Streaming-Tipps

11 Kunst-Filme, die sich im November lohnen

Unsere Filme im November begleiten den Kampf großer Künstlerinnen um Anerkennung, erforschen digitale Bildwelten und erinnern sich an die gespenstische Leere des Lockdowns
 

Das Vermächtnis der Malerin Alice Neel

Irgendwo in der Upper East Side in New York gibt es eine Zeitkapsel, in der die Welt der Malerin Alice Neel (1900-1984) eingefroren ist. Ihr Kleiderschrank, ihre Möbel, jedes Objekt ist noch genau an dem Platz, an dem es die Künstlerin vor ihrem Tod haben wollte. Sogar auf der Palette ist noch die eingetrocknete Farbe zu sehen, ein Malkittel ist über die Lehne eines Stuhls geworfen, als warte er darauf, gleich wieder angezogen zu werden. Auch Neels Atelier in Vermont, das sie als Rückzugsort nutzte, ist noch im Originalzustand. Sie selbst ist in Sichtweite ihres Studios begraben. 

Hüter des Nachlasses von Alice Neel sind ihre Söhne Hartley und Richard sowie ihre Schwiegertochter Ginny, die das Andenken der Malerin und ihre geliebten Orte bewahren wollen. Ihre Erinnerungen sind auch das Herzstück des Dokumentarfilms "Gesichter Amerikas", der gerade in der Arte-Mediathek zu sehen ist und die Geschichte einer der wichtigsten Porträtistinnen des 20. Jahrhunderts erzählt. Dabei spielen persönlicher Schmerz (eines ihrer Kinder starb als Baby an Diphterie) und Armut genauso eine Rolle wie ihr unbändiger Wille zu malen und ihre besondere Gabe, die Persönlichkeit von Menschen auf die Leinwand zu bannen. 

Der Film ist eine einfühlsame Annäherung an eine Chronistin ihrer Zeit und eine Würdigung ihrer (spät entdeckten) Kunst. Zu Wort kommen auch die New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt und der Videokünstler Michel Auder, der als Student eine Freundschaft mit Alice Neel entwickelte und sie immer wieder filmte. 

"Die Malerin Alice Neel: Gesichter Amerikas", Arte-Mediathek, bis 6. Januar 2023


100 Tage Kontroverse - eine Bilanz der Documenta Fifteen

Eigentlich gibt es schon eine öffentlich-rechtliche Dokumentation über die wohl größte Kunst-Kontroverse des Jahres 2022. Der Film "Der Documenta-Skandal" über die Antisemitismus-Debatte auf der Weltkunstschau ist noch bis September 2023 in der ARD-Mediathek zu sehen. Doch auch 3-Sat hat sich der umstrittenen Ausstellung der Kollektive gewidmet und ein filmisches Fazit der Documenta Fifteen veröffentlicht. Auch hier geht es um den Antisemtismus-Eklat und das inzwischen berüchtigte Banner "People's Justice" von Taring Padi. Unter anderem äußern sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der (extrem aufgebrachte) Künstler Bazon Brock und Hito Steyerl, die ihre Videoinstallation aus der Schau zurückzog. 

Darüber hinaus versucht der Film jedoch auch, den Anspruch der Documenta zu zeigen, Erlebnisse zu schaffen und Menschen über die Grenzen von Nationen und Kulturen zu vernetzen. Es kommen auch (überwiegend positiv bis nachdenklich gestimmte) Besucherinnen und Mitglieder von teilnehmenden Kollektiven zu Wort. Sie zeigen, was die Documenta eben auch war: ein riesiges Experiment, das unerwartete Kunsterlebnisse ermöglichte und die Grenzen des Kunstbegriffs neu verhandelte. Insofern ist der Film einer der differenziertesten Beiträge zur erbitterten Debatte des Sommers. Auch wenn er seine Titelfrage "Die Documenta am Ende?" schließlich gar nicht beantworten kann oder will.

