"Kingdom of the Ill" in Bozen

Auf dem Weg der Besserung

Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung und chronischen Krankheiten werden bis heute strukturell ausgegrenzt. Eine Ausstellung im Museion in Bozen würdigt ihre radikale Praxis – und will Krankheit neu definieren

Über ihren berühmten Essay "Krankheit als Metapher" von 1977 sagte die Schriftstellerin Susan Sontag später, dass sie damit ein ungewöhnliches Ziel verfolgt habe. Der Text sollte Bedeutung wegnehmen, statt Bedeutung zu verleihen. Er sollte die Fantasie ruhigstellen, nicht anregen. Für Literatur und Kunst ist das eine schwierige oder vielleicht eine unmögliche Aufgabe.

Sontag kritisierte in ihrem Text die verschiedenen Krankheitsmetaphern (Krankheit als Krieg, als Persönlichkeitsschwäche oder als sicherer Tod), die damals geläufig waren und die sehr reale Konsequenzen für die Betroffenen hatten. Aber wie wollte man die alten Mythen verlernen oder mit etwas Neuem überschreiben? Wie soll man am besten von Kranken sprechen? Sogar, wenn man sie als "Opfer" ihrer Krankheit bezeichnet, stigmatisiere man sie damit nur weiter, schreibt Sontag: Ein Opfer ist unschuldig, und wo Unschuld ist, muss es im Umkehrschluss auch Schuld geben können.

Das Museion in Bozen steht mit seiner neuesten Ausstellung vor einem ähnlichen Dilemma. Die Ausstellung heißt eigentlich "Kingdom of the Ill" (Königreich der Kranken; ein Zitat von Susan Sontag), doch das Museum signalisiert direkt vorneweg seinen Willen, sich zu verbessern. Natürlich könne man die Kranken nicht in ein eigenes Königreich abschieben, sie sind ja mitten unter uns. Das Königreich im Titel ist deshalb überall durchgestrichen – sehr zum Leidwesen der Marketingabteilung, die das kommunizieren muss. "Leider ist der Titel leichter zu schreiben als auszusprechen", sagt Direktor Bart van der Heide, der das mehrteilige Ausstellungsformat "Techno Humanities" in Bozen initiiert hat.

Krankheit als Konstrukt

Einen offenen Umgang mit ihrer chronischen Krankheit oder ihrer Behinderung haben viele Künstler erst innerhalb der vergangenen zehn Jahre gefunden. Seitdem kritisieren sie die Versäumnisse der Museen oder die Vernachlässigung, die sie in der Corona-Pandemie erfahren haben. Unabhängig von Covid-19 ist die Schau sehr aktuell, fast alle Werke stammen aus den letzten fünf Jahren. Unter den 20 Positionen sind auch gesunde Künstler, die von ihrem Aktivismus oder ihrer Care-Arbeit inspiriert werden. Zwischen diesen verschiedenen Gruppen gibt es in der Schau kein Gefälle und keine Grenze. Die Praxis, nicht die Biografie steht hier im Vordergrund. Sowieso will die Ausstellung Krankheit als ein Konstrukt entlarven ("Sind wir heutzutage nicht alle ein bisschen krank?") und zieht sich in einem ewigen Aushandlungsprozess immer wieder selbst den Boden unter den Füßen weg.

Greifbar werden die verschwimmenden Grenzen bei der Berliner Künstlerin Ingrid Hora. In ihrer Installation "Collective Effort" (2022) reihen sich rote Tonabdrücke aneinander, von denen jeder eine einzigartige Form hat. Es sind Abdrücke, wie sie das Innere einer geballten Faust hinterlässt – eine gestische Anspielung auf politischen Widerstand und auf das Blutabnehmen. Die Blutspender sind in diesem Fall die Menschen aus dem Vinschgau-Tal, die (trotz großer Impf-Skepsis) an einem Projekt aus der kooperativen Gesundheitsforschung teilnehmen.

Viele von ihnen hätten sich nur aus Solidarität mit ihrer Dorfgemeinschaft zu der Teilnahme an der Studie bereiterklärt, sagt Hora. In dem Moment, in dem sie ihre DNA für die Erforschung von Erbkrankheiten zur Verfügung stellen, wissen die Probanden nicht, ob sie vielleicht eines Tages selber erkranken werden und davon profitieren könnten. Solange, bis man in die Black Box ihrer DNA hineinschaut, sind die Wohltäter dieser Studie zugleich auch die Nutznießer, und umgekehrt. Dass die Spender jetzt im Museion gewürdigt werden, alle individuell und anonym, ist das Poetische an Horas Installation.

Jeder Kubikmeter Luft ein Schlachtfeld

Einerseits ist das Gebäude des Museions ein extremer White Cube. Nach dem Umzug 2008 war es zunächst noch gewöhnungsbedürftig für viele Bozner. Andererseits (oder vielleicht gerade wegen der Kargheit) wird Ausstellungsdesign hier besonders groß geschrieben. Jede Ausgabe von "Techno Humanities" darf sich auf das gesamte Haus erstrecken und spielt mit den vier Stockwerken als unterschiedlichen Kapiteln, spielt mit allem, was sich dort finden lässt.

