Dan Perjovschi, Sie haben in den ersten Tagen der Documenta täglich das aktuelle Geschehen in Ihrer "Horizontalen Zeitung" vor dem Kasseler Kulturbahnhof mit Zeichnungen und kleinen Texten kommentiert – auch den Antisemitismusskandal. Wie haben Sie die Eröffnungstage der Documenta zunächst erlebt?
Die Eröffnung war fantastisch. Ich habe viele Freunde aus aller Welt getroffen, aber auch die Atmosphäre war sehr schön, es gab ein öffentliches Karaoke, es war alles sehr entspannt, vielleicht auch weil die Schwergewichte aus dem Kunstmarkt nicht da waren.
Am Montag nach der Eröffnung wurde dann das antisemitische Bildelement in dem Banner von Taring Padi auf dem Friedrichsplatz publik. Wie schnell verbreitete sich die Nachricht unter den Künstlerinnen und Künstlern?
Sehr schnell. Ich bekam viele Nachrichten von Leuten, die nachfragten, was los ist.
Sie selbst haben in Ihrer "Horizontalen Zeitung" geschrieben: "I am not with you on this one, guys."
Es war ein großer Fehler, dieses Bild zu zeigen. Es war gut, das Bild herunterzunehmen, das ist auch keine Zensur, das war die richtige Entscheidung. Der Entschuldigungsbrief von Taring Padi hat mich beeindruckt. Es ist sehr schade, dass sie jetzt im Auge des Sturmes stehen. Ich hoffe, dass sich der Aufruhr legt, denn es ist so eine interessante Documenta. Es gibt so viele interessante künstlerische Praktiken hier, so viel zu lernen. Es ist schade, dass man jetzt auf diesem einen Thema festhängt, das immer und immer wiederholt wird.
Es wurde in der Öffentlichkeit angekündigt, dass die gesamte Documenta jetzt nach antisemitischen Inhalten überprüft werden soll.
Aus der Sicht der Künstlerinnen und Künstler klingt das nicht gut – sogar wenn die besten Absichten dahinter stehen. Auch die Diskussion über kontroverse Werke sollte von allen gemeinsam geführt werden, vom Management, den Künstlerinnen und Künstlern, dem kuratorischen Team. Zeitgenössische Kunst ist dafür da, Fragen aufzuwerfen. Man kann jedes Werk nehmen und, je nachdem von welcher Perspektive man es betrachtet, auch falsch interpretieren. Wir sollten also vorsichtig sein. Ich habe in eineinhalb Jahren der Vorbereitung dieser Ausstellung, in der intensiven Zusammenarbeit, die Ausstellung nicht als antisemitisch wahrgenommen. In dieser Ausstellung sind sicherlich Künstlerinnen und Künstler, die Positionen vertreten, die mir und Ihnen und auch Ihren Leserinnen und Lesern radikal oder übertrieben erscheinen. Aber wir müssen Wege finden, miteinander zu reden. Wenn wir das nicht tun, kommen wir mit Panzern, wie Putin. Die Russen reden mit Maschinengewehren, wir müssen es anders machen. Es gibt so viel, was wir von dieser Documenta mitnehmen können.
Was denn vor allem?
Zum Beispiel die Idee, dass so eine große Ausstellung der Non-profit-Szene in dem Ort, wo sie stattfindet, auch länger nützt. Die Druckerpresse in der Documenta-Halle wird in den nächsten zwei Jahren in Kassel der Szene weiter zur Verfügung stehen, ich habe auch einen Teil meines Budgets dazu gegeben, ich finde das großartig. Dann gibt es dort so viele Künstlerinnen und Künstler aus dem globalen Süden, die man vielleicht nicht kennt, die man vielleicht nicht versteht – und hier hat man die Chance, sie zu sehen. Ich habe erstmals von der Geschichte koreanischer Inseln erfahren, die von Japan erobert und in die Zwangsarbeit getrieben wurden, es gibt den Beitrag über die Künstlerinnen und Künstlern in Kuba, die eingesperrt werden, weil sie gegen die Diktatur aufstehen. Es gibt eine Kirchengemeinde, wo Gruppen aus Südamerika zum Essen einladen. Und keine Angst, es gibt auch Kunstwerke im klassischen Sinn.
Um Dan Perjovschi und die Documenta geht es auch in einer neuen Folge des Monopol-Podcasts "Kunst und Leben, hier zum Nachhören, wenn sie "Inhalte aktivieren" klicken: