Die Documenta und der große Skandal
Eins ist klar: Die Kunstwelt hat nicht einhellig begeistert auf Kassel geblickt in den 100 Documenta-Tagen, sogar zunehmend entsetzt. Und das nicht nur, weil Motive auftauchten, die als antisemitisch lesbar waren. Worin genau aber lag "Der Documenta Skandal"? In der Kunstschau selber, die vom "Spiegel" als "Antisemita15" verunglimpft wurde und von der "Bild"-Zeitung als "Kunstmesse der Schande" (sic) tituliert? Oder in der bereits tendenziösen Vorberichterstattung durch Teile der Presse?
Grete Götze lässt die Ereignisse und Dynamiken für die Reihe "Story im Ersten" auf sehr differenzierte Weise Revue passieren. Sowohl Mitglieder der indonesischen Künstlergruppen Ruangrupa und Taring Padi kommen zu Wort, Daniel Botmann als Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie Kritiker und Kommentatorinnen der Documenta Fifteen, darunter "WeltN24"-Chefredakteur Ulf Poschardt und Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr.
Es ist eine sehr deutsche Debatte um eine Großausstellung, eine Debatte vor dem Hintergrund des Holocaust, bei allen weiterhin offenen Fragen um die Documenta wird das deutlich. Das Schlusswort spricht die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse, die sich solche Debatten "ohne diese ganze Schrillheit" wünscht. "Wir arbeiten alle zusammen an demselben Projekt, Deutschland als mittiges, nicht extremistisches Land zu bewahren", sagt Menasse, "Und auf diesem Boden können wir das alles in Ruhe diskutieren."
"Die Story im Ersten - Der Documenta-Skandal", ARD-Mediathek, bis 19. September 2023
Erwachsen werden vor der Kamera
Der französische Filmemacher Sébastien Lifshitz, der mit seiner historischen Fotosammlung zum Thema Crossdressing zurzeit im C/O Berlin ("Queerness in Photography") zu Gast ist, hat 2015 einen Dokumentarfilm über zwei Freundinnen fertiggestellt. "Teenager" ist eine Langzeitstudie über die Anaïs und Emma, die beide in einer südfranzösischen Stadt aufwachsen, aber aus sehr unterschiedlichen sozialen Verhältnissen stammen.
Über fünf Jahre lang, 24 Drehtage pro Jahr, wurden insgesamt 500 Stunden Filmmaterial gedreht. Die knapp 140 Minuten der finalen Version ergeben einen wunderschönen Dokumentarfilm über die Hoffnungen und Härten der Teenagerzeit. Im Hintergrund zeichnen sich politische Ereignisse der Drehzeit ab, darunter der Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris. "Teenager" ist auch ein Porträt des sich wandelnden Frankreich in den 2010er-Jahren.
"Teenager", Arte-Mediathek, bis 27. Oktober
Rote Lippen als Kunstform
Der Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg, bekannt für seine monumentalen Versionen von Alltagsobjekten, hat 1969 einen riesigen Lippenstift auf Panzerketten auf dem Campus der US-Universität Yale gebaut. So wurde der Kosmetikartikel nicht nur ein Symbol für eine Demilitarisierung von Kriegsgerät, sondern endgültig ein ikonisches Objekt der Kunstgeschichte. Schon seit Jahrhunderten färbten Malerinnen und Maler die Lippen ihrer Modelle in verführerischen Rot- und Rosatönen, und kaum eine Performance kommt ohne spektakuläres Make-up aus.
Der Dokumentarfilm "Geheimwaffe Lippenstift" beschäftigt sich mit der Kulturgeschichte des unscheinbaren Objekts, das sowohl ein Zugeständnis an Schönheitsnormen als auch ein Symbol der Rebellion sein kann. Wer zu welchem Anlass welchen Lippenstift trägt, ist hochpolitisch, und der Akt sich zu schminken, kann auch für Männer und queere Personen ein Akt der Selbstermächtigung sein. Der Film stellt einige berühmte Lippenstift-Liebhaberinnen und -Liebhaber aus der Geschichte vor und zeigt, wie sie durch ein bisschen Farbe im Gesicht auch die Gesellschaft ihrer Zeit widerspiegelten.
