Manchmal, wenn ich an einem Text sitze, flutscht es, und manchmal fällt mir das Schreiben schwer. Die Notizen für diese Kolumne lagen zwei Wochen auf meinem Schreibtisch und wollten und wollten nicht zu einem Text werden. Warum nur? Ich war zu Besuch in Wiesbaden, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, und habe mich en passant mit der Kuratorin und Kunstberaterin Cornelia Saalfrank verabredet, und, in ihrem Schlepptau, mit dem südafrikanischen Designer und Künstler Roelof Petrus van Wyk. Sie kannte ich nur flüchtig, ihn noch gar nicht. Fast ein Blind Date also.
Wir sitzen in dem Gewächshaus am Wiesbadener Stadtrand, hier hat Cornelia Saalfrank seit 25 Jahren ihr Büro, also schon lange bevor die Architektur-Duo Anne Lacaton und Jean-Philippe Vasall auf der Documenta 12 das Gewächshaus als Ort der Kunstvermittlung etablierten.
Unter den Glasdächern ist es heiß, wir essen eine meiner regionalen Leibspeisen, "Handkäs mit Musik". Zunächst beginnt das übliche Abtasten, wer macht was, wie ist man zur Kunst gekommen, woran arbeitet man gerade. Roelof van Wyk berichtet von dem Social Impact Arts Prize, den er 2019 mit dem Rupert Museum im nahe Kapstadt gelegenen Stellenbosch ins Leben gerufen hat. In einem Wettbewerb werden Kunstprojekte mit sozialer Relevanz für die Gemeinschaft gesucht. Über 450 Einreichungen gibt es bereits, und nun beginnt ein komplexer Auswahl- und Mentoringprozess, an dessen Ende zehn Projekte im Stadtraum von Stellenbosch realisiert werden sollen.
Kunst im offenen Raum
Cornelia Saalfrank erzählt von der Spiegelarche, ein in der freien Landschaft schwebender Ausstellungsraum in der Nähe von Weimar, und von tinyBE, einer von ihr ins Leben gerufenen Initiative, die im öffentlichen Raum von Künstler:innen begeh-, benutz-, ja fast bewohnbare Skulpturen errichtet, letztes Jahr unter anderem mit Christian Jankowski, Terence Koh und Thomas Schütte in Wiesbaden und Frankfurt. Für den zugehörigen Katalog "living in a sculpture" hat Roelof van Wyk übrigens das Cover gestaltet. Nun sind Ausstellungen in weiteren Städten in Planung.
Saalfrank und van Wyk geht es also darum, dass Kunst den geschützten musealen Raum verlässt und sich in den offenen – und gewissermaßen ungeschützten – gesellschaftlichen Raum begibt. So weit, so gut, interessante Projekte von engagierten Menschen, genau das, was die Kunst- und Kulturwelt ausmacht. Kein Grund, darüber nicht schreiben zu können. Und auch noch keine ungelegten Eier, sondern in gewisser Weise business as usual.
Auch die ungelegten Eier der beiden sind auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich. Roelof van Wyk schließt gerade seinen PhD ab, im Oktober steht die Veröffentlichung des Gedichtbandes "occasional snowfall – wit like sneeu" an, weitere Publikationen sollen folgen, und Cornelia Saalfrank plant eine Ausstellung, in der sie – wie genau, weiß sie noch nicht – ihre Erfahrungen mit Meditation mit dem Erlebnis von Kunst verknüpfen will.
Oft finden sich tiefere Bedeutungsdimensionen
Doch beim Reden über diese Vorhaben passierte etwas, was den Reiz des ehrlichen Gesprächs ausmacht, nämlich dass Menschen sich öffnen und dadurch Intensität entsteht. Denn wir sprechen nicht nur über unsere Projekte, sondern, wie Roelof van Wyk es zusammenfasst, über "business and trauma".
So setzt Roelof van Wyk sich in seinem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekt mit der Stigmatisierung von Homosexualität im Apartheidsregime auseinander – und zwar nicht aus abstrakter Perspektive, sondern vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung. Wir reden deshalb über Machtstrukturen und die Konstruktion von Maskulinität. Er erzählt von seiner Familie, die ihn ablehnt. Wir reden über Lieb- und Sprachlosigkeit, über Kontaktabbruch und das Gefühl von Scham. Und in all den reflektieren Berichten kommt immer wieder Wut und Schmerz zum Ausdruck, die er, wie mir scheint, in sich trägt.
Auch Cornelia Saalfranks ungelegtes Ei bekommt eine andere Bedeutungsdimension, je länger wir darüber sprechen. Denn ihre Auseinandersetzung mit Meditation, der sie auch eine heilende Wirkung zuspricht, hat einen konkreten Erfahrungshintergrund. Seit 15 Jahren hat sie eine transplantierte Niere, schwebte zuvor in Lebensgefahr, zwei Jahre lang hing sie drei Nächte die Woche am Dialysegerät, um einen kompletten Blutaustausch vorzunehmen. Eigentlich "hält" eine transplantierte Niere oft zehn Jahre, aber sie ist optimistisch, dass ihre länger überlebt. Auch sie hatte also eine schmerzhafte Grenzerfahrung, die Teil von ihr geworden ist.
Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich für diesen Text so lange gebraucht habe: Die Erkenntnis, dass die Sehnsucht, das Verlangen, das Suchen nach Kunst häufig – nicht immer, und auch nicht bei allen – mit einem tiefen Schmerz zu tun hat.