Als der 14-jährige Afroamerikaner Emmett Till im Sommer 1955 Verwandte in Mississippi besuchte, wurde er gelyncht, weil er angeblich einem weißen Mädchen nachgepfiffen hatte. Doch als der Leichnam in Tills Heimatstadt Chicago überführt worden war, traf Mamie Till Mobley, die Mutter des Jungen, eine Entscheidung, die die perfide "Logik" des Lynchmordens durchbrach. Sie bat um einen offenen Sarg, bei der Tills grausam zugerichteter Leichnam fünf Tage lang ausgestellt wurde. Auch erlaubte sie, dass Fotos ihres toten Sohnes veröffentlicht wurden. Ihre Weigerung, ihre Trauer privat zu halten, unterlief den üblichen Mechanismus, dass die Leichname als Warnung für die Schwarze Gemeinschaft von den Tätern präsentiert wurden.
Mamie Till Mobley machte einen toten Körper, der für die Justiz keinen Wert hatte – Emmett Tills Mörder wurden, wie üblich in solchen Fällen, freigesprochen – zum Beweismittel eines brutalen Hassverbrechens, vor dem niemand die Augen verschließen sollte. Das "Spektakel des Schwarzen Todes" ("Black Death Spectacle"), an dem sich Weiße ergötzen sollten, wurde zu einem Monument der Schande und Trauer. "Sollen die Leute sehen, was ich sehe", sagte Mamie Till Mobley damals. "Die ganze Welt soll Zeuge sein, was sie meinem Jungen angetan haben."
Der Mord an Emmett Till wurde zu einem Fanal der Bürgerrechtsbewegung und leitete ein neues Nachdenken über den Zusammenhang von Rassismus und Bildpolitik ein, wie unter anderem die Ausstellung "Grief and Grievance" 2021 im New Museum in New York eindrucksvoll zeigte. Es ist dieser Kontext, der bis heute immer mitschwingt, wenn in den USA rassistische Morde begangen werden, wenn Polizisten auf Afroamerikaner einprügeln – aber eben auch, wenn diese Bilder von Kino, Theater oder der Kunst aufgegriffen werden.
"Black Death Spectacle" im Museum
Als die Malerin Dana Schutz 2017 auf der Whitney Biennale das Gemälde "Open Casket" (zu deutsch: "offener Sarg") mit dem Leichnam Emmett Tills zeigte, löste sie Proteste aus: Aktivisten sprachen von einem "Black Death Spectacle" und forderten, dass das Bild entfernt würde. Es sei nicht akzeptabel, wenn eine Weiße schwarzes Leiden in Profit und Spaß umwandelt, obwohl dies schon lange geschieht und normal erscheint, schrieb damals die Künstlerin Hannah Black in einem Statement. Schutz und ihre Unterstützer hingegen sprachen von einem Versuch der Zensur und einem Eingriff in die "Freiheit der Kunst".
Seither flammt dieser vermeintliche "Kulturkampf" in immer neuen Episoden auf und verdeckt in seiner oft aggressiven Rhetorik, dass es beim Bilderstreit immer auch um Fragen von Macht, Privilegien und Geld geht, um institutionellen Rassismus und die Notwendigkeit struktureller Veränderungen.
In dieser Woche kommt die Geschichte Emmett Tills als Film in die deutschen Kinos. Die Regisseurin Chinonye Chukwu verzichtet in "Till – Kampf um die Wahrheit" darauf, den toten Jungen direkt zu zeigen, man sieht den Körper immer nur angeschnitten oder aus einer schrägen Perspektive. Sie habe keinen "voyeuristischen Standpunkt einnehmen" und "den Körper nicht zum Objekt" machen wollen, erklärte Chukwu in Interviews. Fragen der Darstellbarkeit spielen in ihrem Film allenfalls indirekt eine Rolle, indem sie den Fokus von Emmett auf Mamie Till lenkt. Die Zuschauer sehen eine Frau, die sich von der verängstigten Mutter zur entschlossenen Aktivistin wandelte, Trauer zu Politik machte.