"Geheimwaffe Lippenstift", Arte-Mediathek, bis 31. Dezember
Erinnerungen eines Anti-Fotografens
"Das ist fast schon ein Foto", hört man die Stimme von William Klein aus dem Off. Das Bild wechselt … "Das ist ein Foto." 15 Minuten lang blättert der US-amerikanische Fotograf im Film durch die Abzüge. Was ein Foto ist und was nicht, das entscheide er nach Gefühl, erzählt er. Als würde man in ein Tagebuch linsen, ziehen die Schnappschüsse aus dem bewegten Leben des jüngst verstobenen Bildermachers vorbei. Mal auf den Straßen von Paris, wo er ab 1948 lebte, bei einem Fußballspiel, oder auf einmal in den Gassen Tokios: Klein fotografierte alles und überall. Seine Handschrift, skurrile Bildausschnitte und verschwommene Konturen, steht im Konstrast zu den hochstilisierten Motiven der 1950er.
Kleins Werk erstreckt sich von künstlerischer Fotografie über Modefotos und Film bis hin zur Malerei, er porträtierte Ikonen wie Muhammad Ali, Little Richard und Eldridge Cleaver. Oft fokussieren die Bilder sozial-kritische Themen, beschäftigen sich unter anderem mit dem Einfluss von Massenmedien und den Rechten der Schwarzen Bürgerinnen und Bürger in den USA, für die er sich zeitlebens einsetzte. In der ihm gewidmeten Folge der Arte-Dokuserie "Kontaktabzüge", die die Großen der Fotografie vorstellt, teilt der stets Neugierige nicht nur seine Erinnerungen, sondern gibt auch Einblicke in seine Arbeitsweise. Wie in einem Gedankenstrom berichtet er von der Unsicherheit und Hoffnung, die in jeder seiner analogen Aufnahme stecken, und vom Gefühl, entweder der Erfüllung oder der Enttäuschung, beim Entwickeln.
"Kontaktabzüge - William Klein", Arte-Mediathek, bis 12. Dezember
Godards "Bildbuch" als Hommage
Mitte September ist die Kinolegende Jean-Luc Godard gestorben. In den 1960ern war der französisch-schweizerische Regisseur maßgeblich an der Nouvelle Vague beteiligt, landete mit seinem Spielfilmdebüt "Außer Atem" (1960) einen Sensationserfolg und verabschiedete sich mit "Weekend" (1968) vorläufig vom halbwegs kommerziellen Kino.
Danach hat der denkfreudige und experimentierlustige Godard in seine Filmen mehr und mehr das kinematische Regelwerk unterlaufen und Grenzen zwischen fiktionalen und dokumentarischen Formen aufgelöst. Nach seinem Tod ist sein jüngstes Experiment, "Le livre d’image" - "Bildbuch" als Hommage in der Arte-Mediathek verfügbar, für das Werk wurde er 2018 mit einer Palme d'Or Spécial in Cannes ausgezeichnet.
Zwischen Begehren und Hass, Liebe und Krieg, Zärtlichkeit und Gewalt mäandert dieser Collagefilm, den der Regisseur aus Eigen- und Fremdmaterial, aus kurzen Filmbildern, Fotos, Schrift und Tönen montierte. Es ist ein spröder Film, bei dem Godard weder auf Kontinuität noch Fluss, sondern auf Konfrontation und Irritation setzt. Mehrfach taucht das Bild der Hand auf: "Mit den Händen zu denken, ist die wahre Bestimmung des Menschen", sagt Godard am Anfang des "Bildbuchs". Eine Hand weiß bekanntlich nicht, was die andere tut. Bei Godard wird der Mut zum Chaos aber zur Methode.
Hände arbeiten am Schneidetisch, Alberto Giacomettis Bronze-"Hand" von 1947 ragt in den Film, Hände werden irgendwo in Arabien bemalt, auf der Tonspur lassen Pianistenfinger Prokofiev erklingen, aber die Melodie wird nur kurz angespielt, reißt mehrmals wieder ab. Fetzen aus der Filmgeschichte tauchen auf und verschwinden: Clips aus Werken von John Ford, Alfred Hitchcock, Jacques Tourneur, Orson Welles mischen sich mit Alltagsszenen, Bilder der Nürnberger Prozesse oder des Algerienkriegs.
