Leila Hekmats Kunst passt in diese Zeit. Sie passt in eine brennende, von Katastrophen gezeichnete Welt, die sich gerade in eine Art reales "Handmaid’s Tale" verwandelt. Die theatralischen Performances, Installationen, Mini-Opern und Filme der 1981 geborenen, in Berlin lebenden US-Amerikanerin ähneln psychologisch aufgeladenen Mysterien- oder Kammerspielen. In Hekmats Kunst geht es um Gender, Familie, Macht und Ohnmacht, um libertäre Freiheit, sterbende Gesellschaften, die sich hinter geschlossenen Türen versammeln, darum, wie in Pier Paolo Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom" oder John Waters' "Desperate Living" im Antlitz des Untergangs Grausamkeit und dekadente Schönheit zu zelebrieren.
Hekmat stammt aus dem Umfeld des von Calla Henkel und Max Pitegoff gegründeten "New Theater", einem Hybrid aus Bar, Club und Theater, der zwischen 2013 und 2015 für internationales Aufsehen sorgte. Das lag nicht nur an den interdisziplinären und bewusst amateurhaft inszenierten Stücken und Performances, die in dem Neuköllner Off-Space realisiert wurden, sondern auch an dem Expat-Power-Kunstnetzwerk, das sich dort traf: Stars wie Simon Denny, Klara Lidén, Josephine Pryde, Musiker, Museumskuratorinnen, Sammler und Kunstfans von New York bis Zürich. Henkel und Pitegoff landeten, gerade mal Mitte 20, in den Institutionen: im Whitney Museum 2015, dann bei der Berlin Biennale, in Museen und Kunstvereinen.
Hekmat, die Kostüme und eigene Inszenierungen im "New Theater" realisierte, hat sich länger Zeit gelassen – und sich dabei mit Performances und Ausstellungen wie "The French Mistake" (Schinkel Pavillon, 2016), "Crocopazzo!" (Galerie Isabella Bortolozzi, 2020) oder der Aufführung ihrer Oper "Il Matrimonio di Immacolata" im Rahmen von der vom Schinkel Pavillon initiierten Reihe "Disappearing Berlin" Kultstatus erarbeitet. Ihre Kostüme, die an sakrale Gewänder, Renaissancegemälde, elisabethanische Mode und Fetischkleidung denken lassen, sind zu einer Art Markenzeichen geworden. Genauso wie das groteske, maskenhafte Make-up und die lockigen Perücken, in denen sich orthodoxes Judentum, Rokoko und amerikanische Siedlerkultur verbinden könnten.
Die Künstlerin verwandelt das Haus am Waldsee in ein Hospital
Hekmats Stücke zitieren musikalisch virtuos Barock- und Volksmusik, Opera buffa, Vaudeville. Sie funktionieren dabei wie Echokammern queerer Subkultur. In ihnen hallen die Freaks und Transvestiten aus Jack Smiths skandalumwittertem Undergroundfilm "Flaming Creatures" (1963) ebenso nach wie Andy Warhols Factory-Stars und die neurotischen und exaltierten Post-Internet-Charaktere aus Ryan Trecartins Videos.
Bereits 2021 wurde Hekmat in der Sammlungspräsentation "A Fire in My Belly" in der Julia Stoschek Collection Berlin prominent platziert. Jetzt ist es Zeit für die erste institutionelle Schau. Und die richtet Anna Gritz aus, die mit Hekmats Ausstellung "Female Remedy" ihre Stelle als neue künstlerische Leiterin des Hauses am Waldsee antritt.
Hekmat, die bei ihren Installationen und Performances immer auf die Architektur, den Raum eingeht, wird die ehemalige Zehlendorfer Industriellenvilla in das "Hospital Hekmat" verwandeln, mit Krankenhausbetten, einem Operationssaal, einer Kapelle und verschiedenen anderen Behandlungsräumen, ausgestattet mit digital bedruckten Vorhängen, Puppen und Darstellungen von exzentrischen Pflegerinnen und Patientinnen. Der Kunstraum wird "religiöses Sanatorium für Frauen", das als Einrichtung "für eine Krankheit fungiert, die nicht geheilt werden muss". Im Gegenteil, durch Komödie und absurde Possen soll das "vernunftwidrige Innenleben der Patientinnen" gefördert werden.
Das riecht nach feministischer Revolte, nach Parodie auf den freudschen Begriff weiblicher Hysterie, nach der großen libertären Tradition von de Sade und Artauds "Theater der Grausamkeit". Dessen Ausgangspunkt bilden auch die Krankheit und der Wunsch, entgrenzende, rauschhafte, fast spirituelle Erfahrungen zu erzeugen. Der kuratorische Auftakt im Haus am Waldsee wird also spannend – aber nicht nur wegen der sicher spektakulären Show. Entscheidend bleibt die Frage, ob Hekmat und Gritz es schaffen, dieser letztendlich traditionellen, im geschützten Raum der bürgerlichen Institution verankerten Form von Kunst-Theater etwas wirklich Subversives abzuringen.