Wenn Edouard Manet (1832-1883), bekannt als Wegbereiter des Impressionismus, eines nicht ertragen konnte, dann war es die Langeweile. So machte ihm der Sommer des Jahres 1880 wohl zu schaffen. Diesen musste der Künstler, der an das geschäftige Treiben in Paris gewöhnt war, in Bellevue verbringen: einem Stadtteil der französischen Stadt Meudon in den Pariser Banlieues. Dort sollte er gepflegt werden. Seine Tage bestanden aus therapeutischen Massagen und Spaziergängen – für Manet eine Tortur.
So muss er den Besuch des Ehepaars Guillemet im Juli des Jahres, der Leben in seinen eintönigen Alltag brachte, als einen besonderen Lichtblick empfunden haben. Nach der Abreise der Guillemets schrieb er einen Brief von besonderem Wert, den er an Jules Guillemet richtete. Sie war eines seiner Lieblingsmodelle. Es ist wohl der einzige Brief, den er mit einem Pinsel schrieb. Diese Technik erschwerte das Lesen, aber machte das Schriftstück zu einem persönlichen Freundschaftsbeweis. Außerdem verzierte er seine Worte mit kleinen Aquarellarbeiten: bunte Blumen, Schmetterlinge, Libellen, Frösche, ein Brioche und das Portrait einer Frau.
Auch aus der Nachricht, die Manet auf dem dreiseitigen Brief hinterlassen hatte, spricht Dankbarkeit und Zuneigung: "Bellevue: Es gibt nur mich hier heute Morgen, beim Frühstück, ohne die Fröhlichkeit und den Schwung von Frau Guillemet. Bis Dienstag. Die Erklärung für das Verhalten von Jules [Guillemet]. Heute Morgen geht es mir recht gut. Ich glaube, das habe ich Ihnen zu verdanken. Nehmen Sie das Boot."
Lieber malen als schreiben
Der Brief hat sich ins Heute gerettet. Die Pariser Filiale des Auktionshauses Sotheby's hat ihn nun für ein Mehrfaches seines Schätzwertes versteigert. Statt angenommenen 30.000 bis 50.000 Euro erzielte Manets Schriftstück 210.600 Euro.
Dass dem Brief nun ein solch hoher Wert zugeschrieben wurde, liegt wohl auch an der Zeit, in der er entstanden ist. Um das Jahr 1880 herum schuf Manet einige seiner wichtigsten Stillleben, darunter das berühmte "Spargelbündel" oder "Die Zitrone". Es waren kleine Gemälde, die er in dem beginnenden Jahrzehnt malte. Sie zeigten oft einen einzigen Gegenstand. Experten, die von Sotheby's zitiert werden, sprechen von einer Art "Auszug, einer Quintessenz der Malerei", die diese Werke darstellten.
Auch, wenn Manet für gewöhnlich nicht mit einem Pinsel schrieb, ist es nicht der einzige kunstvoll illustrierte Brief, den Manet während seiner Zeit in Bellevue an seine Freundinnen und Freunde verschickte. Wenn er gerade keinen Besuch empfing und sich einsam fühlte, hiel er den Kontakt zu den Menschen, die ihm wichtig waren. Darunter waren Méry Laurent, Isabelle Lemonnier, Madame Guillemet oder deren Schwester Marguerite, Henri Guérard und Félix Bracquemond. Briefwechsel mochte Manet eigentlich nicht besonders gern. Seine Briefe sind oft kurz gefasst, der Schreibstil ist einfach gehalten. Er bevorzugte das Malen.