"Gegen Antisemitismus helfen nur klare Bekenntnisse und noch viel mehr, entschlossenes politisches Handeln auf jeder Ebene von Politik, Kunst, Kultur und Gesellschaft", heißt es in dem Schreiben an die Grünen-Politikerin, das der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. "Von dieser Verantwortung darf sich niemand - auch nicht im Namen der Kunstfreiheit - freisprechen."
Hintergrund sind Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Documenta Fifteen in Kassel von Anfang des Jahres. Ein Bündnis hatte dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa vorgeworfen, bei der Ausstellung seien auch Organisationen eingebunden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die Documenta-Gesellschaft wiesen die Anschuldigungen zurück. Auch der Documenta-Aufsichtsrat und Roth stellten sich hinter die Macher der neben der Biennale in Venedig wichtigsten Präsentation für Gegenwartskunst.
Als Folge wurde ein Experten-Forum angekündigt, bei dem über "das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" debattiert werden sollte. Die dreiteilige digitale Veranstaltungsreihe mit dem Titel "We need to talk! Art – Freedom – Solidarity" findet vom 8. Mai an statt. Die Documenta wolle damit "die Rahmenbedingungen für eine multiperspektivische Debatte jenseits einseitiger Antagonismen schaffen", sagte Generaldirektorin Sabine Schormann dazu bei der Ankündigung. In diesem Rahmen sollten "Widersprüche ausgehalten und produktiv diskutiert werden können".
Kritik an Zusammensetzung der Panels
Zentralratspräsident Schuster kritisiert unter anderem die Besetzung der Foren. "Die Ausrichtung der Podien hat für mich eine eindeutige Schlagseite zuungunsten des Antisemitismus", heißt es in dem Brief an Roth. Die Intention sollte eine Befassung mit dem Antisemitismus im Allgemeinen sowie mit israelbezogenem Antisemitismus sein. "In diesem Kontext hat mich auch verwundert, dass die Thematik des anti-palästinensischen Rassismus Eingang in das Programm gefunden hat", schreibt Schuster. Er könne hier keinen Zusammenhang erkennen.
Der Zentralrat sieht sich nicht ausreichend berücksichtigt. "Mehrfach haben wir darum gebeten, hier als Dachverband der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland mit unserer Expertise eingebunden zu werden." Trotz mehrfacher Nachfrage bei der Documenta-Leitung sei dies nicht geschehen. Die Kritik richtet sich auch an Roth. "Auch aus Ihrem Haus wurden wir bedauerlicherweise nicht über den weiteren Fortgang informiert", heißt es.
"Einig im Kampf gegen den Antisemitismus"
"All diese Einwände hätten wir vorbringen können, wäre den Verantwortlichen an einem echten Austausch gelegen gewesen und an einer Einbindung der Perspektive der jüdischen Gemeinschaft", begründet Schuster seine Kritik. "Dies war jedoch nicht der Fall, deswegen ich mich heute mit diesen deutlichen Worten an Sie wende." Zudem betonte er, "dass es für Jüdinnen und Juden in Deutschland keine 'offene' Debatte zum Antisemitismus geben kann". Es gelte auch nicht, wie im Programm zu den Foren angekündigt, Widersprüche auszuhalten.
Nach Angaben eines Sprechers von Roth weiß sich die Kulturstaatsministerin "mit dem Zentralrat der Juden und allen Jüdinnen und Juden einig im Kampf gegen den Antisemitismus". Deswegen seien die Vorwürfe gegen die Documenta auch von Anfang an ernst genommen und sowohl mit den Verantwortlichen der Documenta als auch dem Zentralrat der Juden das Gespräch gesucht worden. Von Seiten der Documenta gab es zunächst keine Stellungnahme.