Ihre Skulptur "Our Paper Soldier" entstand letztes Jahr während eines Projektes für die Wiener Festwochen. Im Anschluss reiste sie für die Berliner Festspiele nach Berlin, wo sie im Juni 2014 von Unbekannten zerstört wurde. In Ihrer aktuellen Berliner Ausstellung in der Galerie KOW ist eine neue Version der Skulptur zu sehen, eine Art Zombie-Soldat. Was hat Sie motiviert, die Skulptur wiederaufleben zu lassen?
Wir waren schockiert, als die Skulptur zerstört wurde, vor allem wenn man den Kontext betrachtet, in dem das passiert ist. Du bist permanent mit Bildern von Brandanschlägen im Ukraine-Krieg konfrontiert, und dann siehst du deine Skulptur in einem ähnlichen Zustand. Uns war sofort klar, dass die Skulptur wiederaufleben musste, als etwas Neues. Die Idee des Zombie-Kommunismus wurde von einem Mitglied unseres Kollektivs entwickelt, Oxana Timofeeva. Es ist nicht nur ein Zombie, sondern gleichzeitig ein Engel, eine queere Figur, die den Kampf verloren hat, aber trotzdem weiterkämpft. Die Skulptur hat keinen Kopf, in ihrer Brust klafft an Stelle des Herzens ein Loch. Das Herz befindet sich als eine Art als Zeitkapsel neben der Skulptur. Jeder von uns hat etwas Persönliches hineingelegt und wir haben es in die Zukunft geschickt. Es ist wichtig für uns, so eine Art Verbindung zur Zukunft herzustellen, denn manchmal haben wir das Gefühl, dass es für uns keine Zukunft gibt.
In einem Statement zur aktuellen Ausstellung fragen Sie sich, was Kunst ausrichten kann in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen. Sie kommen zu der Einsicht: "Wir haben verloren." Warum?
Egal, was du machst, du wirst immer scheitern. Wir leben in einer Zeit, in der sich alles unglaublich schnell verändert, wir sind ständig von Katastrophen umgeben. Wenn du dir darüber bewusst wirst, bleibt dir irgendwann nichts anderes mehr als die Kunst. Aber wie kann man Kunst machen, wenn man schweigen soll? Als zum Beispiel 2011 und 2012 die Menschen auf die Straße gingen und gegen die russischen Präsidentschaftswahlen protestierten, waren wir total euphorisch. Nach der Sowjetunion, nach so langer Zeit, haben sich die Menschen endlich aufgelehnt und jetzt, zwei Jahre später, stehen wir vor einer Katastrophe, die sich niemand hätte vorstellen können. Du wirst sprachlos, weil du siehst, wie Menschen ihren Glauben verlieren, Menschen aus deinen Kreisen, mit denen du Ansichten geteilt hast, werden plötzlich zu deinen Feinden. In den Medien wurde in letzter Zeit ein Begriff sehr stark geprägt, der des "nationalen Verräters" und in den Augen vieler sind wir zu nationalen Verrätern geworden. Trotzdem ist da etwas, was uns in dieser aussichtslosen Situation immer noch dazu treibt, Kunst zu machen. Wir sind Verlierer und gleichzeitig hoffnungslose Optimisten.
In dem Film "The Excluded, in a Moment of Danger", der in der Ausstellung zu sehen ist, fragen sich die Protagonisten, wo sie stehen, als Einzelperson und als Teil einer Gesellschaft. Welche Botschaft übermittelt uns der Film?
Der Film ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit befreundeten Aktivisten und Absolventen unserer School of Engaged Art. Nina Gasteva, die Choreographin des Films, hat mit den Protagonisten nach Instrumenten gesucht, um den individuellen und kollektiven Körper zu beschreiben. Jeder der Teilnehmer sollte sich fragen, wo er sich in Bezug auf Zeit, Raum, Geschichte und Erinnerung befindet. Das war ein großer Schritt für uns, darüber nachzudenken, wo wir eigentlich stehen. Wir haben lange daran geglaubt, dass Kunst die Macht hat, Dinge zu verändern. Jetzt sind wir uns da aber nicht mehr so sicher. Die Situation in Russland und der ganzen Welt verändert sich sehr schnell. Normalerweise basiert unsere Kunst auf tiefgründiger Recherche, wir kreieren einfache Strukturen und wissen, was wir sagen wollen. Aber als wir unseren neuen Film gemacht haben, wussten wir plötzlich nicht mehr, was eigentlich los ist und genau darum geht es: Wir wissen nicht, was wir sagen sollen. In so einem Moment ist es wichtig, nicht allein zu sein, deswegen haben wir in dem Video diesen kollektiven Körper geschaffen. Jeder Körper hat seinen eigenen Rhythmus, aber allein ist er schwach und nur als Gruppe sind sie stark. Im Grunde eine sehr einfache Botschaft.