Vielleicht hätte Godard als Endachtziger nicht unbedingt darauf bestehen müssen, seine Gedanken auch in deutsch einzusprechen. Er beherrscht nicht die Idiomatik, und außerdem ist seine Stimme brüchig geworden. Man versteht kaum ein Wort. Oder geht es auch hier um Körperlichkeit vor Klarheit, um rissige Hände, harten Zugriff und eine "Rauheit der Stimme", über die Roland Barthes in seinem gleichnamigen Aufsatz schrieb? Die meisten Originaltöne sind auf Französisch, und Arte spendiert keine Untertitel: Womöglich hat das System. Und wahrscheinlich wäre das "Bildbuch" ohnehin anstrengend zu entziffern, aber man hatte ja schon immer Mühe, Godards gedanklichen Volten bis ins Kleinste zu folgen.
"Bildbuch", Arte-Mediathek, bis 11. April 2023
Der verschollene da Vinci
"400 Millionen zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten – verkauft!" Nie ist so viel Geld für ein Kunstwerk gezahlt worden wie für den zweifelhaften Leonardo, der 2017 für über 450 Millionen Dollar (inklusive Steuern und Zuschläge) an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman ging. Die Biografie des Bildes lässt sich, je nachdem ob man es für einen echten Leonardo hält oder nicht, entsprechend spektakulär erzählen. Während einer kleinen Auktion in New Orleans waren zwei Experten auf den "Sleeper", wie unentdeckte Meisterwerke genannt werden, gestoßen – trotz Schichten schlampiger Restaurierungsarbeiten und dem furchtbaren Zustand, in dem sich die darunterliegenden Reste des Originals befanden. Dieser ließ dann auch einen nicht unbeachtlichen Teil der Kunstwelt an dem hohen Wert des Werkes zweifeln. Nach einem für den gewinnbringenden Verkauf des Gemäldes eher undienlichen Hin- und Hergeschiebe auf dem Kunstmarkt wurde es anschließend in einem Marketing-Coup vom Christie's-Mastermind Loïc Gouzer um die halbe Welt geschifft, bevor der Saudi-Prinz schlussendlich das Bild kaufte.
Der Restauratorinnen-Ikone Dianne Modestini, die das Gemälde zu retten versuchte, wurde vorgeworfen, sie habe das halbe Bild gleich neu gemalt; wenn überhaupt, sei es daher lediglich ein halber Leonardo. Über das Gemälde lässt sich also wunderbar streiten, doch die Geschichte ist die Erzählung wert – nicht zuletzt, weil darin all der Schmutz um Gier und Korruption hochgespült wurde, der dem Kunstmarkt so gerne nachgesagt wird. Kein Wunder also, dass der Film "The Lost Leonardo", den der Däne Andreas Koefoed über den Fall gedreht hat, gleich als Thriller betitelt wurde, ein "Da Vinci Code" basierend auf realen Ereignissen, sozusagen.
Wer es im letzten Winter verpasst hat, Koefoeds True-Crime-Doku im Kino zu schauen und sie seitdem vergeblich auf den gängigen Streaming-Portalen sucht, kann sich jetzt freuen. Der Film, der in Blockbuster-Manier die Geschichte des Gemäldes nacherzählt, das trotz Zweifel an der Autorschaft den höchsten Preis der Geschichte erzielte, lässt sich derzeit in der Arte-Mediathek ansehen.
"Salvator Mundi" oder Der verschollene Leonardo, Arte-Mediathek, bis 23. Dezember
Im Dunkel des Hasenbaus
Wie lässt sich von der Kontinuität von Gewalt erzählen, wo es scheinbar keine gibt? Und was bringt ein Scheinbild, wenn den Augen nicht zu trauen ist? In ihrem visuellen Essay "The Blind Rabbit" zeichnet die aus Neu-Dehli stammende DAAD-Stipendiatin Pallavi Paul Ereignisse der jüngeren Geschichte Indiens von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart nach, die von Polizeigewalt und Unterdrückung zeugen, aber aus dem kollektiven Gedächtnis des Landes verdrängt werden. Historisches Video- und Tonmaterial wird dekonstruiert, fragmentarisch eingespielt und von verstörend schönen Märchenbildern zerschnitten. Durch den Film zieht sich das Motiv der Täuschung, oder aber der bewussten Weigerung hinzusehen. Bild, Ton und Text werden zu einem Filmprisma, das Splitter eines Netzes aus multiplen Wahrheiten und Erzählungen erkennen lässt.