Da wäre zum Beispiel die nonbinäre US-amerikanische Künstler*in Carolyn Lazard, selbst betroffen von mehreren Autoimmunerkrankungen. Lazards Installation "Privatization" (2020) besteht aus fünf Luftreinigern, die um ihre eigene Achse rotieren, um Viren und Giftstoffe aus der Luft zu filtern. Es sind auf den ersten Blick fürsorgliche Geräte, und es sind doch Kontrollinstrumente. Die Reiniger sind nicht nur exakt auf die Raummaße im Museion abgestimmt, sondern verdanken ihre Wirkung vor allem dem großen Fenster, vor dem das Ausstellungsdesign sie hier platziert hat, mit einem atemberaubenden Gebirgspanorama dahinter.

Draußen die Weite, innen im Museum ist jeder Kubikmeter Luft ein Schlachtfeld. Carolyn Lazard hat ein gratis Toolkit für mehr Barrierefreiheit erstellt, das 2019 eine Pionierarbeit war und das so sehr eine Handreichung an die Museen wie eine Kritik ihrer leeren Phrasen ist. Was können Institutionen in Zukunft also besser machen? Zu Beginn einer Zusammenarbeit könnten alle Künstler mit Handicap sogenannte "Access Riders" ausfüllen, in denen sie ihre Bedürfnisse bis ins kleinste Detail mitteilen: Geld, Zeit, Ernährung, Betreuung. Auf diese Weise werde die Verantwortung dem Museum übertragen, nachdem sie seit jeher bei den Künstlern gelegen habe.

Andere gehen in ihrer Kritik noch weiter. Renommierte Museen würden nicht nur den Fortschritt ausbremsen, sondern hätten in der Vergangenheit sogar geholfen, die Menschen überhaupt erst krank zu machen. Damit sind die Suchtkranken der US-Opioid-Krise gemeint – einer grassierenden Sucht, die von der Milliardärsfamilie Sackler bewusst mit angeheizt worden war. Wenn Museen das Pharma-Geld der Sacklers annahmen, hätten sie sich mit ihnen gemein gemacht und den Familiennamen reingewaschen. So lautet der Vorwurf, den die von Nan Goldin gegründete Künstlergruppe P.A.I.N. erhebt und der im Museion auf ihren originalen Bannern und Flugblättern steht, mit denen sie ab 2017 eine ganze Weltöffentlichkeit für das Thema sensibilisiert haben.

Diese Materialien werden ergänzt durch die Fotografien, Gemälde und Zeichnungen von Nan Goldin, in denen sie ihre eigene Opioid-Abhängigkeit verarbeitet, die der Auslöser ihres Engagements war. In einer Art Zickzack stehen also auf der einen Seite des Ganges die Zeitdokumente, auf der anderen Seite Goldins persönlicher Kampf: ihre ikonischen Selbstporträts oder Stillleben, voll Wehmut und abgründigem Humor. Ihre Augen sind auf manchen Fotos durch den Einsatz von Licht so trübe, wie sie ihr auch auf den Ölgemälden gelingen. Ein paar der eindringlichsten Zeichnungen von Goldin sind in Bozen zum ersten Mal ausgestellt.

Mittlerweile ist der Name der Sacklers zwar von den meisten Museumswänden verschwunden. Aber in Bozen sind solche Verbannungen ein heikles Thema. Hier ist fast immer Einordnung das Mittel der Wahl, wenn es um Vergangenheitsbewältigung geht. Selbst ein stolzes Mussolini-Bildnis darf in Bozen bis heute an öffentlichen Wänden prangen, neben ihm die faschistischen Parolen und Symbole. Lediglich ein Hannah-Arendt-Zitat bietet dem Diktator die Stirn, indem es ihn in der Mitte zerteilt und durchstreicht. Ähnlich notdürftig wurde der "Siegesplatz" als ein Tummelplatz des Faschismus kontextualisiert (der auf Wunsch der Stadtbewohner weiterhin so heißen soll, anstatt, wie einst vorgeschlagen, der "Friedensplatz" zu werden).

Jetzt, nach dem Rechtsruck der italienischen Parlamentswahl vor gut einer Woche, sorgen sich manche, dass der Siegesplatz wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurückerlangen könnte, die zu entfernen man niemals ganz imstande gewesen war. Insofern lässt sich das durchgestrichene "Königreich" im Titel der Museion-Ausstellung also auch auf Bozens Geschichte beziehen: auf seine durchmischte, vielsprachige Bevölkerung, die zwischen die Fronten der europäischen Königreiche geriet; auf seine Annexion durch Italien im Jahr 1920 und die brutale Italianisierung, die hier bis heute die Menschen bewegt und ihren Blick auf Minderheitenrechte prägt.