Ungelegte Eier (22)

Können wir uns selbst verändern?

Monopol-Kolumnist Friedrich von Borries spricht mit dem Architekturtheoretiker Bart Lootsma und der Kunsthistorikerin Katharina Weiberger-Lootsma über "Critical Change" und unerfüllte Lebensträume

Die Suche nach ungelegten Eiern führt mich dieses Mal nach Linz in Österreich. "Die Kunst der Folgenlosigkeit", ein Film von Jakob Brossmann und mir, wird auf dem Festival Crossing Europe gezeigt, und ich nutze den Anlass, Bart Lootsma und seine Frau Katharina Weinberger-Lootsma zu besuchen. Bart ist Professor für Architekturtheorie an der Universität Innsbruck und war – vor bald 20 Jahren – mein Doktorvater, Katharina ist Kunsthistorikerin, arbeitet an der Kunstuniversität Linz.
Wir kennen uns also schon lange – und wissen trotzdem nicht um die ungelegten Eier der anderen. Vielleicht gerade deshalb: Wenn man sich gerade kennenlernt, ist man manchmal offener, als wenn man sich bereits gut kennt und deshalb etablierte Rollenverhältnisse aufrechterhalten und eventuell sensible Themen umschifft werden.

Aber bei diesem Besuch habe ich zwei meiner Kinder dabei, die im gleichen Alter sind wie die Tochter von Bart und Katharina, was ja immer auch andere Persönlichkeitsfacetten offenlegt und erlebbar macht. Und unsere Gespräche beschränken sich nicht auf ein gemeinsames Essen, sondern erstrecken sich über zwei Tage – morgens, mittags, abends und vor allem zwischendurch – und so kommt doch einiges zur Sprache.

Bart und Katharina sind nach Linz gezogen, weil Katharina dort 2019 die Leitung der Kulturtankstelle übernahm. Seitdem kuratiert sie eine Ausstellungsserie über Stadt, Nachhaltigkeit und Klimawandel, die unter dem Titel "Stories of Critical Change" von den Kontexten der aktuellen Krise, von möglichen Motiven und resultierenden Dilemmas erzählt – mit durchaus spekulativen Methoden. Die Ausstellungen, so erläutert Katharina, "verzerren das Hier und Jetzt und werfen einen Blick in die Zukunft."

Eine Unzahl ungelegter Fach- und Sacheier

Ursprünglich war die Kulturtankstelle in einer leerstehenden Tankstelle mitten in Linz untergebracht – daher auch der Name. Doch dann sprang der Kooperationspartner ab und die Tankstelle wechselte den Besitzer. Die Ausstellungsreihe geht zwar weiter, aber Katharina muss für jede Ausstellung neue öffentliche Orte der Stadt finden – und hat auch weniger Budget als früher. Aber wenn man improvisiert, geht auch das. Am 16. Mai ist die Kulturtankstelle zum Beispiel in Linz mit einem mobilen Kino unterwegs, um den Film "The Property Drama" von Arno Brandlhuber und Christopher Roth zu zeigen. Dass Katharina eine Unzahl ungelegter Fach- und Sacheier mit sich rumträgt, ist also leicht vorstellbar.

Doch in unseren Gesprächen kam ein viel persönlicheres Ei zu Tage. Seit langem überlegt sich Katharina, Architektur zu studieren. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit Architektur, als Kunsthistorikerin, als Kuratorin, als Lehrende. Und hat doch immer nur einen Blick von außen. Außerdem ist sie von der komplexen Denk- und Arbeitsweise fasziniert, in der Architekt:innen Konzeptionelles, Ästhetisches und Praktisches verbinden – und dabei, wie Katharina sagt, "etwas machen, was mit den Menschen direkt zu tun hat". Aber immer kommt was dazwischen, was das Legen – oder Ausbrüten – dieses Eies verhindert. Beruf und Familie miteinander zu verbinden, ist schließlich schon herausfordernd genug. Und der Rollenwechsel von Lehrender zu Lernender, das ist, so Katharina, ja auch "absurd".

