„Abuse of power comes as no surprise.“ Machtmissbrauch ist keine Überraschung. So lautet einer der Sätze, die Jenny Holzer Anfang der 80er-Jahre über die Werbetafeln am New Yorker Times Square schickte. Mit ihren „Truisms“, Sprichworten, wurde die 1950 geborene Amerikanerin seitdem international berühmt. Nun, bei ihrer großen Einzelausstellung in der Fondation Beyeler, bildet Herrschaftsgewalt wieder das dominierende Thema. Es geht um den Rechtsruck der Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001, um Irakkrieg, Überwachung, Folter.
Holzer hat freigegebene Akten der US-Regierung verarbeitet: Handflächen-Scans, Militärpläne zur Zerstörung des irakischen Widerstands, Anleitungen zur Misshandlung von Verdächtigen. Im Siebdruckverfahren überträgt sie diese Dokumente auf Leinwand, gestaltet sie teilweise um und präsentiert damit erstmals seit ihrer Studienzeit auch Malerei. Vor allem aber wird diese Retrospektive erneut von Holzers LED-Anzeigen geprägt. Wie Rippen im menschlichen Körper türmt die Skulptur „Thorax“ (2008) Zitate über den Mord an einem irakischen Zivilisten. Noch mächtiger erhebt sich „Monument“, eine blinkende Säule in Magenta, Weiß und Blau mit „Truisms“ und anderen älteren Statements. Und in „For Chicago“ fließen sie auf flachen, parallelen Bändern gelb von den Besuchern weg wie Gedanken auf dem Weg in die Unendlichkeit.
Die Künstlerin, die mit ihrem Werk früh den direkten Eingriff in die Gesellschaft probte, hat über die Jahre ihre moralische Integrität gefestigt; gleichzeitig wurden ihre Installationen optisch immer aufwendiger. Jetzt blitzt und zuckt es in Riehen bei Basel, dass man sich in einem Fegefeuer der Leuchtschriften wähnt und die Finessen des Zusammenspiels von Bild und Text bestaunt. Wirklich überraschen kann einen hier allerdings trotzdem nichts mehr. Während die Buchstaben immer weiterrennen, ist Jenny Holzers Kunst längst statisch geworden: ein Denkmal ihrer selbst.
Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, bis 24. Januar. Mehr Informationen unter www.beyeler.com. Am 8. Januar strahlt Arte um 7 Uhr ein Porträt der Künstlerin aus (Wdh. am 11. Januar um 02:15)