Das Mädchen blickt kritisch in die Kamera. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, das Kopftuch sitzt locker am Hinterkopf, die langen braunen Haare fallen ins Gesicht. Ihre Freundin begegnet dem Blick der Kamera ebenfalls, ein wenig schüchtern, mit zaghaftem Lächeln. Sie stehen auf einer felsigen Anhöhe, welkes Gestrüpp zwischen dem Gestein. Hinter ihnen zwei Hochhausblöcke.
Irgendwo hier sind sie zu Hause. Wenn nicht in einem der beiden Mehrgeschosser, die auf dem Bild zu sehen sind, dann in einem der anderen, unzähligen. Block um Block dehnen sie sich mitten in der Wüste aus. Beton-Giganten für die man sogar Berge abtragen ließ. "Cast out of Heaven" - aus dem Himmel geworfen - hat der iranische Künstler Hashem Shakeri seine Serie über das Leben in Teherans Satellitenstädten Parand, Pardis und Hashtgerd genannt, an der er seit 2016 arbeitet.
Die riesigen Siedlungen wurden errichtet, um der rasant wachsenden Population der Hauptstadt zu begegnen. Menschen mit geringem Einkommen sollten hier ein neues, erschwingliches, ein komfortables Zuhause finden. Doch der Ort, der Heimat werden sollte, wurde für die hierhergezogenen Menschen zu einer Art Limbus: Fehlende Bildungs- und Freizeiteinrichtungen, kaum Arbeitsplätze bei stetigem Bevölkerungszuwachs, schlechte medizinische Versorgung und das Gefühl, vom früher gelebten, "wirklichen" Leben abgeschnitten zu sein. Die Folgen sind ein kollektives Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Depression, Drogenmissbrauch. Eine hohe Suizidrate.
Poetik und Tragik
Shakeri, der viel Zeit mit einigen der Bewohnerinnen und Bewohner verbrachte, sich mit ihnen anfreundete, fängt dieses Gefühl der Frustration in seinen Bildern ein. Er übersetzt es in eine eigentümliche Ästhetik, die die hoffnungslose Spannung, die resignierte Stille anschaulich macht: Die Fotografien wurden mit einer analogen Mittelformatkamera aufgenommen und mehrfach überbelichtet, wodurch sie eine matte Farbigkeit erhalten und an Tiefe und Kontrast verlieren. Die Arbeit ist, zusammen mit den Serien "The Haunted" (2018, seit 2014) und "An Elegy for the Death of Hamun" (seit 2018), Teil seiner Trilogie über soziale Fragen der zeitgenössischen iranischen Gesellschaft.
Vertreibung, Exil, Entfremdung, Isolation und Zerrissenheit sind wiederkehrende Themen seiner Fotografien, deren Betrachtung häufig von einem paradoxen Moment begleitet wird: Die Poetik seiner Bilder steht in Kontrast zu der Tragik der Geschichten, die sie erzählen. Besonders deutlich wird dies in den Arbeiten der Serie "An Elegy for the Death of Hamun", die in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan entstanden. Die an Pakistan und Afghanistan grenzende Region ist aufgrund iranischer und afghanischer Staudammprojekte sowie veralteter Bewässerungssysteme und fehlenden Niederschlags seit beinahe zwei Jahrzehnten von anhaltender Dürre geplagt. Die Menschen, die hier seit Generationen von und mit dem Hamun-See lebten, haben ihre Lebensgrundlage verloren.
Während die Protagonistinnen in den Bildern der Serie "Cast Out of Heaven" wie Statistinnen in einem absurden Setting wirken und keinerlei Verbindung mit ihrer Umgebung zu haben scheinen, wirken die Menschen in "An Elegy for the Death of Hamun" wie Hinterbliebene eines längst vergangenen Lebens. Sie sind Bewohnerinnen einer Region, der die Zukunft abhanden gekommen ist.
"Ein Herzensprojekt"
Shakeris Arbeiten sind in einer konkreten – der iranischen – Gesellschaft verankert und werfen doch eine universell gültige Frage auf. Sie fragen nach dem Gemütszustand des zeitgenössischen Menschen angesichts des von ihm verursachten Kollaps der Umwelt. Der Umgang des Menschen mit seinem Planeten führt Shakeri zu dem Urteil, dass er sich von sich selbst entfremdet hat. Er beobachte eine allgemeine Verwirrung, ein Unbehagen, dem er in seinen Arbeiten nachspüre.
Dabei spricht durch seine Fotografien keinesfalls ein urteilender Blick; sie lassen vielmehr aufrichtige Anteilnahme und respektvolles Infragestellen erkennen. In der von Anahita Sadighi und Lilja-Ruben Vowe kuratierten Ausstellung, die im Rahmen des European Month of Photography in den Kantgaragen in Berlin gezeigt wird, sind weiterhin Fotografien seiner 2020 entstandenen fotografischen Reflexion des Lockdowns in Teheran zu sehen. Die digital entstandenen Aufnahmen dokumentieren den Versuch der Bevölkerung, in Zeiten des Ausnahmezustands und im Kontext verordneter Isolation Normalität, Nähe und Gemeinsamkeit aufrechtzuhalten.
Shakeris Arbeit in Berlin zu zeigen sei ein Herzensprojekt, so Vowe. Der Künstler, Fotograf und Filmemacher erlaube wichtige Einblicke in die iranische Gesellschaft. Die Ausstellung steht auch im Kontext des Engagements der Galeristin Sadighi im Zuge der gegenwärtigen Situation in ihrem zweiten Heimatland Iran: Im vergangenen November präsentierte Sadighi in den Kantgaragen eine von ihr konzipierte Installation, die sie den Frauen im Iran widmete und schuf eine Plattform für die iranische Diaspora in Berlin.