Arbeiten in der Kunst ist selten glamourös und für eine große Mehrheit eher prekär und voller Unsicherheiten. Das Magazin "Work in Progress", herausgegeben von Monopol-Autorin Leonie Pfennig und Luise Pilz vom Verein "And She Was Like: Bäm!", stellt zwölf Kulturschaffende vor und fragt, wie die Corona-Pandemie ihren Beruf verändert hat und was sie sich für die Zukunft des Kunstfelds wünschen. Dabei sind unter anderem die Künstlerin Luki von der Gracht, die Kuratorin Vivien Trommer und Kunstvereinsdirektorin Fatima Hellberg. Wir veröffentlichen hier als Auszug das Gespräch mit Meryem Erkus, Gründerin des Projektraums Gold + Beton in Köln.
Meryem Erkus, wie beschreiben Sie in zwei Sätzen, was Sie beruflich machen?
Klassischerweise bezeichne ich mich als Hybridin; ich arbeite an freien Kulturprojekten.
Ist der Projektraum Gold + Beton Ihr Hauptjob, oder wie steht es im Verhältnis zu Ihren anderen Projekten?
Gold + Beton ist die konstanteste Hauptbeschäftigung und zahlt mir seit circa drei Jahren auch eine kleine Aufwandsentschädigung. Es ist nicht mein Haupterwerb, aber einer meiner Hauptjobs. Dazwischen gibt es verschiedene kleinere Sachen, die aber oft ineinander übergehen. Punktuelle Aufträge, wie DJ-Jobs, oder jährliche, wie die Brückenmusik (eine Reihe für Klanginstallationen und akustische Kunst im Hohlkörper der Deutzer Brücke), aber seit 2019 habe ich keine regelmäßige, feste Einnahmequelle. Wie das in "Normalzeiten" nach der Pandemie weitergeht, mal sehen … Ein neuer Job, den ich zurzeit mache, ist die Jury für die Corona-Stipendien des Deutschen Musikfonds. Da verdiene ich Geld, indem ich Geld für Künstler*innen vergebe, wow. Wir haben in der letzten Runde fünf Millionen vergeben, das war wirklich toll.
Das heißt, die Pandemie hat Sie da auch ein Stück weit über Wasser gehalten?
Genau, das ist eine verzerrte Realität seit der Pandemie. Den Job gab es so vorher nicht, aber gleichzeitig halte ich damit andere mit über Wasser. Ein verrückter Kreislauf.
Wo war Ihr Arbeitsplatz in den letzten zwei Jahren?
Hauptsächlich hier im Gold + Beton oder zu Hause an meinem Esstisch oder im Bett. Eigentlich zelebriere ich mein Bettbüro, aber das letzte halbe Jahr war ich in einem Tief und kam dort einfach nicht mehr raus. Inzwischen sitze ich zum Glück wieder am Esstisch oder hier am Ebertplatz. Wir hatten hier das Glück, auch trotz Pandemie unsere Projekte weitermachen zu können: Wir konnten Ausstellungen zeigen, da niemandem verboten war, alleine spazieren zu gehen und durchs Schaufenster zu gucken. Im Sommer konnten wir dann wieder Leute einladen, weil alles draußen stattfand. Ein neuer "Arbeitsort" war auch das LED-Band, "Fries TV", das wir während der Pandemie umgesetzt haben. Das ist eine Videoinstallation im öffentlichen Raum am Betonfries der Ebertplatzpassage, auf der täglich Video- und Animationskunst zu sehen ist. Zuerst wurde es von uns gemeinsam mit verschiedenen freien Akteur*innen und Initiativen aus der Literaturszene bespielt, danach haben wir es als Videokunstkanal fortgeführt.
Was war der Anblick, den Sie von Ihrem Arbeitsplatz aus gesehen haben?
Oft meine Katze, immer mein Chaos.
Wie beginnen Sie Ihren Arbeitstag? Haben Sie eine Routine?
Ich bin morgens recht entspannt, ich wache irgendwann – nicht zu spät – auf, dann habe ich entweder Online-Meetings oder setze mich erstmal an den Computer und arbeite. Ich habe aufgegeben, zu glauben, dass ich am Ende meines Lebens alle Mails beantwortet haben werde.
Hat sich Ihr Arbeitsalltag sehr verändert durch die Pandemie?
