Frau Ruelfs, die neue Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG), die sie gemeinsam mit Boaz Levin kuratiert haben, beschäftigt sich mit dem ökologischen Fußabdruck der Bildproduktion. Wie trägt die Fotografie zum Klimawandel bei?
Bei der Ausstellung ging es uns nicht darum, die "böse" Fotografie anzuklagen, sondern darum, am Beispiel der Fotografie das eigene Terrain unserer Sammlung zu untersuchen. Es gibt eine Vielzahl von Projekten über den Klimawandel, der uns alle so beschäftigt. Fotografie hat meistens die Rolle, die Auswirkungen zu dokumentieren – die Dürren und Überschwemmungen aufzuzeichnen. In der Ausstellung hingegen wollten wir die Verwicklung von der Erfindung der Fotografie und der Industrialisierung aufzeigen.
Wie sieht diese Verwicklung aus?
Hier ein Beispiel: 1807 erfinden die Brüder Niépce das Patent für einen Verbrennungsmotor, der mit Kohle und Harz betrieben wird. 20 Jahre später erfindet dann Nicéphore Niépce, einer der beiden Brüder, die erste Heliogravüre, die mit lichtempfindlichen Bitumen, einer Art Asphalt aus Judäa, funktioniert. Das verdeutlicht, dass etwas gleichzeitig passiert. Die Erfindung der Fotografie findet zu einer Zeit statt, in der die Industrialisierung Fahrt aufnimmt, und erst durch sie wird sie möglich.
Ist die Materialgeschichte der Fotografie eine der Ausbeutung?
Es geht darum, die Zusammenhänge des Klimawandels anschaulich zu machen und zu zeigen, was unser Anteil daran ist. Dieses Mehr an Produkten und Kameras, das ich kaufe, bedeutet auch ein Mehr an Rohstoffen, die gebraucht werden. Das ist etwas, was man anhand der Geschichte in der Ausstellung ganz gut sieht. Bereits im 19. Jahrhundert wird Silber für Fotografie benutzt, allerdings in relativ kleinen Mengen, weil nur eine geringe Anzahl von Leuten fotografiert. Mit der Etablierung von Fotografie als Massenmedium im 20. Jahrhundert werden die Mengen an Rohstoffen, die dafür verbraucht werden, gigantisch groß. Als Beispiel kann man hier ein Bild nehmen, das auch auf der Klappe des Ausstellungskatalogs abgebildet ist.
Können Sie das beschreiben?
Auf dem Bild aus Rochester in den USA sieht man in einem Raum einen Mann in Uniform, der die Arbeit an riesigen Stapeln von Silberbarren bewacht. Als Betrachterin denkt man, das Bild zeigt einen Banktresor, aber tatsächlich ist es der Tresor von Kodak, dem größten Foto-Produzenten im 20. Jahrhundert. Kodak ist in dieser Zeit nach dem amerikanischen Staat der größte Abnehmer von Silber. Das Bild verdeutlicht eine Eskalation: Anfang des 20. Jahrhunderts ist es noch ein Schrank, in dem das Silber gelagert wird, um 1945 benötigt man dann schon einen Tresorraum. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts stammt die größte Menge des Silbers aus den Amerikas. Die Geschichte ist verknüpft mit dem globalen Handel und der Logik der Ausbeutung.
Und danach?
Im Grunde geht es genauso weiter. Heute denken wir, mit der digitalen Fotografie sind wir weg von der bösen Chemie und diesem ganzen schmutzigen und giftigen Kram. Es verschiebt sich jedoch nur. Die Cloud klingt vom Wort her zwar erstmal fluffig, aber wenn man sich mal anschaut, was heute in unseren Mobiltelefonen und Digitalkameras verbaut ist, dann spielen da die Seltenen Erden und metallische Rohstoffe eine große Rolle.
Wie stellen sie die Abhängigkeit der Fotografie von natürlichen Ressourcen in Ihrer Ausstellung dar?
Wir haben die Verwicklung von Fotografie und Industrialisierung anhand von fünf Materialien untersucht: Kupfer für die Fotografie des 19. Jahrhunderts. Bitumen und Kohle als Rohstoffe, die im 19. Jahrhundert für Reproduktionsdruckverfahren und Pigmentdrucke gebraucht werden – beides Verfahren, die besonders Ende des 19. Jahrhunderts populär sind. Als drittes Material Silber. Da ist die Verwicklung von industriellem Fortschritt und Fotografie besonders anschaulich, auch weil mit Silber in rauen Mengen in der Fotografie gearbeitet wird. Als letztes Material Papier im 20. Jahrhundert und Seltene Erden für die Digitalfotografie. Jedes Kapitel hat drei Ebenen. Auf der einen Seite gibt es eine Informationsebene, die wir vor allem mit Interviews leisten. Wir haben beispielsweise bei Kupfer mit einer Mineralogin gesprochen, bei Bitumen und Kohle mit einem Biologen und Moorforscher, bei Silber mit einem Chemiker, der in der Fotoindustrie gearbeitet hat. Dazu stellen wir historische Objekte und auch zeitgenössische Arbeiten aus, die über und mit diesen Rohstoffen und Materialien arbeiten.
Teil der Ausstellung sind zum Beispiel Fotografien von Madame d'Ora, die Schlachthöfe und tote Tiere zeigen. Da fragt man sich erstmal: Was hat das mit Bildproduktion zu tun?
Viele Fotografien beinhalten tierische Gelatine als Trägersubstanz, um den lichtempfindlichen Stoff, das Silber, auf dem Fotopapier einzubetten. Fotoabzüge wären ohne tierische Gelatine nicht möglich, wir schauen auf das selbstreflexive Moment der Fotografie. Madame d'Ora, eine jüdische Fotografin, hat nach dem Krieg ein großes letztes Werk über die Schlachthöfe von Paris gemacht. In diesen Arbeiten fotografiert sie im Grunde genommen das Material, aus dem das Bild tatsächlich hergestellt wird. Als zeitgenössisches Pendant zeigen wir Werke des Künstlers James Welling, der eingefärbte Gelatine fotografiert und einen sehr konzeptuellen Blick darauf hat. Auch er belichtet seine Bilder auf Silbergelatinepapier. In den jeweiligen Arbeiten geht es also um die Materialität, die in den Bildern drinsteckt und gleichzeitig im Motiv sichtbar wird.
Was für Auswirkungen hat diese enge Verwicklung von Ökologie und Fotografie auf die zukünftige Praxis von Fotografinnen und Fotografen?
Es ist für Künstlerinnen und Künstler heute ein zentrales Thema. Alle Kapitel zeigen Arbeiten, die damit umgehen. Es geht den Fotografinnen und Fotografen genau wie uns um ein Bewusstmachen von Prozessen. Wir zeigen Rohstoffketten auf und fragen, wo was herkommt, was etwa alles in unseren Handys verbaut wird. Das ist ein differenziertes Nachverfolgen, was in Arbeiten wie der von Mary Mattingly, die das Kobalt aufspürt, oder der von Lisa Barnard, die Elektro-Recycling zu ihrem Thema macht, evident ist. Beide sind Künstlerinnen, die sich forschend auf den Weg begeben.