"Die Documenta am Ende?", 3-Sat-Mediathek, bis 20. September 2023


Die Gedankenwelt des Bruno Latour

Beim Thema Klimaschutz hat die Kunstwelt lange im eskapistischen Dornröschenschlaf gelegen. Aufgeweckt hat sie unter anderem das dunkle Grollen des "Terrestrischen Manifests" (2017) von Bruno Latour, der nun im Alter von 75 Jahren gestorben ist. Mit "Critical Zones" im ZKM Karlsruhe und "Down to Earth" im Berliner Gropius Bau hat er zwei Ausstellungen mitgestaltet, die für ein Umdenken stehen. Latours Ansatz, auch bei der Kunst den Produktionsprozess und die ökologische Legitimation mitzudenken, wird uns zunehmend beschäftigen.

Auch wenn der französischen Philosoph seit den 1980er-Jahren Dutzende Bücher veröffentlichte, ein Freund von gefilmten Interviews war er nie. Im Herbst 2021 setzte er sich dann aber doch mit dem Journalisten Nicolas Truong ("Le Monde") zusammen, um über einige seine Hauptthesen und -themen zu sprechen. Herausgekommen sind 12 um die 15 Minuten langen Videos zu Schlagworten wie "Das Ende der Moderne", "Die neue Erde" oder "Existenzweisen". Die Schnipsel sind eine gute Einführung in die Gedankenwelt des Ausnahmetheoretikers – und in einen Themenkomplex von Nachhaltigkeit, planetarischer Ordnung und der Gaia-Theorie, die die Kunst gerade umtreibt.

"Gespräche mit Bruno Latour", Arte-Mediathek, bis 16. Dezember 2024


Eine Flucht – und eine Heimkehr

Wenige Tage nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verließ der Fotograf Jurin Kosin seine Heimatstadt Irpin nahe Kiew. Er floh mit seiner Katze ins polnische Krakau, wo seine Tochter wohnt. "Ich war wie alle anderen", sagt er. "Das einzige, was mich von anderen Flüchtenden unterschied, war, dass ich forografiert habe." Kosin hält es jedoch nicht lange in seinem sicheren Exil aus. Ihn zieht es wieder nach Hause, also tritt er im April 2022 in Begleitung des Filmemachers Andrzej Klamt die Rückreise in seine ukrainische Heimat an – auch, wenn er nicht weiß, was ihn dort erwarten wird.

Die Reportage "Zurück in die Ukraine – die Heimkehr des Fotografen Juri Kosin" zeigt eine sehr persönliche Erfahrung im Krieg und den Drang eines Künstlers, seine Gegenwart festzuhalten. Kosin will nur eins: Hinschauen.  

"Zurück in die Ukraine - die Heimkehr des Fotografen Juri Kosin", ZDF-Mediathek, bis 16. Juni 2023


Der Kampf einer Künstlerin um Anerkennung

Während 1944 in Helsinki die Bomben fallen, imaginiert sich Tove Jansson im Luftschutzkeller zeichnend in eine märchenhafte Parallelwelt. Die Tochter eines erfolgreichen Bildhauers hat Kunst studiert und träumt davon, in Marokko eine Künstlerkolonie zu gründen. Kurz nach Kriegsende verlässt die 30-Jährige trotz fehlender Einkünfte das Elternhaus und mietet sich ein unbeheiztes Wohn-Atelier. Hier feiert sie Partys, gönnt sich einen verheirateten sozialistischen Politiker als Liebhaber und stürzt sich exzessiv trinkend in die Malerei. Vergeblich. Nicht nur ihr Vater kann mit ihrer ersten Ausstellung wenig anfangen. Auch die Stadtverwaltung verweigert ihr ein Stipendium für einen Aufenthalt in Paris.

Lob und Aufmerksamkeit bekommt Tove nur für ihre Geschichten um die freundlichen Trollwesen der Mumin-Familie. Über Wasser hält sie sich mit Grafikaufträgen, Illustrationen oder Fresko-Malereien für das Rathaus. Nicht wenige der Jobs verdankt sie den Kontakten der Theaterregisseurin und Bürgermeister-Tochter Vivica Bandler, einer großgewachsenen androgynen Erscheinung, mit der sie eine Affäre anfängt. Diese ist es auch, die den Erfolg der Mumins beschleunigt und sogar ein Theaterstück über die nilpferdähnlichen Kreaturen inszeniert. Eigentlich Grund genug zur Selbstzufriedenheit. Stattdessen fühlt sich die zunehmend an sich selbst zweifelnde Tove als gescheiterte Künstlerin und Gelegenheitsliebhaberin einer Womanizerin, die ihre Ungebundenheit nicht aufgeben will.