Jein. Ich habe das große Glück, dass es für mich persönlich keine drastischen Einschnitte gab. Das habe ich eher bei Projekten gemerkt, in die ich involviert bin, wie die Initiative Kulturhof Kalk, die einfach stillsteht seit Corona. Bei den anderen Projekten haben wir versucht, weiter zu arbeiten, sobald es wieder möglich war, sich zu treffen. Auch, um wieder einen Rhythmus zu finden. Statt ewig zu verschieben, haben wir am Ebertplatz beschlossen, die Ausstellungen von außen sichtbar zu machen. Wir haben auch ein paar Onlineformate entwickelt, aber eher zusätzlich, nicht als Ersatz. Ich habe eine gute Hausgemeinschaft, eine WG, eine feste Beziehung, deshalb war ich nie komplett abgeschnitten, ein absoluter Glücksfall.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Die große Mammutaufgabe Brunnen e.V. Jahreshauptversammlung ist gerade abgeschlossen. Dann an einem tollen Projekt, mit dem wir im Oktober 2021 angefangen haben: Es handelt sich um eine Kooperation zwischen dem Brunnen e. V. und den Master-Studierenden der Architektur an der TH Köln. Die machen ein dreisemestriges Projekt in Kooperation mit uns und Baukultur NRW, um Modelle zur Weiterentwicklung der Ebertplatzpassage zu entwickeln: temporäre Projekte, die keine umfangreichen baulichen Maßnahmen benötigen. Das geht Hand in Hand mit verschiedenen Ämtern und Zuständigen in der Stadt, und eben auch mit uns hier vom Ebertplatz. Jetzt kommen die spannenden Phasen mit Entwürfen und Präsentationen, wo auch die Öffentlichkeit mit einbezogen wird und die Frage gestellt wird, wie die bestehenden Potenziale der Passage weiterentwickelt werden können. Die eine Frage ist, ob das hier mein Raum bleibt, aber die größere Frage ist, ob dieser Platz zerstört wird oder nicht. Wir kennen da keine Alternative zu, aber entschieden ist die Causa Ebertplatz in der Stadt Köln immer noch nicht. Die Pläne, den Ebertplatz im Zuge des "Masterplans Innenstadt Köln" komplett zu zerstören sind noch lange nicht vom Tisch. [Seit dem Gespräch gab es eine Entscheidung im Kulturausschuss, der im Mai neue Mittel zur Fortsetzung der Zwischennutzung bis 2024 beschlossen hat.] Sonst arbeite ich gerade an der Juryarbeit für den Deutschen Musikfonds.
Und sonst?
Und dann geht es jetzt langsam in die Planung zur Brückenmusik mit Ain Bailey aus London, da freue ich mich sehr drauf. Ich würde gerne sagen, ein aktives Projekt ist der Kulturhof Kalk, unsere Initiative, die ungenutzten, städtischen Industrie- und Freiflächen rund um das Hallen Kalk-Areal, gemäß des politisch beschlossenen Planungsentwurf, gemeinwohlorientiert zu entwickeln. Unser Antrag ist jetzt fast fünf Jahre alt und es geht da seit letztem Jahr nicht weiter, aber aufgeben wollen wir auch noch nicht.
Welchen Stellenwert hat für Sie der Austausch mit anderen, der kollektive Arbeitsprozess?
Kollektives Arbeiten sollte eigentlich die Norm sein. Wo soll es denn sonst hingehen? Das heißt auch, sichtbar zu machen, wer alles hinter einer Ausstellung steckt, wer sie aufgebaut hat, und nicht nur den oder die Künstler*in nach vorne zu stellen. Ich habe da auch schon verschiedenste Konzepte ausprobiert, basisdemokratisch und so weiter, aber das Optimale auch noch nicht gefunden. Manchmal spreche ich Ideen in kollektiven Prozessen auch gar nicht aus, weil ich weiß, ich bin dann diejenige, die sie umsetzen muss, und das schaffe ich gar nicht. Das könnte man sicher noch optimieren.
Wie sieht für Sie ein erfolgreicher Arbeitstag aus, falls Erfolg überhaupt der richtige Gradmesser ist?
Das ist sehr individuell. Manchmal heißt das, eine E-Mail geschrieben zu haben, weil man die seit Wochen vor sich hergeschoben hat. Ich bin aber kein Typ für To-Do-Listen und nicht so strukturiert. Ein anderer Erfolg kann ein Eröffnungsabend sein, wenn alle happy sind, und die Kunst geil ist. Da fällt es mir leichter, einen erfolglosen Tag zu definieren, an dem man einfach nichts geschafft kriegt. Es ist viel schlimmer, doppelt umsonst zu arbeiten, also unbezahlt und dann noch Zeit vergeudet zu haben weil das Ergebnis ausbleibt, als sehr viel Arbeit in meine Lieblingsausstellung investiert zu haben, zu der dann vielleicht nur zwanzig Leute kommen.
Wohin gehen Sie, um nachzudenken oder Inspiration zu tanken?
