Zur neunten Positions Berlin Art Fair ziehen 88 Galerien aus 20 Ländern in die Hangars vom ehemaligen Flughafen Tempelhof ein. Bei den internationalen Gästen fällt diesmal das stark vertretene Segment der baltisch und osteuropäisch verorteten Händler und Händlerinnen auf. Da wären die Meno Niša Gallery aus Litauen, die Anca Poterasu Gallery aus Rumänien, Ravnikar Gallery Space aus Slowenien, TSEKH Art Gallery aus der Ukraine, Krupa Gallery aus Polen oder Māksla XO aus Lettland.
Die Warschauer Galerie Lokal_30 hat mit den Fotografien von Natalia LL sogar pure Kunstgeschichte im Gepäck, auch wenn sie nicht jedem bekannt sein dürfte. Die kürzlich verstorbene konzeptuellaktionistische Avantgarde-Ikone, eine Art polnische Valie Export, reiste 1977 nach New York, um an einer Demonstration für die Rechte sexueller Minderheiten teilzunehmen. Bewaffnet war sie mit ihren Fotografien aus den sexuell provokativen Zyklen "Consumer Art" und "Post-Consumer Art" (1972–1975). Heute gilt sie deshalb in ihrem Land als erste polnische "Queer-Kunst-Lady". Zu Recht, denn in ihrem hinter dem Eisernen Vorhang entstandenen Werk gibt es reichlich Überraschendes in Sachen Gender, Identität, Begehren und Selbstoptimierung zu entdecken – und das alles in einer prophetischen Prä-Instagram-Ästhetik.
Eine weitere, fast 100-jährige Ikone lässt sich bei DAM Projects aus Berlin besichtigen: die in Budapest geborene Französin Vera Molnar, die gerade auch bei der Venedig Biennale zu sehen ist. Sie gilt als Pionierin der Computerkunst und hat bereits in den 1960er-Jahren die ersten Großrechner als Hilfsmittel für ihre konstruktiv-konkrete Kunst eingesetzt.
Die Bukarester Ivan Gallery hat etablierte Positionen wie Geta Brătescu im Programm, setzt aber auf das Potenzial der 1997 geborenen Adriana Preda. Die junge Rumänin kreist in Zeichnungen, Gemälden und immer wieder auch fotografischen Selbstporträts um ihren Körper und die mit ihm verbundenen Ängste. Da trifft dann schon mal Gewalt auf Porno, Fantasy auf Horror, der Wille zum Tabubruch ist omnipräsent, ein bad girl, das sich auf Instagram als der Teufel persönlich oder mit Bandagen im Gesicht als frisch Geliftete inszeniert.
Man könnte sie für eine entfernte Verwandte von Schock-Veteran Paul McCarthy halten, den die Galerie Akim Monet Fine Arts aus Dallas mitbringt. Auch er setzt sich mit Traumata auseinander, allerdings mit denen, die der American Way of Life hervorbringt. Kübelweise Spott und Blut bekommen bei ihm Disney, Sitcoms, Cowboys und andere Phänomene der US-amerikanischen Pop Culture ab. Auf der Messe sind Zeichnungen Träger des grotesken Treibens. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit den Künstlerfreunden Benjamin Weissman und Naotaka Hiro.
Weniger schrill geht es bei dem 1992 in der Republik Côte d’Ivoire geborenen Maler Yannick Ackah zu. Die Galerie Melbye-Konan aus Hamburg widmet ihre Koje seiner expressiven "Poesie einer Existenz", so die Selbstcharakterisierung des Künstlers, in die seelische Abgründe einfließen, aber auch Themen wie Rassismus und die Wunden des Kolonialismus.
In die Kunstgeschichte verweisen dagegen zwei Künstlerinnen, die in den 1920er-Jahren in Deutschland aktiv waren. Von der wunderbaren Malerin Lotte Laserstein, die 1937 von den Nazis ins schwedische Exil getrieben wurde, hat der Dr. Nöth Kunsthandel + Galerie aus Ansbach/Potsdam ein Gemälde aus der Spätphase aufgespürt. Das "Mädchen aus der Provence" von 1951 trägt zwar kindliche Züge, wirkt aber zugleich, stark in Gedanken vertieft, schon ganz erwachsen.
Bei der Zellermayer Galerie aus Berlin wird an Petra Petitpierre erinnert. Die Schweizer Bauhaus-Künstlerin und Schülerin Paul Klees starb bereits 1959 mit nur 54 Jahren. Auf das Jahr 1952 ist ihre Kreidezeichnung "Nature morte" datiert, eine farblich wilde, geometrische Komposition, in der man auf einer Wasseroberfläche Konturen von Fischen zu erkennen meint. Nach dem Studium in Dessau arbeitete Petitpierre 1932 bei Fernand Léger in Paris. Ein Jahr später ging sie zurück in die Schweiz und geriet als scheue Einzelgängerin trotz ihres Potenzials in Vergessenheit.
Dieser Text erschien zuerst im Berlin-Art-Week-Sonderheft, das Monopol 9/2022 beiliegt