Kassel

Steinmeier weist zur Documenta-Eröffnung auf Grenzen der Kunstfreiheit hin 

Sie ist eine der weltweit wichtigsten Schauen moderner Kunst, und es gibt sie nur alle fünf Jahre: Die Documenta in Kassel hat begonnen. Angesichts einer schwelenden Antisemitismus-Debatte spricht Bundespräsident Steinmeier über Grenzen der Kunstfreiheit

Zur Eröffnung der Weltkunstausstellung Documenta in Kassel hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Grenzen der Kunstfreiheit hingewiesen. "Ich will offen sein: Ich war mir in den vergangenen Wochen nicht sicher, ob ich heute hier sein würde", sagte er am Samstag mit Blick auf die Antisemitismus-Debatte um die diesjährige Schau in seiner Eröffnungsrede (hier im Wortlaut).

Dem indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa war vorgeworfen worden, auch Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Selten habe eine Documenta im Vorfeld eine so heftige und kritische Debatte hervorgerufen wie die diesjährige, sagte Steinmeier.

"Wir alle wissen: Kunst ist nicht streitfrei zu haben", betonte er nach einem Rundgang durch einige Ausstellungsräume. Die Kunstfreiheit sei ein wichtiger Pfeiler demokratischer Gesellschaften, habe aber auch ihre Grenzen. "Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen", sagte Steinmeier.

"Manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel"

Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten." Er habe im Vorfeld der Schau "manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel" beobachtet, sagte er weiter. Die Anerkennung Israels sei in Deutschland aber Grundlage und Voraussetzung der Debatte.

Steinmeier eröffnete die Documenta Fifteen bei strahlendem Sonnenschein und bei schon am Morgen sommerlichen Temperaturen. Zu seiner Ankunft hatten sich Hunderte Menschen vor dem Fridericianum in der Innenstadt von Kassel versammelt.

Auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) betonte, er nehme den Antisemitismus-Vorwurf sehr ernst. "Deutsche Politiker können dazu nicht einfach so sang- und klanglos nichts sagen, wenn im Land der Täter der Shoah der Vorwurf des Antisemitismus erhoben wird", betonte er. Das müsse alarmieren. "Wer ein freiheitliches und ein lebenswertes Land will, der kann Antisemitismus nicht dulden." Das gelte auch für "die heimlichen Spielarten der Israel-Kritik als Ersatz-Antisemitismus".

Kleinere Kundgebungen in der Innenstadt

Die Nachgeborenen hätten zwar keine Verantwortlichkeit für die damaligen Geschehnisse in Deutschland, aber Verantwortung dafür übernommen, dass solche Dinge nie wieder geschehen. "Wenn ich sage, Kunst und Kultur sind nach unserer Verfassung frei, sage ich auch, dass zur Kultur unseres Landes genauso das unbedingte Eintreten für das Existenzrecht Israels und gegen Antisemitismus gehört." Vor dem Hintergrund der politischen Debatte um die Documenta Fifteen wurde der Eröffnungstag von kleineren Kundgebungen pro-palästinensischer und pro-israelischer Gruppen begleitet.

Die Documenta, die es seit 1955 in Kassel gibt, gilt neben der Biennale in Venedig als weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Sie wird nur alle fünf Jahre veranstaltet. Zur 15. Ausgabe hat das kuratierende Kollektiv Ruangrupa 14 Kollektive, Organisationen und Institutionen sowie 54 Künstlerinnen und Künstler ausgewählt. Diese haben weitere Kolleginnen und Kollegen eingeladen. Insgesamt sind laut Veranstalter 1500 Kunstschaffende vertreten.

In diesem Jahr ist die 100 Tage-Ausstellung über 32 Standorte in den Kasseler Stadtteilen Mitte, Nordstadt und Bettenhausen sowie an und auf der Fulda mit angrenzenden Arealen wie Karlsaue oder Hafen verteilt. Neben den klassischen Spielorten wie dem Museum Fridericianum und der Documenta-Halle sind darunter ein Bootsverleih, ein ehemaliges Firmengelände sowie ein altes Hallenbad. Insgesamt werden laut Generaldirektorin Sabine Schormann 30.000 Quadratmeter bespielt.

Ein bisschen mehr Reisscheune täte gut

Die diesjährige Documenta repräsentiert zu einem großen Teil den Globalen Süden. Im Mittelpunkt steht nicht das Werk, sondern Kunst als kollektiver Prozess. Das Konzept des Kollektivs Ruangrupa fußt auf der indonesischen Lumbung-Architektur. "Lumbung" ist in dem Inselstaat das Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Diese Tradition des Teilens will die Künstlerische Leitung auf die Weltkunstausstellung in Kassel übertragen.

"Lumbung und kollektive Praxis verstehe ich auch als Inspiration", sagte Ministerpräsident Rhein, der die Schau gemeinsam mit Bundespräsident Steinmeier und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) besuchte. "Ein wenig mehr gemeinsam genutzte Reisscheune täte im Zweifel der ein oder anderen politischen Position gut."

Die Schau dauert bis zum 25. September. Das Tagesticket kostet 27 Euro.