Hoch oben auf dem Gipfel thront inmitten ausgedörrten Sommergrüns ein leuchtend farbiger Tempel. Wer ihn betritt, wird Hals über Kopf verschlungen von Orange-Blau und Blau-Orange. Die Farben, die von weithin sichtbar die Fassade des Bauwerks schmücken, werden in seinem Inneren fortgeführt und um weiße, schwarzbraune und rote Akzente ergänzt. Teppiche dämpfen die Schritte, mit denen man sich der Kasse nähert wie ein Pilger auf seiner Reise ins Heiligtum. Gelegenheitsbesucher fallen unweigerlich auf mit ihren bestaunenden Blicken gen Wandmosaik, das im selben schönsten Cyan-Azur-Rot-Orange strahlt wie die Außenfassade, und mit ihrer Bewunderung der strukturierten Betonreliefs, die den Innenraum streckenweise wie eine Höhle erscheinen lassen.
Hier ist die Zeit stehen geblieben und ist es gerade nicht. Denn dieser Ort scheint wunderbar belebt und beliebt bei seinen einheimischen Besucherinnen und Besuchern.
1977 wurde das Kurbad Königstein auf dem grünen Hügel vor den Toren der Stadt eröffnet, als Kooperation zwischen dem Architekturbüro Geier + Geier und dem Künstler Otto Herbert Hajek (1927–2005), beide aus Stuttgart. Ingeborg und Rudolf Geier waren zu diesem Zeitpunkt schon für zahlreiche Bäder-Neubauten verantwortlich, Hajek war unter anderem als Documenta-Künstler einem größeren Publikum bekannt geworden.
Lust an satten Farben
Das Kurbad Königstein ist ein nicht untypischer Vertreter der genuinen "BRD-Bäderarchitektur", wie sie im Westteil von Nachkriegsdeutschland mit dem massenhaft aufkommenden Kurbädertourismus in kleine und kleinste Orte Einzug hielt. Architektonisch vereint das Bauwerk trotzdem einige Eigenschaften, die es zu einem der wahnwitzigsten seiner Art machen: So ist das Kurbad nicht nur ein vergleichsweise seltener Vertreter des Farbbrutalismus, der zwei Lieblinge der 1970er-Moderne, den rohen Look des steingrauen Betons und die Lust an satten Farben kombiniert.
Es ist außerdem ein bemerkenswertes Beispiel für Kunst am Bau in seiner konsequenteren Form. Statt als zusätzliches Gimmick wurde diese seinerzeit als die gesamte Architektur durchdringender Faktor mitgedacht. Entsprechend war Hajek früh in die Planung des Gebäudes und seine Farbgestaltung involviert, was sich an zahlreichen Details ablesen lässt: von der prächtig farbigen Betonfassade bis zu den leuchtend orangefarbenen Säulen und Streben.
Drinnen ist vieles hervorragend in Schuss – entweder im Originalzustand oder originalgetreu renoviert. Von den Plastikarmaturen über das typische gedämpfte Licht bis hin zu den extragroß geletterten Wegweisern im Bad erscheint etliches noch heute so wie vor 45 Jahren (der Außenbadebereich mit seinem Beinahe-Infinitypool inklusive Panoramablick auf Königstein kam freilich erst in den 1980er-Jahren hinzu). Nur die Bekleidung der Badegäste auf den Liegen verrät, dass man sich hier nicht in einer Fotografie von Joachim Brohm oder einem ähnlichen Chronisten der alten Bundesrepublik befindet.
Dass Renovierungen in einem Bauwerk, das täglich Feuchtigkeit, Wasser und Publikumsbesuch ausgesetzt ist, Geld kosten, versteht sich von selbst. Dass mitunter einige PR in eigener Sache nötig ist, zeigen Beispiele aus anderen Städten. 2012 wurde ein eigener Förderverein für das Königsteiner Kleinod gegründet, und auf der stadteigenen Webseite wird das Kurbad klug als identitätsstiftend für den Ort gesetzt. So erzählt hier zum Beispiel eine Besucherin, was sie besonders an ihrem besonderen Bad schätzt – den Deckenspiegel nämlich, der unfallfreies Rückenschwimmen ermöglicht (ein weiteres gestalterisches Detail von Otto Herbert Hajek).
Das Kurbad ist Ausdruck eines Gestaltungswillens, wie man ihn heute so zumindest im Westen kaum noch umsetzt. Begründet wird das oft mit finanziellen Ressourcen. Wobei hochwertige Materialien für die späteren Nutzer eines Bauwerks und Gestaltungslösungen außerhalb des Mediokren leichtherziger gekürzt werden als andere Posten.
Magisches Versprechen pragmatisch eingelöst
Nicht so seinerzeit in Königstein: Alles an diesem Schwimmbad ist mit Sinn und Sorgfalt gestaltet, was offenkundig nicht nur die Auswahl der einzelnen Farbtöne einschließt (Hajek nutzte bewusst ausschließlich RAL-Nuancen, die auch heute noch bei einer fälligen Renovierung problemlos nachgelegt werden könnten), sondern auch die Bodenfliesen (bis jetzt rutschfester als die aller State-of-the-art-Freizeitbäder).
Ein Besuch entführt denn auch nicht geradewegs in die Retro-Hölle, sondern in einen Kubus ganz eigener Gesetze, der das Raum-Zeit-Kontinuum für einige Stunden außer Kraft zu setzen vermag. Weshalb auch Menschen, die sich weder besonders kunst- noch architekturaffin finden, ihre helle Freude an einem Besuch haben.
Das Schönste am Kurbad Königstein ist wohl, dass es sein magisches Versprechen denkbar pragmatisch einlöst: Dieser Ort sieht nicht nur fantastisch aus, er lässt sich auch als derart gestalteter Raum erleben. Für wenige Euro Eintritt ist man dabei. Dieses Bad ist gebaute Wertschätzung für seine Besucherinnen und Besucher. Und das in Zeiten, in denen hervorragende Architekturen ebenso wie ganz gewöhnliche, aber von ihrem Publikum geliebte Schwimmbäder leichtfertiger abgerissen werden – und wenn überhaupt, ohne nennenswert ästhetisches Konzept neu gebaut – und in denen Material für die Vielen möglichst wenig kosten soll. Möge es den schärfer werdenden Kämpfen um Grund und den öffentlichen Raum möglichst lange trotzen.