Claudia Rogge | KETTE und SCHUSS
Betrachtet man die neue Bilderserie von Claudia Rogge aufmerksam, dann verblüfft die Präzision, Schärfe und Raffiniertheit ihrer Arbeit. Ihre neuen Werke untersuchen auf intelligente Weise die ästhetischen Dimensionen und soziologischen Annahmen über das Muster, sowie seine Essenz und Konsequenz.
Heute begreifen wir die Hölle besser als jedes goldene Zeitalter. Unsere Krisen neigen dazu, sich mehr denn je zu verschärfen und einen Dominoeffekt auf das soziale Gefüge zu haben. In diesem Zusammenhang erlangen das Erkennen und das Erzeugen von Mustern tiefe sozio-anthropologische Bedeutungen, da sie in gewisser Weise dazu dienen einer Welt strukturelle und systemische Ordnung zu verleihen.
Die Idee, dass das Muster eine Art kulturelles Artefakt ist, das eine starke Wirkung und einen großen Einfluss auf die kollektive Psychologie und die Vorstellungen von Ästhetik hat, ist einer der argumentativen Gründe für Rogges fotografische Arbeit. Das kulturelle Sein existiert nicht außerhalb des Musters. Wir verbringen das Leben damit Muster zu produzieren und zu reproduzieren, seien sie materiell oder immateriell. Textilien zeigen sich als ein faktischer und unwiderlegbarer Beweis für diese Reproduktionsprozesse, die in der Natur und ihren kontinuierlich wiederkehrenden Zyklen verwurzelt sind.
Claudia Rogge versiegelt, wie eine Art Tattoo, die Haut ihrer Modelle, sodass, die sich wiederholenden Stoffe und Ornamente auf der Haut die kategorischen Grenzen auflösen und in einer Performance von Überschneidungen und Reproduktion enden. Die Wiederholung der Posen und der seriellen Elemente aktivieren die Mechanismen einer enormen Choreografie. Claudia Rogges Vorgehensweise besteht in der Auswahl und Isolierung eines Motivs, welches dann innerhalb eines potenziell unendlichen Ensembles wiederholt wird. Auf diese Weise erzeugt das Bild eine innere Bewegung, die am Ende deutlich beunruhigend wirkt. Diese Rhythmik lässt konzeptionelle Mutmaßungen gedeihen, die den Wert dieser Werke verstärken.
Claudia Rogges Arbeit ist eindeutig eine Ausübung von Manipulation/Replikation. Sie arbeitet basierend auf Verführung und Simulation; sie inszeniert eine visuelle, stark anziehende Erzählung, die die Überhöhung des Schönen genießt und dabei nicht außer Acht lässt, dass die Schönheit an sich eine hermeneutische Falle ist. Daher kommt es, dass ihre Anliegen die Schwelle des Dargestellten zugunsten des replizierenden Diskursiven überschreiten. Die Kette, die in diesen neuen Werken der Künstlerin gewebt wird, resultiert aus dem Studium und der Beobachtung der Grammatik der Muster, die aus der Akkumulation von körperlichen und textilen Elementen generiert werden.
Es wird klar, dass eine sehr komplexe Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und der Kleidung existiert. Letztere ist eine Art zweite Haut, eine Instanz, die viel über die sexuelle, kulturelle und ethnische Identität des Subjekts verrät.
Die heutige Welt ist von dem Stigma der Gewalt durchzogen, das oft von den staatlichen Organismen selbst aktiviert wird. Diese Gewalt äußert sich nicht nur durch Verfolgung, Unterdrückung und Misstrauen, sondern ebenso durch Homogenisierung und dem Zugeständnis angleichender Handlungen: jeder gleicht dem nächsten.
Claudia Rogges fotografische Erzählung stellt sich als eine metonymische Übung dar, die Angrenzungen und semantische Verschiebungen betont. Metonymie impliziert genau „eine semantische Änderung, die darin besteht, einem Objekt den Namen eines anderen zu geben, das heißt, ein Objekt mit dem Namen eines anderen Objektes oder einem anderen Ding zu bezeichnen“.
In diesem Fall verwendet die Künstlerin die Fotografie, um ein soziales Phänomen zu benennen. Ihre Werke werden zur poetischen Vollendung eines kollektiven Traumas sowie einer Erfahrung der Homogenisierung und sind in der Lage eine unbestreitbare Reihe an Bedeutungen und polyedrischen Lesarten zu eröffnen. Vielleicht ist es deshalb nicht abwegig, sich auf das von Kristine Stile eingeführte Konzept oder den Begriff der "Kommissur" zu berufen, wenn es darum geht, die Zusammenhänge oder möglichen Verbindungen zwischen dem Bildrepertoire dieser Künstlerin und der konfliktreichen sozialen Ordnung zu verstehen, die als bezeugendes Geflüster im hermeneutischen Gewebe dieser Künstlerin auftaucht.
Kleidung, Textilien und Mode sind auch kulturelle Mittel, die eine stillschweigende Instrumentalisierung kollektiver Geschmäcker und Wünsche offenbart. Die Serialisierung, die Claudia Rogge in ihren Bildern erzeugt, ist daher eine Art der Denunziation und erweitert gleichzeitig das Feld der Auslegung von kulturellen Prozessen der Replikation, der Produktion, der Mimesis und der Homogenisierung. Ihre Werke sprechen von jenem dominanten Willen, der bei der Kennzeichnung, Inventarisierung und Katalogisierung der unteilbaren Einheiten des Subjekts und seiner Subjektivität zum Ausdruck kommt.
Ästhetische Projekte, die kritische Kommentare vornehmen, sei es durch ihre optische Konzeption oder durch eine explizite politische Auseinandersetzung, kompromittieren das System der Werturteile. Nicht alles Explizite und Offensichtliche wird subversiv, ebensowenig werden allegorische Verschiebungen zum Banalen.
Claudia Rogges Fähigkeiten als Fotografin führen dazu, eine Karte zu erstellen, auf der konzeptionelle Ressourcen und visuelle Strategien im Einklang miteinander verknüpft werden. Die Schemata der Autorität, zu denen Wiederholungen, standardisierte Programmierungen und die Umwandlung des menschlichen Ansinnens in Gehorsam/Unterwerfung oder Ungehorsam/Aufbegehren unweigerlich gehören, werden in der textlichen Gestaltung dieser Oberflächen sichtbar.
Es kommt oft vor, dass die Verhandlungen zwischen dem Kunstdiskurs und dem politischen, bzw. sozialkritischen Diskurs zu Konflikten führt. Die Künstlerin ist in der Lage, eine feine Spannung zwischen Darstellung und Konflikt aufzubauen. Das gruppenorientierte Phänomen und die Homogenisierung des Subjekts in der Masse kommen in ihrem künstlerischen Werk zum Ausdruck. Claudia Rogges Arbeiten machen jene Allianzen sichtbar, die sich zwischen dem Bild und der Kulturkritik spannen.
Wiederholungen, so weiß es die Künstlerin, enden oft in Sinnlosigkeit und der Militarisierung von Verhaltensweisen, aber sie erzeugen auch kulturelle Mechanismen und anthropologische Ergebnisse, die die urbanen Mythologien und die körperlichen Ästhetiken der Nachbildung und der Aufsässigkeit nähren.
Andrés Isaac Santana
(Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche: Julie Anabelle Beinke)