Die Berlinische Galerie präsentiert online diese Arbeit Pauls neben ihrem Video "Long Hair Short Ideas", einer Hommage an die Frau des indischen Dichters Vidrohi.
Pallavi Paul: "The Blind Rabbit" & "Long Hair Short Ideas", Berlinische Galerie
Die Einsamkeit am Ende
"Vortex" heißt der neueste Streich von Gaspar Noé. Gewidmet ist der Film, so flimmert es im Vorspann durch's Bild, jenen, "deren Verstand vor dem Herz zerfällt". In eben dieses sticht der Satz, drückt sich darin doch für viele ihre größte Angst aus: allein zu sterben. Und das meint im Fall "der Krankheit", wie sie Elles Mann Lui fortwährend nur nennt, den Prozess, nicht den Moment.
Elle hat Demenz und ihre Erinnerungen verblassen so schnell, dass das, was von ihr noch übrig ist, zwischen den Händen ihres Partners zwerfließt, während er versucht, an ihr festzuhalten. Das Haus der beiden zeugt von dem Leben, das der Autor und die Psychologin gemeinsam verbracht haben: Es ist gefüllt mit Büchern und mit Geschichten. Die visuelle Übersetzung von dem Spalt, den das Vergessen zwischen sie treibt, zeigt sich im Film im geteilten Bild des Splitscreen: zwei Fenster, immer leicht verschoben, während sich das Paar über die Bruchstelle weiter aneinander klammert, unwillens los-, den anderen im Stich zu lassen. Stur erklärt Lui seinem Sohn Stéphane, der mit dem Enkel zu Besuch ist und erschrickt, als es sieht, wie rapide die Mutter abbaut, dass Elle nicht in ein Heim gehöre "für Menschen, die nicht mehr gerade denken können."
"Es wäre besser, wenn ich tot wäre", sagt die alte Frau, der selbst ihr Enkel wie ein Fremder erscheint. Und während sich Stéphane, der mit den eigenen Problemen genug zu kämpfen hat, mit der Frage konfrontiert sieht, ob es gerecht ist, die eigenen Eltern zu entmündigen, um sie zu schützen, besteht Lui stur darauf, Elle zu Hause zu behalten, auch wenn er kaum mehr für sich selbst sorgen kann. Es ist ein schmerzvolles Drama, das Noé liefert, ein schwieriger Film, der von der Hingabe und Fürsorge der Familienmitglieder getragen wird – und bei aller Brillanz des Filmhandwerks nur dadurch zu ertragen ist.
"Vortex", Mubi
Der perfekte Arthouse-Film
Ein Regisseur, der über Jahre Filme analysiert hat, um den perfekten Cannes-Beitrag zu drehen, ein Film-Set im Streit, Egos, die clashen, und eine Crew, die nicht mehr mitspielen will. Der Kurzfilm "How to win Cannes in 5 easy steps" ist ein witziges kleines Arthouse-Schmackerl, in dem sich die Absurditäten des Filmedrehens auf 15 Minuten kondensieren – sozusagen drei für jede der goldenen Regeln, die sich der Regisseur Finn aufgestellt hat, um eine Goldene Palme zu gewinnen. Worin diese Regeln bestehen, wird aber leider nicht verraten.
"How to win Cannes in 5 easy steps", ARD-Mediathek
Joni Mitchells Leben in Zwischentönen
"Wenn du mit dem Pinsel malen kannst, kannst du es auch mit Wörtern", sagte einst ein kanadischer Grundschullehrer zu seiner Schülerin. Dass die junge Joni Mitchell mal eine "Hippie Follk Goddes" werden würde, konnte er damals nicht ahnen. Was wenige wissen, die Sängerin studierte eigentich Malerei. Mit dem Singen verdiente sie sich das Geld für ihre Farben. Bis heute malt sie, hat die meisten ihrer Albumcover selber gestaltet.
