Die Künstlerin und Filmemacherin Britta Thie hat bei einer großen internationalen Fernsehserie mitgespielt. Als eine Art Selbstverteidigungsstrategie hat sie dabei angefangen, die Lichter, Kräne und Kameras zu dokumentieren und sich die Frage zu stellen, was die HD-Streams für eine Ästhetik befördern. Nun ist eine Ausstellung dieser Werkphase in der Galerie Wentrup zu sehen.
Britta Thie, was zeigen Sie in Ihrer aktuellen Ausstellung?
Im Zentrum steht eine Zwei-Kanal-Videoinstallation, in der Schauspieler:innen in Zweierpaaren auf zwei Screens eine Schauspiel-Übung durchführen, die sogenannte "Repetition Exercise". Ich selbst praktiziere diese Technik und mache in einer Sequenz mit. Die Übung kommt aus der Meisner-Technik, man steht sich gegenüber, schaut einander an und benennt, was man im Verhalten des anderen wahrnimmt. Manchmal sagt man über zwei Minuten nur: "Du schaust mich an", und das Gegenüber antwortet: "Ich schaue dich an", bis eine einen neuen Impuls wahrnimmt. So navigiert man durch Gefühle und emotionale Spannungsbögen. Durch die Konzentration auf die Spielpartner:in stellt man einen intensiven Kontakt her und hört dem Gegenüber zu.
Was soll man dabei lernen?
So lernt man, auf einer rein instinktiven Ebene Kontakt aufzunehmen. Das Konzept der Wiederholung hat mich auch im Kontext der Entertainment-Industrie interessiert. Nehmen wir all die Remakes der Marvel-Klassiker, die Wiederholungen von Takes beim Filmdreh. Die Videoinstallation, die die Schuspielenden zeigt, ist umgeben von Porträts jener Werkzeuge, die unsere Streams generieren – Film-Equipment übersetzt in fotorealistische Ölmalerei. Sie zeigen die Gegenstände, die diese Szenen ausleuchten und inszenieren. Die Bilder haben ein bisschen die Anmutung einer Ahnengalerie von Tech, sie sind eine Art LARP, also Life Action Role Play, ein Rollenspiel eines altmeisterlichen Blickwinkels. Sowohl die Videoinstallation als auch die Malereien portraitieren Technik: Schauspieltechnik und Filmtechnik. Beides sind Werkzeuge, die Drama generieren. Sie erzeugen Realität, Fiktion, hochauflösende Bilder und hochauflösende Gefühle.
Wie kam es dazu?
Ich war Teil eines Casts für eine Serie, bei deren Dreh viel mit Visual Effects gearbeitet wurde. Hintergründe oder Figuren werden oft erst in der Postproduktion mit CGI, also computergenerierten Bildern, eingesetzt. Am Set wartet man meist sehr lange, Szenen wiederholen sich, manchmal fühlt man sich wie in einer Repetitions-Übung. In diesen Zwischenräumen habe ich dann Porträts der Filmtechnik gemacht, die durch das cinematische Filmlicht bereits aussah wie Malerei. Ich fand es sehr poetisch, wie sich das Equipment ganz ungewollt und nebenbei gegenseitig an- und ausleuchtet. Es wirkte wie ein parallel existierender Ensemble-Cast aus Tech-Charakteren. Ich wollte dabei ausprobieren, ein "schnelles, mobiles" Medium wie den digitalen Stream in ein "langsames" zu übertragen und so über zeitbasierte Medien nachzudenken. So bin ich wieder zu meinen Wurzeln in der Malerei gekommen. Die fotorealistische Malerei ist wie eine Form von Mimikry des HD-Konzepts. HD-Malerei von Objekten, die HD-Streams herstellen.
Die Serie ist bisher noch nicht veröffentlicht worden. Dürfen Sie darüber sprechen?
Solange ich keine Namen nenne, ja. In den Malereien steckt ganz viel Drama und Tragik, weil die Objekte auch Porträts der Abwesenheit sind. Die Arbeit der unglaublich talentierten Crew und des Casts, die über Jahre auf der ganzen Welt harte Arbeit geleistet haben, ist bisher nicht sichtbar geworden. Und das passiert tatsächlich öfter, als man denkt. Viele Projekte werden einfach "shelved" – also "ins Regal gestellt", ohne je zu erscheinen. Die Malereien sind das einzige Material, die einzigen "Ensemble-Mitglieder" dieser Produktion, die "erschienen" sind und darüber ihre Geschichte erzählen dürfen.
Sie zeigen diese Geräte, die Sie sichtbar machen sollen …
… und wir blieben alle unsichtbar. Ja.
Eine schöne Pointe. Man hat auch das Gefühl, dass in den Bildern etwas Empörung mitschwingt, von Kameras beobachtet zu werden und Sie nun einfach mal zurück gucken.