Regisseurin Zaida Bergroth erzählt in dem biografischen Drama "Tove" mitunter schmerzhaft intim von dem Kampf einer Künstlerin um Anerkennung. Sie kann dabei auf eine lange Tradition missglückter Emanzipationsgeschichten zurückgreifen, von Vincent van Gogh über Amadeo Modigliani bis zu Camille Claudel – nur dass die zwar verhuschte, aber auch vor Lebenslust strotzende Tove nicht zu einer Selbstzerstörungskandidatin taugt.

"Tove", auf Amazon, zum Leihen oder Kaufen


Worte werden zu Kunstwerken

"Ändere deine Form und deine Stimme so oft, dass sie sie dich nie einordnen können", schrieb der Autor Charles Bukowski (1920 - 1994) in seinem Gedicht "No leaders please". Ob er dabei an Künstlerinnen und Künstler gedacht hat? Die Regisseurin Joan Gratz lässt zu Bukowskis Zeilen zumindest bekannte Kunstwerke ineinanderfließen, die sich zu einem psychedelisch-farbigen Tanz der Innovationen hinreißen lassen. In dem Kurzfilm tauchen unter anderem Leonardos "Mona Lisa", Keith Haring und Ai Weiwei auf. Sie verkörpern Bukowskis Worte auf ihre eigene Weise. 

"No leaders please", Arte-Mediathek, bis 1. April 2023


Der kleine Kosmos im Nirgendwo

Zwischen Ende und Neuanfang liegt ein weißer Raum, eine kurze Zeit des Limbo. In "The African Desperate", dem ersten Langfilm der US-Künstlerin Martine Syms, ist es Palace Bryan (gespielt von der Künstlerin Diamond Stingily), die in diesem Schwebezustand weilt, in den 24 Stunden zwischen ihrem Abschlussgespräch zum Master der Bildenden Künste und ihrer Heimreise zurück nach Chicago. Da ist diese Party, zu der Palace "ganz sicher nicht" gehen wird, wie sie immer wieder betont, obwohl sie dort auflegen wollte. Natürlich geht sie doch, strudelt durch die Nacht, zwischen Keta und Orangenwein, Masturbations-Videoinstallationen und bis zum Ende aufgeschobenen Liebschaften.

Die Kunsthochschule ist ein hermetischer Raum, der nach seinen eigenen seltsamen Regeln funktioniert. Die im Namen der Kunst und der Selbsterschaffung eingeforderte Nähe birgt Fläche für Verletzungen, etwa die kleinen, natürlich gar nicht rassistisch gemeinten Kommentare von Dozentinnen und Freunden, die von der Regisseurin mit hineingeschnittenen Memes unterlegt sind, um ihre Unangemessenheit zu unterstreichen. Wie auch in ihren kürzeren Videoarbeiten, von denen einige ebenalls bei Mubi zu sehen sind, widmet sich Martine Syms in "The African Desperate" Schwarzer Weiblichkeit, oder vielmehr dem Aushalten einer Umwelt, die diese Realitäten nicht teilt. Als "The African Desperate" bezeichnet die Protagonistin Palace ihren existentiellen Zustand – und bedient sich bei ihren Erklärungen desselben abstrusen Kunstsprechs wie die fast ausschließlich weißen Menschen um sie herum, die ihre Erfahrungen als Teil der Konstruktion ihrer Künstlerinnenidentität abtun. Zu sehr schwimmen sie in der Selbstversicherung, weltgewandt zu sein, um den eigenen Rassismus zu erkennen.