Mit Liedern wie "Both Sides Now" schuf Joni Mitchell Musik, die sich dem bisher Dagewesenen stellte. Die Frau mit dem Kopf in den Wolken brach eine Regel nach der anderen und stülpte in ihren Songs ihr Inneres nach Außen. Ihre Melodien vergleicht sie mit Kurzgeschichten, mit Stimmungen und Pinselstrichen, setzt Töne wie Farbtupfer. Das Aneinanderreihen und halten von Zwischentönen machte sie berühmt und sei sinnbildlich für ihr Leben voller Fragen, wie sie selbst sagt.
Ihr persönliches Leben verlief nicht weniger geradlinig: Mitchell suchte über Jahre ihre Tochter, die sie als junge Studentin zur Adoption freigeben musste, war eine der ersten Umweltaktivistinnen und schlug sich in einer männerdominierten Zeit als Frau durch. Sie verließ ihre Heimat Kanada, um Musikerin in der USA zu werden und lebte eine Zeit lang in einer Hippiekommune, wo sie mit John Nash, der ihr den Song "Our House" widmete, eine Liebesbeziehung einging. Sie verließ ihn aus Angst vor Unfreiheit: "Wenn du Sand zu fest in deiner Hand hältst, rieselt er dir durch die Finger" verließ sie ihn aus Angst vor der Unfreiheit von Frauen in Paarbeziehungen.
Die von den Schwestern Julia und Clara Kuperberg produzierte Doku erzählt die bewegte Lebensgeschichte Joni Mitchells auf hingebungsvolle Weise, ohne ihr die Selbstbestimmung abzusprechen für den Weg, den sie gegangen ist.
"Joni Mitchell - Hippie Folk Goddess", Arte-Mediathek, bis 23. November
Experimentierraum Internet
Während der Pandemie wurde alles digital. Und so kam auch zu den drei bereits existierenden Spielorten des Berliner Theaters Hebbel am Ufer (HAU) ein vierter im Cyberspace hinzu. Als das Live-Theater weitergehen konnte, blieb das HAU4 bestehen und dient seitdem als Plattform für Online-Projekte und das digitale Rahmenprogramm des freien Berliner Theaters. Ansehen lässt sich dort nun im Zuge des Festivals für Kunst zur digitalen Gegenwart "Spy on me #4" der Experimentalfilm "Needed Space" von Sriram Srivigneswaramoorthy und Jascha Bernhard, die im Rahmen des “Digitalen Labors #2” eine Gruppe von Artists in Residence am HAU begleiteten. Der Film gibt Einblicke hinter die Kulissen des Kulturraums, ist dabei aber von einer Situationskomik durchzogen, dass er selbst wie eine chaotische, jedoch genau getaktete Performance wirkt: Ein Online-Stream über Digital-Projekte, in denen es ums Internet geht. Alles sehr meta also, aber in seiner ganzen Absurdität und Klischeehaftigkeit auch recht lustig.
"Needed Space", HAU4
Ein Eiland in den Wäldern
Bei Pierre Huyghe führt der erste Gedanke an einen weißen Windhund mit rosa Bein. Dabei nutzte der 1962 in Paris geborene Künstler, der auf der Documenta 13 die Hündin "Human" zum Lieblingstier der Kunstwelt machte, am Anfang seiner Karriere vor allem das Medium Film und sezierte statt Tieren ikonische Kinofilme – etwa in der Performance "Singing in the Rain" (1996) oder für "Blanche-Neige Lucie" (1997). Heute ist es vor allem die Auseinandersetzung mit der Natur, die sein Werk bestimmt. Er arbeitet mit und im Außenraum und greift in Naturerfahrungen ein und schafft unwirkliche SItuationen, wie für seinen Beitrag für die Skulptur Projekte 2017, wo er eine alte Eislaufhalle in eine Kraterhalle verwandelte.