Das ist eine Frage, die mich immer irritiert. Für mich ist es selbstverständlich, dass jede Arbeit, die ich ausführe, mich komplett bereichert und mir Ideen bringt. Ich kann aber auch sehr gut mal nicht arbeiten. Ich weiß aber auch, dass mir da ganz viele Angebote zur Ablenkung offenliegen, die ich einfach nicht nutze. Ich habe nicht den Drang, in die Natur zu fahren oder sowas, ich gehe dann eher an Orte, die ich auch sonst aufsuche, fahre auf Festivals oder gehe auf Konzerte. Menschen um mich herum sind vielmehr eine Quelle für mich und mein Marihuana. Ich liebe außerdem gewisse Serien und kann da stundenlang abtauchen und das Gehirn ausschalten.
Ich würde gerne noch mal zurückspringen und mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie dahin gekommen sind, wo Sie heute stehen. Hatten Sie einen Traumberuf als Kind?
Ich glaube, ich wollte Lehrerin werden, das lag aber daran, dass ich in der Grundschule Frau Hess, die coolste Klassenlehrerin der Welt, hatte, die mich total begeistert hat. Danach habe ich nichts mehr straight verfolgt. Nach der Schule wollte ich unbedingt Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln studieren, was auf Umwegen auch geklappt hat, aber das habe ich letztlich auch nicht abgeschlossen.
Gab es Vorbilder für Sie, abgesehen von der Lehrerin?
Charlotte Roche hat mich schwer geprägt zu Viva-Zwei-Zeiten. Ansonsten war ich eher Fan, als dass es wirkliche Vorbilder gab. Mir ist letztes Jahr wieder eingefallen, dass ich mit zwölf Jahren Hardcore-Kelly-Family-Fan war, die haben ja damals im Mülheimer Hafen auf ihrem Hausboot gewohnt, wo wir immer wenn schulfrei war hingefahren sind um uns Autogramme zu holen. Dieser Mülheimer Hafen ist später für mich dann zu einem absoluten Strohhalm geworden, wegen Konzerten und Partys und allem, was da stattgefunden hat. "Die schönste Blase Kölns", sage ich immer. Dieser Ort zieht mich anscheinend an.
Gab es Begegnungen oder Stationen, die Sie dahin gebracht haben, wo Sie heute sind?
Eine ganz wichtige Inspiration war in Istanbul, wo ich 2011 für acht Monate war. Da habe ich zum Beispiel den Künstler und "Clubvisionär" Avni Ertepe kennengelernt, der mir die Erkenntnis gegeben hat, dass ich das machen kann, was ich jetzt tue. Er hat mir das zugetraut und etwas in mir gesehen. Das hat viel ins Rollen gebracht und mich aus meiner Lethargie am Ende des Studiums rausgeholt. Danach habe ich in Köln angefangen, Dinge zu starten und zu organisieren. Ich glaube an den "Butterfly Effect": Bis ich 35 Jahre alt war, ist mir alles zugeflogen, ich war ein richtiges Glückskind, die Dinge haben sich immer so ergeben und zum Guten gewandt. Istanbul war ganz wichtig als Station, danach aber auch die Gründung der Baustelle Kalk, ein klassischer DIY Space, den ich 2012 mit Nicole Wegner und meiner Schwester Fatma gegründet habe. Nicole kennenzulernen war auch so ein Schlüsselmoment. Wir haben nebeneinander gewohnt, ohne uns zu kennen, und uns bei einer Theaterprobe mit Schorsch Kamerun angefreundet. Schorsch Kamerun ist auch so eine mentale Brücke, das Schicksal, das Nicole und mich zusammengeführt hat. Über ihn und die Baustelle sind wir am Ende auch zum Gold + Beton gekommen, weil wir hier im Raum einen Talk mit ihm und der Baustelle gemacht haben, damals hieß das noch die Halle der vollständigen Wahrheit und wurde von Malo und Paul Leo betrieben. Das ist also in gewisser Weise ein Fundament.
Und dann wurde Gold + Beton zu Ihrer beruflichen Basis?
Ich habe 2013 hier aufgemacht, statt mein Studium abzuschließen. Es gab von Anfang an eine Förderung durch das Kulturamt der Stadt Köln; inzwischen sind wir hier eine feste Instanz und nicht mehr wegzuargumentieren – auch wenn das in der Stadt immer wieder versucht wird und wir immer noch ständig beweisen müssen, warum wir und die anderen Initiativen am Ebertplatz wichtig sind. Aber wir haben eine gewisse Planungssicherheit dadurch, dass wir keinen Vermieter haben, der uns hier rauskündigt. Der Raum ist ein Fundament, das mir auch Sicherheit gibt. Ich habe aber auch extrem niedrige Lebenshaltungskosten und keine Existenzängste; das gibt mir viel Freiheit, hier das zu machen, was ich mache. Mein Vater hat als Selbstständiger mit vier Kindern früh gemerkt, dass die Altersvorsorge in Deutschland für ihn nicht so super ist und konnte in den Neunzigern ein Haus in Kalk kaufen, das wir jetzt verwalten und günstig bewohnen.