Es wäre zu platt, den Film eine Persiflage auf den Kunstbetrieb zu nennen und ihn damit in eine Reihe mit jedem Film zu setzen, der sich um die Kunstwelt dreht. Vielmehr spielt er mit Elementen, die sich perfekt in die Biografie von Syms selbst hineinlesen lassen: Eine junge Schwarze Kunststudentin aus Chicago macht ihren Abschluss an einer sehr weißen Uni in einem sehr weißen Örtchen in Upstate New York (Evan Calder Williams, Professor des Bard-College, wo Martine Syms studiert hat, hat in dem Film einen Gastauftritt als Lehrkraft). Der Ort ist verhasst, aber bewohnt von über die Jahre liebgewonnen Menschen, die alle ihre Spleens haben, ein bisschen nervig sind und ein bisschen zu affektiert, aber irgendwie sind sie doch Familie. Wie ein Roadmovie, der auf der Stelle tritt, läuft die Handlung voran, ohne irgendwo anders anzukommen als am nächsten Morgen. 

"The African Desperate", auf Mubi


Die Welt vor dem Fenster

Den Blick aus dem Fenster zu Kunst zu machen ist eine beliebte Strategie aus verschiedenen Epochen. Im Frühjahr 2020 bekam diese Perspektive jedoch eine ganz neue Bedeutung, denn durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und die Verhängung teils strenger Lockdowns wurden Menschen weltweit zum Rückzug in ihre Häuser und Wohnungen gezwungen. Kontakt zu anderen war oft nur noch aus der Ferne möglich, die Außenwelt erstreckte sich unerreichbar fern hinter Glasscheiben.

Auf diese Situation hat auch der britische Künstler und Filmemacher John Smith in seiner Collage "Citadel" reagiert, die 2020 beim Kunstfestival Steirischer Herbst Premiere feierte und nun beim Streamingdienst Mubi zu sehen ist. Aus seinem Fenster filmt er die Dächer seiner Nachbarschaft in London. Wenn der Himmel aufklart, sind am Horizont die Dächer der City, das Herz der Finanzmetropole, zu sehen. Dazu spielt Smith Schnipsel aus Reden des damaligen Premierministers Boris Johnson ein. Zuerst spricht der noch davon, dass das "business as usual" weitergehen müsse, um die Wirtschaft nicht zu gefährden. Dann, nachdem er selbst schwer erkrankt war, wurde in Großbritannien einer der strengsten Lockdowns in Europa verhängt.

Durch die Soundschnipsel wird auch die soziale Dimension der Corona-Maßnahmen deutlich. So ermahnt Johnson die Bürgerinnen und Bürger, zu Hause zu bleiben. Aber wer nicht im Homeoffice bleiben könne, solle doch bitte zur Arbeit gehen. All diese gesellschaftlichen Verwerfungen konterkarieren die vermeintliche Ruhe, die über dem Londoner Panorama liegt. Und zum Schluss findet John Smith auch noch eine filmische Möglichkeit, all die Menschen hinter den Fenstern in Verbindung zu bringen.

"Citadel", auf Mubi


Die Mode-Künstlerin Elsa Schiaparelli

"Diese Künstlerin, die Mode macht", soll Coco Chanel ihre Rivalin Elsa Schiaparelli einmal genannt haben. Was heute jeder gern wäre, galt damals nicht als Kompliment. Doch Designerin Schiaparelli, die im Jahr 1928 ihr erstes Atelier in Paris eröffnete, betrachtete ihre Arbeit nicht als Schneiderhandwerk, sie verstand sich auf Augenhöhe mit den Künstlern ihrer Zeit und im Geiste von Kino, Malerei, Skulptur – und Mode.

Salvador Dalí, Pablo Picasso und Jean Cocteau gehörten nicht nur zu ihrem elaborierten Freundeskreis, sie arbeiteten auch mit Schiaparelli zusammen an deren exzentrischen, surrealistischen Entwürfen – von ausgefallenen Knöpfen bis zu fantasievoll eingerichteten Schaufenstern. Ihr Erfolg in der Mode begann mit einem Pullover mit eingestrickter weißer Schleife und entwickelte sich zu waghalsigen, revolutionären Designs: Hummer-Kleid, Schubladen-Kleid, Skelett-Kleid und Reißverschluss-Kleid werden sie noch immer genannt und halten, was der Name verspricht.

In dem halbstündigen Dokumentarfilm "Elsa Schiaparelli – Mode ist Kunst" erklärt unter anderen ihre Enkelin Marisa Berenson, wie ihre Großmutter mit unkonventionellen Ideen die Modewelt verändert hat und was ein stets geöffneter Vogelkäfig damit zu tun hat.

