingt hier offensichtlich: Auch vom Regen ließen sich die Menschen an den Eröffnungstagen nicht abhalten, teilweise stundenlang anzustehen, um die im Innern der Mauer installierten und damit nur begrenzt zugänglichen Arbeiten zu sehen – was jedoch durch die vielen, frei zugänglichen Skulpturen, Videoinstallationen, Performances und Audioarbeiten wieder ausgeglichen wurde. Statt der wegen der Staatstrauer abgesagten offiziellen Eröffnungsparty bekamen an den darauffolgenden Abenden lokale DJs eine öffentliche Bühne, weiterhin finden über die Dauer der Ausstellung Konzerte, Gespräche, Touren und ein umfangreiches Bildungsprogramm statt.
In dem Bemühen, globale Fragen zu Technologie, Mensch und Natur innerhalb des "über-örtlichen" Gewebes von Ioannina zu verhandeln und sensibel auf gewachsene Strukturen zu reagieren, kann Plásmata II als Ausstellung durchaus überzeugen – es bleibt zu hoffen, dass auch darüber hinaus Nachhaltigkeit produziert wird.