Barts ungelegtes Ei ist entspringt nicht allein einem inneren Antrieb, sondern hat einen äußeren Anlass. Im Herbst geht er in Pension. Und auch wenn Lehre und Forschung damit für ihn noch nicht beendet sind, beginnt doch ein neuer Abschnitt. Und in dem möchte sich Bart wieder auf jeden Fall mehr der Fotografie widmen.
Für ihn ist das auch eine Rückkehr zu seinen Ursprüngen. Am Anfang seiner Karriere war er nicht nur Theoretiker, sondern arbeitete auch als Architekt und Künstler. Schwerpunkte seiner künstlerischen Arbeit waren Fotografie und Installationen. Fotografie war für ihn eine Möglichkeit, "Phänomene zu untersuchen, ohne diese textuell auf dem Punkt bringen zu müssen". Die Installationen, so erklärt er, "waren ein Versuch, in einer Zeit von zahlreichen Krisen – Wirtschaftskrise, Punk, die deprimierenden Analysen Manfredo Tafuris – trotz allem eine Architektur zu realisieren, die nicht nur auf Papier lebte, sondern tatsächlich dreidimensional erfahrbar war."

Doch irgendwann beschloss er, sich auf die Theorie zu konzentrieren: "Man muss ja wenigstens etwas richtig machen." Eine Zeichnung seiner letzten Arbeit hatte Bart sich damals aufs Schulterblatt tätowieren lassen, damit es bleibende Konsequenzen hat. Die Fotografie verließ er trotzdem nicht. Für Kritiken, Vorträge und Vorlesungen machte er dokumentarische Fotos von Gebäuden, manche davon befinden sich inzwischen in Museumssammlungen.

Auseinandersetzung mit der Unschuld

Doch heute geht es ihm nicht um Architektur. Bart zeigt mir einige seiner aktuellen Arbeiten. Bildserien über den Blick von seinem Balkon auf die Berge, in den Himmel, in Licht und Wolken. Experimente mit den technischen Möglichkeiten und Grenzen der Digitalfotografie. Er veröffentlicht die Bilder auf Facebook und Instagram. Am meisten fasziniert mich eine Serie über Puppen. Die Motive entdeckt er in Arrangements, die seine Tochter beim Spielen hinterlässt: Barbies in mal grotesk-witziger, mal morbide-sexualisierter Anmutung. Die Bilder, so sagt er, sind eine "Auseinandersetzung mit der Unschuld: der Unschuld eines Kindes, aber auch der Unschuld des fotografischen Blickes. Diese Unschuld stößt auf die Rollenmodelle, die die Barbies anbieten, und die sind gar nicht unschuldig, weder in ihrer Semantik, noch in ihrer Produktion." Wir reden noch lange über die Puppen, die Arbeits- und Produktionsbedingungen in den chinesischen Fabriken, aber auch die Art, wie Bart sie fotografiert.

Mich interessieren dabei nicht nur die Motive, sondern auch eine andere Frage: Was passiert, wenn man das gesicherte Terrain – bei Bart: die Architekturtheorie – verlässt und sich in neue disziplinäre Kontexte – hier: die künstlerische Fotografie – begibt? Diese Frage stelle ich mir oft, weil ich in meiner eigenen Arbeit immer wieder die Grenzen dessen, was meine berufliche Praxis ist, neu auslote. Wissenschaftlich forschen. Literarisch schreiben. Filme machen. Kuratieren. Journalistisch kritisieren. Anwendungsbezogen gestalten. Künstlerisch dilettieren. Manches gelingt, manches nicht. Manches findet Gefallen, anderes wird eher für peinlich gehalten.

Und so drehten sich an diesem Wochenende unsere Gespräche um Wandel und Veränderung: Wie geht man mit unerfüllten Lebensträumen um? Wie gewichtet man sie gegenüber anderen Lebensaspekten, wie zum Beispiel der Familie? Wieviel Mut braucht es, einen neuen Pfad zu bestreiten, auf dem man sich noch nicht bewiesen hat? Wie wichtig ist es einem, Anerkennung für das, was man tut, zu bekommen – und von wem ist einem diese Anerkennung wirklich wichtig?