"Elsa Schiaparelli – Mode ist Kunst", Arte-Mediathek, bis 30. November


Pixelparty mit digitaler Kunst

Das Erste Deutsche Fernsehen hat Ende Oktober seine neue Pattform ARD Kultur gestartet. Dort werden ältere Inhalte zu Kunst, Literatur und Musik gebündelt, aber auch neue Formate sind in der Kollektion zu finden. Eines davon ist die Serie "Pixelparty", in der die endlosen Weiten der digitalen Kultur erforscht werden sollen. Das Moderatoren-Duo aus Nilz Bokelberg (ehemals VJ bei Viva) und Laura Kampf (bekannt als Heimwerkerin auf Youtube und Podcasterin) begreift die technischen Möglichkeiten der Gegenwart offenbar als Abenteuerreise im Selbstversuchsformat. Die beiden gehen als Avatare im Metaverse tanzen, probieren AR-Kunstwerke mit dem IPad aus (das wiederum fürs Fernsehen abzufilmen, ist irgendwie auch schon meta) und tragen eifrig Gesichtsfilter.

Außerdem treffen sie Künstlerinnen und Künstler, die sich mit NFTs und immersiven digitalen Welten beschäftigen, darunter Manuel Rossner, Anna Ehrenstein und Susanne Kennedy. Auch die inzwischen virtuell arbeitende Performance-Legende Marina Abramovic kommt zu Wort. Bokelberg und Kampf nähern sich ihrem Gegenstand betont unbedarft und finden das Ganze ziemlich oft "wahnsinnig spannend" und "abgefahren".  Eine kritische Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen des Digitalen bleibt daher in dem Format aus.

Dafür ist es allerdings auch nicht gemacht: Vielmehr bieten die vier rund halbstündigen Folgen einen Einstieg in die ziemlich bunte und überdrehte Welt der Datenkunst. Außerdem werden Begriffe wie NFTs, Metaversum und Künstliche Intelligenz von einer geduldigen, roboterartigen Stimme noch einmal von Grund auf erklärt. Wäre die Serie eine Party, würden hier sicher nicht die cool kids der digitalen Künste herumhängen. Die Serie ist eher ein "Guilty Pleasure", Spaß macht sie also trotzdem.

"Pixelparty für digitale Kultur", ARD Kultur, bis auf weiteres


Die Poetin des Abstrakten

Das Werk von Joan Mitchell (1925 bis 1992) wird oft als lyrisches Action-Painting bezeichnet. So paradox dies zunächst auch klingen mag – der Begriff weckt Assoziationen an Pinselschleudern á la Jackson Pollock, das so gar nicht mit der Zartheit von Lyrik zusammenpasst –, so sehr trifft die Bezeichnung genau in ihrer Uneindeutigkeit das Schaffen der Malerin.

Joan Mitchell war bereits in jungen Jahren erfolgreich, etablierte sich in den 1950er-Jahren in New York und konnte sich neben ihren männlichen Künstler-Kollegen behaupten. Der Film "Poetin des Abstrakten" begleitet ihr Leben zwischen den USA und Paris, zwischen Glück und Trauer, zwischen Erfolg und Misserfolg und zwischen den Disziplinen Lyrik und Malerei. Die Frau, die den US-Amerikanern zu französisch und den Franzosen zu amerikanisch war, inspiriert. Sie ist mit Literatur groß geworden und umgab sich ihr Leben lang mit Dichtern und Autoren wie Paul Auster, dessen Gedichte sie in ihre Bilder übersetzte. 

Der Anblick von Mitchells expressiver Kunst und der Einblick in das Leben der New Yorker und Pariser Bohème machen den Film zu einem ästhetischen Genuss. Mitchells Betrachtungen von Lyrik und Malerei und ihr Blick auf ihr Leben wecken auch 30 Jahre nach ihrem Tod die Frage nach der Bedeutung von Kunst in einer oft wenig poetischen Welt.

"Joan Mitchell – Poetin des Abstrakten", Arte-Mediathek, bis 21.Dezember