In manchen Filmen dieser Art erkennt man den Künstler vor lauter Raunen nicht. In Pepe Danquarts "Daniel Richter" hat vor allem die Titelfigur das Wort – und drumherum ein paar Talking Heads, aber eben nicht zuviele. Auch ist es erholsam, sich nicht ständig altkluge Fachsimpelei anhören zu müssen, obwohl die Einwürfe des Sammlers Harald Falckenberg teilweise wie sorgsam memorierte Katalogtexte klingen. Jonathan Meese erzählt lustige Anekdoten – er und Richter studierten bei Werner Büttner in Hamburg – und verliert sich zeitweilig im eigenen Universum ("Ich bin Feenstaub"). Künstlerkollege Tal R, den Regisseur Danquart in Kopenhagen befragte, berichtet, wie er Daniel Richter kennenlernte, auf irgendeiner Künstlerparty. Sie hätten sich beide nur angegrinst, erzählt der Däne, zwei Typen am Rand des Geschehens, ein Gedanke: "We were looking at the same Circus", erinnert sich Tal R.
Der Kunstzirkus scheint Daniel Richter nicht allzusehr zu stören, mitunter scheint er den Trubel ein bisschen zu genießen. Die Kamera begleitet den Künstler auf Vernissagen und Eröffnungspartys in Paris oder New York; Clips aus spektakulären Auktionen sind ebenso Teil des Films. Im September 2020 kommt Richters Öl-und-Lackbild "Das Recht" (2001) im Kölner Auktionshaus Van Ham unter den Hammer. Auf dem Bild knüppeln zwei Kerle ein Pferd nieder, das auf dem Rücken liegt. Der Schätzpreis des Gemäldes liegt bei 250.000 Euro, am Ende des Bieterdramas wird das Bild für über 438.000 Euro verkauft.
Richter nimmt solche Preisspiralen gelassen. "Kunst ist nun mal ein Luxusgut", kommentiert der Künstler, der als Jugendlicher in der Hausbesetzerszene in Hamburg aktiv war, der seine Werke indes nicht als "politisch", sondern besser als "politisiert" auffassen will, denn: "Spätestens, wenn die Kunst in den Warenkreislauf eingeht, ist es heikel, von ’politischem Anspruch’ zu reden."
"Was man macht, muss überprüfbar sein"
Reden aber muss man – über Kunst, wie sie entsteht und rezipiert wird. Am Anfang von "Daniel Richter" denkt der Künstler laut darüber nach, wozu ein Film über ihn gut sein soll. "Was man macht, muss überprüfbar sein", erklärt Richter. Er sei nicht an einem Bild von sich selbst interessiert, sondern wolle dem Publikum zeigen "an was für einer Form von Kunst ich hier arbeite".
Das ist nicht nur so dahingesagt. Tatsächlich konzentriert sich der Film, der im Zeitraum von etwa drei Jahren gedreht wurde, über weite Strecken auf die Arbeit des Künstlers in seinem Berliner Atelier. Die Bilder, die dort entstehen, sind von einer Postkarte aus dem Ersten Weltkrieg inspiriert. Das Foto zeigt Männer, die ihre Beine verloren haben, Männer, die auf Krücken laufen. Das im Krieg zu Propagandazwecken (!) verbreitete Foto ist Schwarzweiß, Richters Malereien strotzen von Farbe.
Trotz der stark abstrahierten Malweise sind die Gehhilfen – als gerade Linien – in der Malerei wiederzuerkennen, ebenso wie die menschlichen Figuren, die auf manchen Bildern miteinander zu kämpfen scheinen, wobei die Gewalt zuweilen auch homoerotisch aufgeladen wird.
Zaungäste im Atelier
Pepe Danquart, der mit Dokumentarfilmen über Eishockeyspieler ("Heimspiel"), Tour-de-France-Teilnehmer ("Höllentour") und Extremkletterer ("Am Limit"), sowie mit "Joschka und Herr Fischer" (2011) bekannt wurde, lässt den Zusammenhang zwischen der historischen Fotografie und Richters Bildern lange im Unklaren. Ein schöner dramaturgischer Kniff, der spürbar macht, dass es in der Kunst selten ein definiertes Ziel gibt, das es zu erreichen gilt. Anders als etwa im Boxsport, wo die Sache mit dem K.O.-Schlag erledigt ist. Es gibt für Richter in diesem Fall eine Quelle (das Foto), aber die soll offenbar nicht überschätzt werden.
Ideen, Anstöße, Grundthesen sind für einen Maler hilfreich, aber damit fängt die Arbeit ja erst an. Und bei dieser Arbeit, bei den Fort- und Rückschritten, bei den Denkpausen, beim Kopfstand, beim Musikhören dürfen wir Zaungäste im Atelier von Daniel Richter sein.
Es sei nicht verschwiegen, dass der Film Längen hat. Das liegt weniger an den Atelierszenen, zumal zwei muntere Papageien immer wieder ins Bild flattern, um an Richter oder seinen Malutensilien herumzuknabbern. Im Spielfilm würde man von "Sidekicks" sprechen, die die Story aufmischen, wo sie bierernst und statisch zu werden droht. Nein, "Daniel Richter" zieht sich, weil Danquart zu viel hineinpackt in seinen Film. Das Atelier ist ihm nicht genug, er muss mit Richter auf Reisen gehen, nach Wolfsburg, Paris und New York.
So verständlich es ist, eine Künstlerexistenz mit allem kunstbetrieblichen Drum und Dran zu zeigen – das Studio, der Malprozess, die Monologe eines eloquenten Künstlers wie Daniel Richter, wäre das nicht ein abendfüllendes und spannendes, wenn auch für Filmförderungsgremien allzu radikales Konzept?