Im Grunewald im Westen von Berlin gibt es beim Schreiben dieses Artikels immer noch Glutnester. Auch rund eine Woche nach Ausbruch des Feuers auf einem Sprengplatz der Polizei besteht laut Einsatzkräften weiterhin Explosionsgefahr. Auch wenn die Hitze nicht mehr so extrem ist wie in der vergangenen Woche: Regen, der die Situation hätte entspannen können, gab es so gut wie keinen.
Im nahen Brücke-Museum in Dahlem und in der Liebermann-Villa am Wannsee konnte man den Rauch aus dem Wald riechen. Besucherinnen und Mitarbeiterinnen kamen teilweise wegen Autobahnsperrung und Zugausfällen nicht an ihr Ziel. Beide Häuser zeigen gerade eine Ausstellung, die man als Sommerschau bezeichnen kann. Die Brücke-Maler entwerfen in "1910" unter anderem abstrahierte Gestalten mit und ohne Badehosen vor einem erfrischenden Teich. Max Liebermann porträtiert in "Küste in Sicht!" badende Knaben in den Wellen und feine, langärmelig angezogene Herrschaften am Strand des holländischen Städtchens Noordwijk.
Was auf diesen Bildern "Sommer" bedeutet und was sich gerade außerhalb der Mauern von meist klimatisierten Museen abspielt, hat wenig miteinander zu tun. Der Juli 2022 war weltweit einer der heißesten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, in Europa brennen die Wälder und trocknen aufgrund anhaltender Dürre die Flüsse und Seen aus. Klimaforscherinnen und -forscher weisen seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig darauf hin, dass aufgrund der Erderwärmung so das "Neue Normal" aussehen dürfte (in manchen Regionen des Planeten ist es bereits so weit). Und diese Art von Normalität ist ziemlich apokalyptisch.
Wenn es brennt, ist die Hölle gemeint
Trotzdem ist "Sommer" dieses verführerisch verschwitzte Wort, das für viele nach Schwimmbadchlor, Sonnenmilch und mit Eis und Sand verklebten Fingern riecht. Ein lichter Begriff voller endloser Tage, die irgendwann erschöpft, aber glücklich in einem farbigen Himmelsspektakel untergehen. Diese Assoziationen – die natürlich auch wahr, aber nicht die ganze Wahrheit sind – haben nicht nur mit eigenen Erfahrungen, sondern auch mit den Bildern zu tun, die wir mit der Jahreszeit verbinden. So wird gerade darüber gestritten, ob Medienberichte zu Hitzewellen und Temperaturrekorden eigentlich mit fröhlich planschenden Kindern oder Strandimpressionen bebildert werden sollten. Oder ob nicht, ganz im Sinne von Greta Thunbergs "Panik-Appell", eine gewisse Eskalation des Themas im Journalismus vonnöten wäre. Andererseits beklagen Skeptiker, mit den immer dunkleren Rottönen auf den Wetterkarten manipuliert zu werden. Die Erzählung, dass es "früher auch schon heiß" war (im Hintergrund dudelt Rudi Carell mit seinem "Sonnenschein von Juni bis September") hält sich hartnäckig.
Auch in der europäischen Kunstgeschichte dominiert ein Sommernarrativ, das nicht mehr so recht in die Gegenwart passen mag. In Stundenbüchern des Mittelalters und der Renaissance werden die warmen Monate oft mit Szenen schwerer Arbeit, aber auch reicher Ernte dargestellt, zum Beispiel im berühmten Stundenbuch des Herzogs von Berry Anfang des 15. Jahrhunderts. Wenn es auf einem Gemälde brennt, unerträglich heiß ist und die Natur verglüht, ist in dieser Zeit meistens die Hölle gemeint.
Auch später hat die sommerliche Feldarbeit (meist mit offensichtlich guten Erträgen) viele Maler fasziniert, zum Beispiel Pieter Bruegel den Älteren und Vincent van Gogh. Schließlich hat sich in der Kunst jedoch der Sommer als Zeit des Eskapismus, der Lust an der Natur und der körperlichen Grenzgänge durchgesetzt. Im Impressionismus spielten die Freiluftmalerei und die Opulenz der sommerlichen Lichtstimmungen eine entscheidende Rolle. Auf den Gemälden von Monet, Cézanne oder Manet flattern die Figuren mit rüschigen Kleidchen und Sonnenschirm über Blumenfelder oder baden gewagt nackt in ursprünglichen Gewässern. Diese Tradition setzt sich über die Avantgarde des 20. Jahrhunderts bis in die Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wie Nan Goldin oder David Hockney fort. Sommer sind schöne Menschen mit wenig Kleidung an pittoresken Orten. "A Bigger Splash", wohin man schaut. Es scheint, als sei unser Bild dieser Jahreszeit irgendwo im Impressionismus stecken geblieben.
Kunstwerke für das "Neue Normal"
Dieser visuelle Kanon trägt dazu bei, dass es uns offensichtlich schwer fällt, die Klimakrise, deren Symptome sich gerade ziemlich eindrucksvoll beobachten lassen, richtig einzuordnen; geschweige denn, ihr so gut es noch geht entgegenzutreten. Bekannte Bilder, ob aus der Kunst oder dem eigenen Gedächtnis, verlernt man nicht so schnell. Der französische Philosoph Bruno Latour hat darauf hingewiesen, dass es eine riesige kognitive Aufgabe sei, eine solche "in der Erdgeschichte einmalige Situation" zu verarbeiten. Bestimmte Kunstwerke könnten ihm zufolge dabei helfen, die neue Situation anzunehmen und zu durchdringen – dabei meint er wohl nicht die badenden Sonnenanbeter aus dem Kanon.
Inzwischen gibt es natürlich ziemlich viel "Klimakunst", vor allem aus den Weltregionen, die besonders unter den Folgen der Erderhitzung leiden. Dass diesen Bildern und Geschichten, die das Gegenteil des Sommer-Klischees sind, endlich Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist zumindest der Beginn eines Umdenkens. Übrigens kann man selbst in der klassischen Kunstgeschichte der Sommerfrische einige Werke finden, die heute ziemlich zeitgenössisch aussehen. So hat beispielsweise Georges Seurat seine "Badenden von Asnières"(1884) vor der Kulisse rauchender Farbrikschlote gemalt. Schaut der sitzende Mann am Ufer nicht ein bisschen bedröppelt ins sicher nicht ganz saubere Flusswasser? Und findet sich der dunkle Rauch des Industriezeitalters nicht auch in den Hauttönen der Badenden wieder?
Die Kunst war schon immer gut darin, soziale und ökologische Realitäten auszublenden. Aber sie ist zuweilen genauso gut darin, diese zu zeigen. Sie kann ihre eigenen Traditionen immer wieder mit Neuem überschreiben. Aber man muss dann auch hinschauen wollen.