Man träumt nach einem langen Filmdreh tatsächlich von Kameralinsen, weil man den ganzen Tag mit ihnen gedreht hat. Es sind diese starrenden Augen, die einem mal zuträglich sein können und manchmal eben genau nicht. Wir haben alle ja mittlerweile eine bestimmte Beziehung mit Kameras. Und jetzt gucke ich mal zurück.
Sie bezeichnen diese Filmset-Geräte aber als Ihre Freunde.
Ja, sie sind einfach immer für einen da - und für die Geschichte. Wir mussten dadurch, dass viel in der digitalen Postproduktion entsteht, oft mit Platzhaltern spielen. Man steht vor einem riesigen Greenscreen und spielt mit einem Tennisball als Spielpartnerin, der auf einem Stativ steckt und erst später zu einem Roboter oder Monster wird. Man muss dabei unheimlich viele Gefühle auf diesen kleinen Ball projizieren, immer wieder Gefühle hochholen. Dadurch hat man irgendwann so einen Mechanismus verinnerlicht, das "nicht Lebende" zum Leben zu erwecken. Und mit so einem Blick geht man dann auch über das Filmset, und alle Objekte um einen herum, die sowieso schon so dramatisch ausgeleuchtet sind, werden lebendig. Sie werden zu unheimlichen, aber irgendwie auch unheimlich treuen Gefährten. Man fühlt sich zu ihnen hingezogen, sie sehen lieb oder sogar sexy aus. Und irgendwie haben sie auch eine intensive Aura, vielleicht weil sie schon so viel "gesehen" haben. Wie viele Dramen sie wohl schon ausgeleuchtet haben? Auch die Dramen hinter der Kamera. Denn wenn man sechs Wochen jede Nacht dreht, nur zwei bis vier Stunden schläft, ist man irgendwann so fertig, dass alles sehr schnell explodieren kann. Und dann sind diese Figuren die einzigen, die alles weiter ausführen können.
Das nicht Lebende zum Leben erwecken – ist das noch eine Kategorie, lebendig sein?
Das fiktionale Leben ist unsere Wirklichkeit. Es wird immer schwieriger, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Zu beantworten, wie fiktional die Figur ist, die ich gerade spiele, wie generisch die Bilder sind, die entstehen. In meiner Videoinstallation habe ich deswegen bewusst diese Streaming-Ästhetik von Dramen zitiert, die gewisse Close-Ups der Gesichter und Sehgewohnheiten zeigen, die wir von Serienplattformen kennen. Wenn zum Beispiel in einem der Ausschnitte eine Figur emotionslos scheint und die andere sich an ihr emotional abarbeitet, aber alles, was sie einander sagen "You’re standing still" - "I’m standing still" ist, ist das irritierend. Die Kamera filmt zwar auf eine uns vertraute Weise, hand-held im Halbprofil, wie einer Figur die Tränen kommen. So entsteht eine gewisse visuelle Trope, aber der Dialog scheint nicht dazu zu passen. Und die Schauspieler:innen wiederum bringen ihre ganz besondere Einzigartigkeit, Wahrhaftigkeit und Rohheit durch die Intensität der Repetitions-Übung hervor, die dann in starkem Kontrast zu der ästhetischen Auflösung steht.
Man ist als Zuschauerin schnell ergriffen und denkt, es geht um was, das sind echte Aggressionen, Unsicherheiten.
Man will immer, dass es um was geht. Das hat viel damit zu tun, was man da hineinprojiziert.
Was hat sich da seit Ihrer Web-Serie "Translantics" verändert?
2015 war eine Phase, in der autofiktionale Erzählungen von Millennials aufkamen: Michaela Coel’s großartige Serie "Chewing Gum", die Verfilmung von Kris Kraus’ "I love Dick" oder Lena Dunham’s "Girls" waren damals neu und anders. Heute gibt es eine Flut von Serien, die mit den Tropen der "Messy Millennial Woman" arbeiten. Damals lag eine Euphorie in der Luft, einfach drauf los zu erzählen. Der Stream war neu, DIY-Webserien sprossen aus dem Netz, und "Translantics" hatte etwas von diesem Gefühl. Die Arbeit war in ihrer Überspitztheit aber auch als kritische Beobachtung dieser Nabelschau der aufkommenden “Selbst-Nostalgie”-Generation gemeint.
Werden wir eigentlich zu diesen Fernseh-und Kinoproduktionsfiguren. Oder werden die wie wir?
Meine Leidenschaft für diese Objekte, die das alles herstellen, war für mich eine Art, mich diesem Thema anzunähern. Der Content, den wir konsumieren ist so High-Res, man sieht jede Pore, jede Narbe und haut dann doch wieder einen Filter drüber. Und dieses Equipment und die riggs sind genauso vernarbt, verkratzt, improvisiert und zusammengeflickt wie unsere Leben. Und nach der Postproduktion wird dann das perfekte Bild, das dieses wild zusammengebaute Konstrukt generiert hat, in den Stream geladen.