Wie die Documenta und Museum Fridericianum gGmbH am Mittwoch in Kassel mitteilte, würden die für Mai angekündigten Experten-Foren ausgesetzt. Die Documenta hatte die Veranstaltungen geplant, nachdem ein Bündnis dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa Anfang des Jahres vorgeworfen hatte, bei der 15. Ausgabe der Ausstellung seien auch Organisationen eingebunden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ab dem 8. Mai sollte in drei Veranstaltungen unter dem Titel "We need to talk! Art - Freedom - Solidarity" über "das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" debattiert werden.
Vergangene Woche hatte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in einem Brandbrief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Umgang der documenta mit dem Thema Antisemitismus kritisiert. Er beklagte darin unter anderem die Besetzung der Foren und monierte, der Dachverband der jüdischen Gemeinschaft sei nicht eingebunden. Das unveröffentlichte Schreiben liegt der Deutschen Presseagentur (dpa) in Berlin vor.
Die Documenta habe, auch nach Rücksprache mit verschiedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, entschieden, die Veranstaltungsreihe auszusetzen, hieß es am Mittwoch in der Mitteilung. Sie werde zunächst die Ausstellung beginnen und für sich sprechen lassen, um die Diskussion dann auf dieser Basis sachgerecht fortzusetzen. "Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das Ziel, das die Documenta mit der Gesprächsreihe erreichen wollte, nämlich im Vorfeld der Documenta Fifteen einen multiperspektivischen Dialog jenseits institutioneller Rahmen zu eröffnen, nur schwer umsetzbar."
"Gelegenheit, auf Bedenken eingehen zu können"
Der Documenta sei es wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die bisherigen Ansätze sollten als verändertes Format vor Ort in Kassel während der Weltkunstausstellung weiterentwickelt werden. "Das gibt auch Gelegenheit, auf Bedenken eingehen zu können, die in den vergangenen Tagen öffentlich wurden."
Kulturstaatsministerin Claudia Roth will sich nun nach eigener Aussage um eine neue Vertrauensbasis bemühen. "Ich werde erneut mit allen Beteiligten das Gespräch suchen und diese wenn nötig in den Dialog zueinander bringen", sagte die Grünen-Politikerin am Mittwoch in einer Mitteilung.
"Die Absage der Gesprächsreihe macht deutlich, dass hier offenkundig eine neue Vertrauensbasis nötig ist", sagte Roth. "Antisemitismus darf keinen Platz haben in unserer Gesellschaft, nirgendwo, auch nicht auf der Documenta."
"Wir brauchen eine offene und ausgewogene internationale Diskussion"
Aufgabe aller staatlichen Stellen sei es aber auch, die Kunstfreiheit und damit einen Freiraum von Künstlerinnen und Künstlern und ihrer Arbeit zu schützen, "die zu unterschiedlichen Interpretationen führen kann und nicht allen gleichermaßen gefallen muss". Sie habe die Vorwürfe ernst genommen und sowohl mit den Verantwortlichen der Documenta als auch dem Zentralrat der Juden das Gespräch gesucht. Daran werde sie jetzt anknüpfen. "Wir brauchen eine offene und ausgewogene internationale Diskussion rund um die Documenta, die unterschiedliche Positionen abbildet und einbezieht", sagte Roth.
Es sei die künstlerische Freiheit der Documenta, die geplante Veranstaltungsreihe vorerst auszusetzen und ein verändertes Format für Gespräche zu entwickeln, kommentierte der Aufsichtsratsvorsitzende der Schau, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), die Entscheidung. "Zumal man während der Documenta Fifteen anhand der Ausstellung und somit auf einer anderen Grundlage diskutieren kann."
Die alle fünf Jahre stattfindende Documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Präsentation für Gegenwartskunst. Die Documenta Fifteen findet in diesem Jahr vom 18. Juni bis zum 25. September statt.