Sie ist mit Donald Trump durch Midtown Manhattan gefahren, gefolgt von Schaulustigen und entsetzten Polizisten, die ihr übers Megaphon zuriefen, sie solle anhalten. Vor dem Trump Tower kam Alison Jackson der Aufforderung schließlich nach. Der von ihr engagierte Doppelgänger ging entspannt Richtung Tür, durch einen Korridor von Frauen, die ihm wutentbrannt Plakate mit der Aufschrift "Don’t snatch my pussy" und "Not my President" entgegenhielten. 2016 war das. Und seitdem hat nicht nur der echte Donald Trump alles unternommen, um unseren Begriff von Wahrheit auf den Kopf zu stellen.
Als Jackson vor 25 Jahren mit ihren Maskeraden begann, gab es noch keine alternativen Fakten. Zumindest nicht in Demokratien, die etwas auf sich hielten. Falsche Bekenner einer geklauten Identität empfand man als unterhaltsames Gegenprogramm zur festgefahrenen Öffentlichkeitsmaschinerie. Damals amüsierten sich noch alle zu Tode. Neil Postman fasste das in seinem gleichnamigen Klassiker von 1988 zusammen: Die Logik des Enterainments war überall.
Wenn man aber heute vor einem Trump mit orange angesprayten Gesicht, Jack Nicholson beim Golfen, Lady Di mit Stinkefinger oder Mick Jagger beim Yoga steht, wundert man sich nur über die Banalität dieser auf realistisch getrimmten Paparazzi-Inszenierungen. Wenn die Propaganda eines Wladimir Putin gerade die besetzten Trümmerhaufen von Mariupol zu einem "Paradies" erklärt, hat das schon eine andere Brisanz als die verstorbene Queen neben Camilla Parker Bowles unter der Trockenhaube - natürlich bei der Lektüre von Klatschzeitungen. Und hat nicht Prinz Harry gerade höchstpersönlich mit seiner Biografie alle Erwartung an royale Peinlichkeit getoppt?
Der Höhepunkt ist erreicht
Da hilft es auch nicht, dass Jackson beteuert, Menschen wie Harry, Trump und Kim Kardashian wären ohnehin halb echt, halb Cartoon. Auch Andy Warhol testete die Grenze zwischen der Ausbeutung der Sensationslüsternheit und der Untersuchung seines Wesens aus. Aber dient es wirklich der Wahrheitsfindung, boulevardeske Simulationen in dem kollektiven Bildergedächtnis zu multiplizieren? Hilft eine höhere Drogendosis gegen Celebrities - und Skandal-Sucht? Und was ist heute noch an dem einst viralen Foto von Trump im Oval Office, auf dem Miss Mexico mit gespreizten Beinen auf seinem Schreibtisch sitzt, entlarvend? Trump in einer Gruppe von Ku-Klux-Klan-Anhängern vor einem brennenden Kreuz irritiert da schon eher, wenn man weiß, dass sein Vater bei einer KKK-Kundgebung festgenommen wurde.
Den Höhepunkt ihrer Kulturkritik hat Alison Jackson längst erreicht. Wer für sie immer noch gerne den Voyeur spielt, hat es nicht besser verdient. Mehr Erkenntnisstreben bitte, weniger künstliche Paradiese!