Was war für Sie die größte Herausforderung in den letzten zwei Jahren? Was hat Ihnen am meisten gefehlt, und auf was konnten Sie auch gut verzichten?
Raven, Konzerte, Partys … selbst organisieren und besuchen … Bands einzuladen, die touren, Karneval … all das fehlte natürlich total. Wir haben in der Pandemie ja auch noch einen Karnevalsverein gegründet, den Rutfront Fastelovendsbund; das hat mich im zweiten harten Lockdown auch aus dem Tief geholt. Da würden wir wirklich gerne jetzt loslegen, denn wir haben den gegründet, um an den Strukturen des Karnevals zu rütteln, aber wie soll das gehen, wenn nichts stattfindet?
Welche Forderungen nehmen Sie mit aus zwei Jahren Pandemie, und an wen würden Sie sie adressieren?
Solange wir da noch drin sind: Patente für Impfstoffe freigeben! Und generell müssen wir, glaube ich, darauf achten, dass wir den Bürokratieabbau, den die Situation geschaffen hat, nicht wieder aus der Hand geben. Dazu gehört auch eine andere Kulturförderung, die auf einmal stattfindet, mit kleineren Barrieren und keinen seitenlangen künstlerischen Konzepten, die man einreichen muss. Aber da habe ich meine Erwartungen nach der Bundestagswahl komplett runtergefahren. Und wir müssen an der Antirassismusdebatte dranbleiben und weiter mehr Druck aufbauen. Da ist zum Glück ein bisschen was passiert in den letzten zwei Jahren, das darf jetzt nicht einfach abebben.
Haben Sie konkrete Forderungen, was sich an den Arbeitsbedingungen in der Kunst ändern muss?
Eine Forderung, besonders nach der Krise, ist die nach neuen Systemen der Kulturförderung. Was auch überall fehlt, ist eine vermittelnde Stelle zwischen künstlerischem Denken und behördlichem Denken. Wenn es da eine Übersetzung gäbe, wäre man schon mal einen Schritt weiter. Die Arbeitsbedingungen müssen sich generell ändern, weil das kapitalistische System uns dazu bringt, uns zu Tode zu arbeiten und depressiv zu werden, aber das ist ja kein Geheimnis. Kultur muss frei gefördert werden, damit nicht sowas passiert wie in Berlin mit der Kunsthalle auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof oder hier in Köln auf dem Gelände des Gebäude 9 und Kunstwerk, wo Immobilien-Investoren sich gönnerhaft mit Kulturräumen schmücken. Der ganze Kunstbereich ist so individualisiert, die wenigsten organisieren sich in Strukturen oder sind auf finanzielle Sicherheit aus. Das Freigeistige verhindert manchmal auch eine gemeinschaftliche Stärke. Bildet Banden!
Vielleicht gibt es auch einfach noch nicht die eine Interessensvertretung für Kulturschaffende, die sich für solche Forderungen einsetzt.
Genau, es gibt den BBK und Verdi, oder die VG Bild-Kunst und VG Wort, aber ich persönlich bin auch noch nicht auf die eine Vertretung gestoßen, von der ich mich direkt angesprochen fühle. Unsere Arbeit ist ja auch oft nicht direkt "verwertbar". Viele entscheiden sich auch bewusst dafür, zu den Bedingungen des Kunstbetriebs zu arbeiten; es ist schließlich eine Entscheidung, für wenig Geld für ein interessantes Projekt zu arbeiten oder für einen hohen Tagessatz für einen Großkonzern.Vielleicht geht es uns in Deutschland auch noch nicht schlecht genug, um wirklich etwas zu verändern.
Zum Abschluss: Gibt es auch etwas Gutes, das sich an Ihrer Arbeit verändert hat?
Klar, ich habe ja selbst auch von Stipendien profitiert, das sollte aber eigentlich keine Besonderheit der Pandemie sein. Zu merken, manche Meetings gehen auch online. Und ganz subjektiv und aktuell das Projekt "Multilogue", das war so ein positiver Jahresanfang: Ein kollektives Recherche- und Ausstellungsprojekt von Designerinnen und Künstlerinnen, das sich um den Genius Loci von Köln dreht und von Hannah Kuhlmann initiiert wurde. Die Künstlerinnen waren der absolute Hammer und das ganze Projekt ist nur wegen Corona zustande gekommen. Das hat mir ganz viel positive Energie gegeben.