Die Ausstellung erscheint wie das Abbild einer katastrophalen Gegenwart, aus der es kein Entkommen gibt. Kann man die Frage "Was tun?", "Chto Delat?", überhaupt beantworten?
Der Name unserer Gruppe bezieht sich auf einen Roman des russischen Schriftstellers Nikolai Tschernyschewski aus dem 19. Jahrhundert, sowie auf eine Publikation von Lenin aus dem Jahre 1902, in der es um die erste sozialistische Arbeiterorganisation Russlands geht. Genau wie bei unserem Kollektiv, ging es damals um eine verzweifelte Reaktion einer Gruppe von jungen, fortschrittlichen Leuten, die sich zusammengetan haben, sich kleine Räume geschaffen haben, in denen sie über Nachhaltigkeit, Bildung und andere Dinge nachdachten. Im Grunde ist das alles, was wir machen können: Alternative Wissensräume schaffen. Wir bezweifeln, dass wir Einfluss auf politischer Ebene haben können, aber wir zeigen, dass es möglich ist, Einfluss auszuüben. Wir werden immer wieder gefragt, ob man in Russland Kunst machen kann. Natürlich ist das möglich, wir sind nicht im Iran. Trotzdem sind wir ständig mit neuen Katastrophen konfrontiert. Während der Eröffnung unserer Ausstellung hier in Berlin erreichte uns die Nachricht vom Mord Boris Nemzows. Ein Tag später fand der Frühlingsmarsch in Moskau statt, ein organisierter Protest gegen Putins Ukraine-Politik. Diese Ereignisse werden vieles ändern, allerdings wissen wir nicht wie. In diesem Sinne wird die Frage "Was tun?" immer bleiben.
Welchen Einfluss kann solch eine Schau wie die in der Galerie KOW haben?
In der Schau geht es um professionelle Kunst. Das Publikum hier ist kein Mainstream-Publikum, sondern eine professionelle Gemeinschaft, die sich mit unserer Kunst auseinandergesetzt hat. Eine solche Ausstellung hat vielleicht keinen großen sozialen oder politischen Einfluss, zumindest nicht sofort. Als wir unseren neuen Film zum ersten Mal in Europa gezeigt haben, gab es sehr viel positives Feedback. Die Leute haben verstanden, dass es in Russland nicht nur junge Patrioten gibt, die nach Donezk fahren, um auf der Seite von pro-russischen Separatisten zu kämpfen. Solche Sichtweisen wollen wir beeinflussen. Wir wollen zeigen, dass es auch gute Menschen gibt in Russland.
Und wie reagiert das russische Publikum auf Ihre Kunst?
Seit der Gründung unseres Kollektivs wurden wir aus Künstlerkreisen verbannt, wir waren immer die Außenseiter, die niemand ernst nahm. Das hat sich schlagartig geändert. Die Leute in Russland nehmen plötzlich unsere Arbeit als Ausgangspunkt, um kritische Dialoge zu entwickeln. Auch hier in Berlin sind wir einer neuen Generation von Russen begegnet. Junge Menschen zwischen 25 und 30, die in den Westen gezogen sind, an Kunsthochschulen studiert haben, unsere Arbeit kennen und sie als eine Art Bezugspunkt nehmen. Das hat uns wirklich überrascht, vor drei Jahren schien diese Generation nicht zu existieren und jetzt gibt es Leute die Doktorarbeiten über unsere Kunst schreiben. Sie sind zu einer sichtbaren Community geworden.
Chto Delat - "Time Capsule. Artistic Report on Catastrophes and Utopia", KOW Berlin, bis 18. April