"Ich spreche keine explizieten Themen an oder erkläre irgendwas, ich gebe keine Antworten in meiner Kunst", erklärt er in einem Film auf dem Online-Kanal des dänischen Louisiana Museums. Für seine neuste Arbeit "Variants" auf der kleinen Insel Kistefos in Norwegen nutzt er neben anderen Programmen die KI-Software Dall-E und Videosimulation. "Ich habe zwei Arbeitsfelder: Zum einen das Digitale, ein Netzwerk, das Mutationen bereits existierender Elemente auf die in der Umgebung der Insel existierenden Elemente projiziert. Und daneben das Physische: Geräte, die die Naturphänomene messen, den Wasserstand, den Wind, die Sonne, die Bewegungen der Tiere." In dem Video gewährt der umstrittene Künstler einen Einblick in seine Arbeit, in der er Erfahrungsräume um und außerhalb des Natürlichen kreiert.
"Pierre Huyghe: I'm not interested in Binarity", Louisiana Online-Channel
Das blaue Haus
Es war nicht immer blau. Erst in den 1930er-Jahren bekam Frida Kahlos Elternhaus, ursprungs ein Bau im Kolonialstil, seine ikonische Farbe und wurde zur "Casa Azul" – jenem symbolträchtigen Ort, der es noch heute ist. Doch es blieb nicht bei der Fassade: Kahlo grub auch den Garten um, pflanzte in Mexiko einheimische Gewächse und huldigte auf diese Weise den indigenen Kulturen des Landes. So wie auch die Blumen in den Gemälden der Malerin, die heute wohl zu den bekanntesten der Welt zählt, eine politische Ebene haben, zieht sich das politische Engagement der Künstlerin durch ihr Werk und ihr Leben. Ihr Blaues Haus beherbergte nicht nur ihren Mann, den kommunistischen Maler Diego Rivera, sondern zeitweilig auch Leo Trotzki und dessen Frau Natalja Sedowa sowie den französischen Surrealisten André Breton nebst Gattin. In der Doku "Bei Frida Kahlo" ist die Casa Azul nicht nur Kulisse sondern Hauptdarstellerin, die das politische Leben der großen Malermeisterin und die Geschichten, die sich dort abgespielt haben, auf neue Weise erzählt.
"Bei Frida Kahlo", Arte-Mediathek, bis 28. Februar 2023
Der stumme Künstler im Kampf mit der Gegenwart
Der Umbruch vom Stumm- zum Tonfilm hat ab 1927 viele Hollywoodstars die Karriere gekostet. In seiner Tragikomödie "The Artist" von 2011 erinnert der französische Regisseur Michel Hazanavicius an Krise und Aufbruch in Hollywood Ende der 20er-Jahre. Weitgehend an Originalschauplätzen, wie den Paramount Studios, gedreht, verzichtet der Film weitgehend auf gesprochene Dialoge. Im Zentrum steht der Stummfilmschauspieler George Valentin (Jean Dujardin), ein sinkender Stern am Hollywood-Firmament. Gleichzeitig wird nach dem Muster von "A Star is born" vom kometenhaften Aufstieg der charismatischen Peppy Miller (Bérénice Bejo) erzählt, die versucht, George aus Erstarrung und Trunksucht zu befreien.
Der Film nimmt seine Perspektive ein, sträubt sich mit dem Protagonisten gegen die Tonfilmästhetik. Mit süffiger Musik (Ludovic Bource), exaltiertem Spiel und Zwischentiteln wird die Stummfilm-Ära beschworen, das goldene Hollywood, an das sich der Held klammert. Eine Sequenz, in der George von Toneffekten terrorisiert wird, zählt zu den absurd-komischen Höhepunkten der nostalgisch-gefühlvollen Hommage an eine versunkene Epoche.
"The Artist", Mubi, bis 11. April
Videokunst geht immer
Zum Schluss noch ein Tipp für all jene, die explizit auf der Suche sind nach Videokunst im Internet: Auf der Website, die ganz pragmatisch "Videoart.net" heißt, hat das New Yorker Festival für Videokunst und Experimentalfilm VAEFF ein beeindruckendes Konvolut aus Videoarbeiten aus den unterschiedlichsten Sparten zusammengesammelt. Besonders schön ist das dort präsentierte Musikvideo zu Rones "Room With a View", ein Tanzfilm, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Ballet National de Marseille, bei dem die Musik gegenüber der visuellen Gewaltigkeit eigentlich nur eine Nebenrolle einnimmt. Auch toll: "Evening in Space" von Fotograf David LaChapelle